In Mecklenburg gab es wie in der gesamten DDR Anfang der 1950er-Jahre zahlreiche politische Gefangene. Es reichte schon für eine Haftstrafe, wenn ein selbstständiger Unternehmer wie der Teterower Müller Ludwig Kirbach unter Verdacht geriet, dass in seinen Büchern nicht alles stimme. Teil 3 unserer Serie zum 17. Juni 1953.
Text: Frank Wilhelm
Auch in Teterow rückte die sowjetische Besatzungsmacht am 17. Juni 1953 an. Sogar ein Panzer fuhr auf. Am frühen Morgen hatten sich etwa 200 Menschen vor der Haftanstalt im Amtsgericht versammelt. Wie in anderen Orten der DDR auch wollten die Demonstranten drei politische Häftlinge freikämpfen. „Innerhalb kurzer Zeit hatte sich die Anzahl der Menschen auf dem Platz verdoppelt“, so der Historiker Gerhard Stuhr in seiner Ortschronik (1999). Er bezieht sich auf Berichte von Teilnehmern.
Unter den Häftlingen befand sich der Schmiedemeister Busch aus Rensow, der in Malchin verhaftet worden war und dann nach Teterow verlegt wurde. Einige Arbeiter aus dem Apparatebau wollten mit ihrem Werkzeug die Türen aufbrechen. Zwei Funktionäre in einem Lautsprecherwagen versuchten, die Menge zu beruhigen. Doch die Arbeiter hoben den Wagen an und ließen ihn wieder fallen. Die Funktionäre ergriffen die Flucht und riefen die „Freunde“ zu Hilfe. Gegen Mittag rollte ein Panzer der Roten Armee an. Ein Offizier forderte die Menschen auf, den Platz vor dem Gericht zu verlassen. Nachdem er in die Luft geschossen hatte, zerstreuten sich die Demonstranten.
Auch Ludwig Kirbach senior, Eigentümer der Stadtmühle, saß in U-Haft. „Seit Februar hatte man ihn eingesperrt und nach angeblichen schwarzen Büchern gesucht, die es nie gab“, erinnert sich sein Sohn Ludwig Kirbach junior, der damals noch ein kleines Kind war. Der Protest in Teterow hatte offensichtlich Erfolg, sein Vater war am 17. Juni 1953 wieder zu Hause.
Auch die anderen beiden Häftlinge kamen auf freien Fuß. Allerdings hatte die DDR-Regierung im Zusammenhang mit dem Neuen Kurs schon wenige Tage vor dem Volksaufstand zugesagt, die zahlreich ausgesprochenen Urteile gegen private Unternehmer zu überprüfen.
Wie feindlich seinerzeit die Atmosphäre gegenüber den Selbstständigen war, hat Ludwig Kirbach junior am eigenen Leib erfahren müssen. Er durfte nicht mehr den staatlichen Kindergarten besuchen. Für das „Kapitalisten-Kind war in der sozialistischen Einrichtung kein Platz“. Da seine Mutter mit der Führung der Stadtmühle auf sich alleine gestellt war, wurde der Junge von einem Kindermädchen betreut. Viele Teterower hätten der Familie aber seinerzeit beigestanden.
Etwa 20 Mitarbeiter zählte Kirbachs Mühle in den 1950er-Jahren. Unter ihnen war Gerda Riebe aus Teterow. Die junge Frau arbeitete anfangs als Näherin, später war sie im Büro die „rechte Hand“ ihres Chefs. Dadurch hatte sie einen engen Kontakt zu den Bauern in der Mecklenburger Schweiz, die Probleme in der Landwirtschaft habe sie hautnah mitbekommen: Die Erhöhung des Abgabesolls für die Mittel- und Großbauern Anfang der 1950er-Jahre. Die ersten, teils unter Druck erfolgten LPG-Gründungen oder die Verhaftung angeblicher Saboteure wie Kirbach.
Der Teterower Protest war trotz der Machtdemonstration der Sowjets zur Mittagszeit am 17. Juni noch nicht vorbei. Nachdem der Ausnahmezustand verhängt worden war, versammelten sich am Abend sogar 2000 Demonstranten, jetzt mit politischen Forderungen: Abzug der Roten Armee aus der DDR, freie Wahlen und die Wiedervereinigung.
Sowjetische Soldaten vertrieben die Menge mit Warnschüssen in die Luft. Noch am Abend wurden 22 Teterower, die als Initiatoren galten, verhaftet. Am 19. Juni gab es eine weitere Demonstration und noch einmal 19 Verhaftungen. Die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg klagte zehn Beschuldigte an. Die Männer wurden „als Rädelsführer und Aufrührer an einer öffentlichen Zusammenrottung“ angeklagt.
Drei Männer wurden alsHauptschuldige ausgemacht und erhielten Zuchthausstrafen zwischen vier und sechs Jahren. Unter ihnen war auch der Onkel von Ludwig Kirbach junior, der Rossschlächter Paul Jarchow, der vier Jahre hinter Gittern absitzen sollte.
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Themenschwerpunkt
Dieser Text ist zuerst im Nordkurier erschienen – im Themenschwerpunkt zum 17. Juni 1953. Unterstützt von der Landeszentrale für politische Bildung MV. Kostenlose Bestellung der Sonderseiten – Einzelausgaben, Klassensätze – per Mail an: poststelle@lpb.mv-regierung.de
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