Mehr Einfluss für Experten?

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Virologen und Ärzte beraten Bund und Länder in der Corona-Pandemie. Foto: Pixabay

Selten war Beratung so gefragt wie in Zeiten von Corona. Beispiel Robert-Koch-Institut. Soll es nicht grundsätzlich mehr Einfluss für Experten und Wissenschaftler geben? Aus unserer Serie: Fragen an die LpB.

Steffen Schoon, LpB: In einem ersten Reflex würden sicher viele Menschen diese Frage mit „ja“ beantworten. Dahinter verbirgt sich die weit verbreitete Grundhaltung, Experten und Wissenschaftler könnten aufgrund ihres fachlichen Wissens die besten Lösungen für politische Probleme vorschlagen. Diese Vorstellung ist allerdings ein Trugschluss.

Selbstverständlich sollte die Politik bei ihren Entscheidungen, z.B. bei der Gesetzgebung, den fachlichen Rat von Experten zu bestimmten Themen einholen, denn Politiker sind nicht allwissend. Politische Entscheidungen können jedoch nicht nach dem Muster „sachlich richtig“ oder „sachlich falsch“ getroffen werden. Dann könnte man auch einen reinen Expertenrat regieren oder gleich einen Computer entscheiden lassen.

Politik muss alle Bereiche im Blick haben

Politische Entscheidungen folgen vielmehr einer ganz anderen Logik: Politik muss alle Bereiche der Gesellschaft im Blick haben, das heißt: sie muss sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen legitime Interessen und daraus resultierende Konflikte erkennen und diese in einen Ausgleich zueinander bringen. Dieser sollte dann bestenfalls von möglichst vielen Menschen akzeptiert werden können. Dies nennt man Kompromissfindung.

Die aktuelle Corona-Pandemie stellt sicher eine Sondersituation dar, denn die Eindämmung des Virus und damit die Rettung von Menschenleben sind nicht „verhandelbar“ und stehen daher vor allen anderen Fragen.

Aber auch an diesem Beispiel kann die grundsätzliche Aufgabe von Politik verdeutlicht werden: Virologen und Ärzte empfehlen starke Beschränkungen des öffentlichen Lebens. Damit käme man dem Ziel, die Verbreitung des Virus und eine Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern und damit die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, am nächsten. Wirtschaftsforscher und -vertreter sind dagegen für die Wiedereröffnung von Geschäften und Betrieben, da ansonsten Insolvenzen von Unternehmen und Arbeitslosigkeit drohen. Sozialforscher verweisen auf die gravierenden gesellschaftlichen und psycho-sozialen Folgen.

Prioritäten setzen, Auswirkungen abwägen

Alle Ziele sind legitim und nachvollziehbar, allen Expertengruppen kann daher sicherlich zugestimmt werden. Allerdings widersprechen sich die jeweiligen Ziele sogar zum Teil und damit auch die empfohlenen Handlungsmöglichkeiten. Was also tun?

Politik erfüllt deshalb eine wichtige und überaus anspruchsvolle Funktion: Sie muss Prioritäten setzen und immer die möglichen Auswirkungen von Entscheidungen und Regelungen gegeneinander abwägen. Hier hilft dann auch zumeist kein fachlicher Rat weiter. Es handelt sich eben um „politische“ und nicht um fachliche Entscheidungen. Die aktuelle Debatte um Lockerungen der derzeitigen Beschränkungen zeigt aber, dass diese Abwägung immer wieder neu vorgenommen und öffentlich „ausgehandelt“ wird.

Im Übrigen kann auch der Rat aus „der“ Wissenschaft niemals „die“ objektive Wahrheit für sich beanspruchen, denn Wissenschaft lebt gerade von unterschiedlichen Erklärungsansätzen und Lehrmeinungen. Politik sollte daher möglichst viele qualifizierte Meinungen einholen. Am Ende müssen Politiker ihre eigenen Abwägungen und Entscheidungen treffen. Hierbei spielen neben fachlichen Argumenten auch ethische Fragen und politische Grundüberzeugungen, sowie selbstverständlich auch machtpolitische Aspekte eine Rolle.

Klar ist: Politische Entscheidungen können in den seltensten Fällen fachlich „perfekt“ sein und werden immer auch Widerspruch auslösen. Wichtig ist nur, dass sie auch wieder korrigiert oder an neue Erfordernisse angepasst werden können.  

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