Der Fotograf und der Todesmarsch

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Jaroslav Skliba (Zweiter von rechts)
Foto: Staatsarchiv Prag

Dem tschechischen Fotografen Jaroslav Skliba verdanken Historiker einmalige Bilder von befreiten KZ-Häftlingen und einer völlig zerstörten Neubrandenburger Innenstadt. Dabei hing auch sein Leben am seidenen Faden.

Von Frank Wilhelm, Nordkurier

Eleonore Wolf bewahrt viele Schätze im Neubrandenburger Stadtarchiv. Einer der wertvollsten ist sicher die Sammlung der Bilder von Jaroslav Skliba. Dem Tschechen sind nicht nur die ersten Fotos von der fast völlig zerstörten Viertorestadt zu verdanken. Skliba hat auch einmalige Bilder von ehemaligen Häftlingen des KZ Sachsenhausen festgehalten, die sich Ende April nach der Auflösung ihres Todesmarschs in Westmecklenburg auf den Weg nach Neubrandenburg gemacht hatten.

Symbol der deutschen Niederlage: Ehemalige Sachsenhausen-Häftlinge passieren Anfang Mai 1945 einen defekten Panzer der Wehrmacht. Foto: Jaroslav Skliba, Staatsarchiv Prag

Nicht nur seine Bilder sind bemerkenswert, auch seine Lebensgeschichte: Jaroslav Skliba (1905-1995) lebte in der mährischen Stadt Olomouc (Olmütz) und war Fotograf. Nach der Besetzung schloss er sich dem Widerstand gegen die Nazis an. So versteckte er Waffen in seinem Fotoatelier. Am 18. September 1939 fiel Skliba der Gestapo in die Hände, wurde verhaftet und nach Brno (Brünn) ins Gefängnis gebracht. Von dort kam er im März 1940 in das KZ Sachsenhausen, so die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, zu der die Gedenkstätte des KZ gehört. Sklibas Häftlingsnummer: 20801.

Aus der Aufnahme-Karte für das KZ geht hervor, dass er zum Zeitpunkt seiner Verhaftung mit Karla Sklibova verheiratet war. Erst ein Jahr vor der Festnahme waren beide Eltern der kleinen Vera geworden. Im KZ arbeitete Skliba in verschiedenen Kommandos, ab Ende 1943 in der Fotoabteilung eines Werkes. Dabei gelang es ihm, Materialien für die illegale Organisation der Häftlinge ins KZ zu schmuggeln, wie Ludvik Kubicek vom tschechischen Verband der antifaschistischen Widerstandskämpfer 1964 in einem Brief beschreibt.

Brisante Fotos von Todeskandidaten gesichert

Sein tschechischer Mithäftling Bohuslav Brablik, der im Fotolabor der Politischen Abteilung des KZ eingesetzt war, übergab ihm eines Tages 68 Negative mit Bildern sowjetischer Kriegsgefangener. Sie waren kurz vor ihrer Ermordung fotografiert worden, die Bilder wollten die Nazis für ihre Propaganda nutzen. Die Porträtierten gehörten zu den 10 000 Rotarmisten, die im Herbst 1941 bei der größten Massenmordaktion der SS in dem Lager ums Leben kamen. Skliba nahm die brisanten Fotos an sich und versteckte sie bis zur Befreiung des KZ im April 1945. Heute zählen die Bilder für die Gedenkstätte „zu den bedeutendsten fotografischen Dokumenten aus dem KZ“.

Skliba gehörte am 21. April 1945 zu den 33 000 KZ-Häftlingen, die auf den Todesmarsch Richtung Westen gingen. Er selbst hat diese Tage später beschrieben: „Die Tschechen mussten zuerst abmarschieren. An die Spitze reihten wir die Ältesten und Schwächsten, die das Marschtempo bestimmen sollten. Auf dem Weg sahen wir an den Straßenrändern fürchterliche Dinge. Wir gingen einige Tage ohne jede Hoffnung und mit letzter Kraft. Endlich machten wir am 28. April in einem Wald Rast. Der nächste Tag war unvergesslich – ein wundervoller Morgen ohne patrouillierende SS-Männer, denn sie waren vor unseren Befreiern geflüchtet. Sie hinterließen nur kaputte Gewehre und in uns die Angst, sie könnten wiederkehren. Wir waren frei, wir hatten überlebt und warteten auf die Ankunft der Roten Armee in der Nähe von Crivitz. In den umliegenden Häusern fanden meine Kameraden und ich Essen und auch einen Fotoapparat und Filme. So konnten wir damals fotografieren und diese unselige Zeit der Okkupation durch die Deutschen sowie unsere Befreiung durch die Rote Armee dokumentieren.“

Auch der spätere CSSRPräsident ist abgebildet


Antonín Zápotocký (Mitte)
Foto: Jaroslav Skliba, Staatsarchiv Prag

Unter den Fotografierten fällt ein großer hagerer, freundlich lächelnder Mann auf: Der Kommunist Antonín Zápotocký war 1940 bis 1945 im KZ Sachsenhausen interniert. 1953 bis zu seinem Tod war er Präsident der CSSR. Als die ehemaligen KZ-Häftlinge im Kriegsgefangenenlager Fünfeichen, das inzwischen als Repatriierungslager für ehemalige Kriegsgefangene, KZ-Insassen und Zwangsarbeiter genutzt wurde, angekommen waren, fertigte Skliba bedrückende Fotos der Neubrandenburger Ruinen-Landschaft. Am 6. Juni 1945 verließ ein Konvoi von Lkw mit slowakischen und tschechischen Frauen und Männern Neu- brandenburg. Nach mehr als fünf Jahren konnte Skliba seine Frau und seine Tochter Vera in die Arme schließen. In Olomouc sollte er weiter als Fotograf arbeiten.

Bereits in den 1960er Jahren ist ein Teil seiner Bilder aus Deutschland wohl in Neubrandenburg gezeigt worden, sagt Eleonore Wolf. Sie stieß im Archiv auf einige wenige großformatige Abzüge, die sie allerdings keiner bestimmten Ausstellung zuordnen kann.

Skliba hat seine Aufnahmen im Mai 1991 dem Bund der antifaschistischen Kämpfer in Prag übergeben, der sie wiederum dem Tschechischen Staatsarchiv überließ. Eleonore Wolf erfuhr davon über eine Archivarin in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Daraufhin kontaktierte sie das Staatsarchiv Prag, das dem Neubrandenburger Stadtarchiv 2010 etwa 30 Kopien der einzigartigen Fotos Jaroslav Sklibas zur Verfügung stellte.

Extra

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Hintergrund

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