Die KZ-Hölle von Wöbbelin

Vom / Zeitzeugen

Baracke im KZ Wöbbelin. Foto: USHMM Washington

Kurz vor Kriegsende finden die Gräueltaten der Nationalsozialisten einen neuen Schauplatz – in Wöbbelin. Unweit des Dorfes, direkt an der Straße zwischen Ludwigslust und Schwerin, entsteht im Februar 1945 eines der letzten Konzentrationslager. Es existiert zehn Wochen. Pfercht 5000 Häftlinge zusammen. Mehr als 1000 sterben. Heute vor 75 Jahren wurde das KZ befreit.

Es ist eine kalte Nacht, mitten im Februar 1945, als die Nazis 500 Häftlinge aus dem KZ Neuengamme bei Hamburg in Holzbaracken nahe Wöbbelin schaffen. Das kleine Lager, in das sie gebracht werden, gibt es seit Herbst 1944. Errichtet von Zwangsarbeitern und italienischen Kriegsgefangenen. Ein paar hundert Meter von hier sollen die Häftlinge zusammen mit Firmen aus der Umgebung ein Lager für amerikanische und englische Kriegsgefangene aus dem Boden stampfen. Bis 23. März kommen, verteilt auf zwei weitere Transporte, noch einmal 207 Häftlinge an. In diesen sechs Wochen sterben 82 Gefangene. An Kälte. Hunger. Harter Arbeit. Bei Fluchtversuchen.

Der jüngste Häftling ist neun

Im April, als die Alliierten immer näher rücken, räumt die SS etliche Konzentrationslager. Wöbbelin wird zum Auffanglager. Insgesamt rund 5000 Häftlinge aus mehr als 20 Nationen kommen hier an. Der jüngste ist gerade einmal neun. Die Zustände: Katastrophal. Das Lager ist noch nicht fertig. Die Steinbaracken haben keinen Fußboden. Keine Fenster. Kein Wasser. Auf dem Gelände – eine Wasserpumpe für alle. Zu Essen gibt es, wenn überhaupt, Wassersuppe und Brot. Jeden Tag sterben Häftlinge. Am Ende werden es mehr als 1000 sein.

Unterdessen kommen die Alliierten immer näher. Am 1. Mai treibt die SS die Häftlinge in einen Güterzug. Er fährt aber nicht los: Die Lok ist kaputt. Die Gefangenen kehren ins Lager zurück. Überall liegen jetzt noch mehr tote Menschen. Erschossen. Weil sie versuchten, sich zu verstecken.

Am 2. Mai stellt die SS noch einmal Häftlinge für einen Transport zusammen. 300 Deutsche. Auf dem Marsch Richtung Schwerin setzen sich die Wachmänner ab. Auch im KZ verlassen die Wächter das Gelände. 3500 bis 4000 Häftlinge bleiben zurück. Einige von ihnen gehen los. In die Freiheit. In Ludwigslust wird ein amerikanischer Soldat auf drei von ihnen aufmerksam, als sie in einem kaputten Schaufenster nach Kleidung suchen. Die Amerikaner folgen den Erklärungen – und finden das Lager. Der Leichengeruch schlägt ihnen schon von Weitem entgegen. In den Tagen nach ihrer Befreiung sterben noch einmal mehr als 180 Menschen.

Am 7. und 8. Mai 1945 setzen die Amerikaner die Toten aus dem Lager in Ludwigslust, Hagenow, Schwerin und Wöbbelin bei. Auf ihren Befehl hin muss die Bevölkerung dabei mithelfen und an den Bestattungen teilnehmen.

Stätte des Mahnens und Gedenkens

Nach seiner Räumung nutzt zunächst die Sowjetische Militäradministration das Gelände für evakuierte, geflüchtete und vertriebene Menschen sowie Bauern und Gutsbesitzer, die im Zuge der Bodenreform enteignet wurden. Seit 1965 informiert eine Dauerausstellung über die Geschichte des KZ Wöbbelin, seit 2014 interaktiv.

Am 2. Mai 2005, zum 60. Jahrestag der Befreiung, wurde ein Gedenkplatz eingeweiht. Mit Steinen, die mehr als 800 Namen und Nummern gestorbener Häftlinge tragen. Zudem erinnern die Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin mit einem breiten Angebot an Gedenkorten, Informationen und Veranstaltungen an dieses grausame Kapitel deutscher Geschichte.

Quelle: Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin

Gyula Trebitsch – ein Überlebender

Gyula Trebitsch wurde 1942 zum jüdischen Arbeitsdienst in die Kupferminen von Bor in Jugoslawien eingeteilt und 1944 in das KZ Sachsenhausen deportiert. Es folgten das Außenlager Barth sowie die Deportation in das KZ Ravensbrück und – Ende April 1945 – ins KZ Wöbbelin. Er überlebte den Holocaust, weil das Außenlager am 2. Mai 1945 befreit wurde.

Nach dem Krieg blieb Trebitsch in Deutschland, gründete mit Walter Koppel in Hamburg die Real-Film GmbH und mit dem Studio Hamburg das größte Dienstleistungszentrum für Film und Fernsehen in Norddeutschland und eines der größten Medienzentren Europas. Seine Filme waren erfolgreich: Für den 1956 uraufgeführten Film „Der Hauptmann von Köpenick“ zum Beispiel gab es eine Oscar-Nominierung. Trebitsch wurde mit der Goldenen Kamera und mit dem Ehrenpreis des deutschen Films ausgezeichnet.

Gyula Trebitsch (1914-2005) war Mitglied im Förderverein der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin und unterstützte die Arbeit als Zeitzeuge.

Kranzniederlegung am 2. Mai

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig will am Samstag in Wöbbelin an die mehr als 1000 Opfer des KZ-Außenlagers erinnern. Ursprünglich sollte es eine größere Gedenkveranstaltung geben, hieß es aus der Staatskanzlei. Dies sei aufgrund der Beschränkungen durch das Coronavirus aber nicht möglich. Schwesig werde gemeinsam mit Landrat Stefan Sternberg (SPD) und einigen wenigen weiteren Teilnehmern Kränze an der Gedenkstätte niederlegen. Weitere Infos – hier

Hintergrund

Der 8. Mai 1945 gilt als offizielles Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa und als Tag der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus. In Mecklenburg und Vorpommern war der Krieg an vielen Orten aber schon früher vorbei. Die letzten Kampfhandlungen im Nordosten endeten mit dem Zusammentreffen der Roten Armee mit britischen und US-amerikanischen Truppen auf einer Linie zwischen Wismar, Schwerin, Ludwigslust und Dömitz zwischen dem 2. und 4. Mai 1945.

In unserer Serie zum 75. Jahrestag stellen wir Zeitzeugen, Gedenkstätten, Geschichtsprojekte vor. Dazu: Hintergründe und Lesetipps.

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