Der Wiederaufbau der Synagoge

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Konzert zur Feier des Wiederaufbaus der ehemaligen Synagoge Stavenhagen mit Noga-Sarai Bruckstein (Violine) und Emilia Lomakova (Violincello). Foto: Marc Oliver Rieger

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Stavenhagen 1750-1942. In ihrem Buch erinnert Dorothee Freudenberg an Familienschicksale vor allem im Nationalsozialismus und schreibt über den Zerfall und den Wiederaufbau der Synagoge. Der Ort heute – eine lebendige Stätte der Kultur und Begegnung, aber auch der Mahnung und Erinnerung.

In der Nacht vom 9./10. November 1938, der „Reichskristallnacht“, kam es in ganz Deutschland zum Pogrom. Der Hass und die Gewalt gegen Juden, die sich dabei entluden, hatten ein Ausmaß, wie dies seit Jahrhunderten nicht mehr vorstellbar schien. Der Pogrom ereignete sich nicht spontan, sondern war von den Nationalsozialisten inszeniert und zentral gesteuert.

Nach einem Attentat in Paris am 3. November 1938 inszenierten die Nationalsozialisten mit Hilfe der gleichgeschalteten Medien „den Volkszorn“. Die Schüsse eines 17-Jährigen, dessen ostjüdische Familie Ende Oktober ins polnische Grenzgebiet abgeschoben worden war, auf einen Angehörigen der deutschen Botschaft wurden zu einem Verbrechen des „internationalen Judentums“ am gesamten deutschen Volk aufgebauscht. Ständige Kommuniqués über den schlechten Gesundheitszustand des Opfers heizten die empörte Stimmung an, und auch das Kampfblatt der mecklenburgischen NSDAP, „Niederdeutscher Beobachter“, sah den „Langmut mit den Juden zu Ende!“ und forderte „schärfste Maßnahmen“. Als der junge Beamte am 9. November in Paris starb, war der Pogrom vorbereitet. Das Signal zum Losschlagen gab Propagandaminister Joseph Goebbels in München, als er bei der traditionellen Feier des Jahrestags des Hitlerputschs von 1923 der versammelten Parteielite gegen 22 Uhr den Tod des Legationsrats verkündete. Hasserfüllt schrie er nach Rache und Vergeltung und verkündete dann das Drehbuch für den Volkszorn. Die Umsetzung funktionierte reibungslos.

Die anwesenden Parteioberen, darunter auch der mecklenburgische Gauleiter Friedrich Hildebrandt, gaben die Anweisungen telefonisch an alle Gaue durch, und im ganzen Land schritten die Parteigenossen zur Tat, bestens unterstützt von den Staatspolizeistellen. Angesagt waren Aktionen gegen Juden, die Zerstörung der Synagogen und die Verhaftung von insgesamt 20.000 bis 30.000 jüdischen Männern, vor allem von solchen mit Vermögen.

Der Pogrom in Stavenhagen

In Stavenhagen wurde der Jahrestag des Hitlerputschs ab 20.30 Uhr im Saal des Hotels „Erbgroßherzog“ gefeiert, wohin die NSDAP-Ortsgruppe mittels Anzeige im Stavenhagener Tageblatt eingeladen hatte. Wie und wann die Nachricht aus München in Stavenhagen eintraf und das Startsignal gegeben wurde, ist unbekannt. Während in Süd- und Westdeutschland die Schlägertrupps schon kurz nach Mitternacht unterwegs waren, begann der Pogrom in Mecklenburg erst gegen 5 Uhr morgens. Die Staatspolizeistelle Schwerin gab die Anweisung, nicht gegen Brände von Synagogen und Zerstörungen von Wohnungen einzuschreiten, jedoch gegen Misshandlungen und Plünderungen.

In den frühen Morgenstunden des 10. November zerschlugen Nazihorden die Einrichtung der Synagoge Stavenhagens und legten in ihr Feuer. Ein Nachbar, der Schuhmacher Blisath, löschte jedoch den Brand aus Angst um sein eigenes Haus. Anschließend wurde der jüdische Friedhof verwüstet, der Leichenwagen demoliert und die Leichenhalle in Brand gesetzt. Wie dies im Einzelnen geschah, wer die Täter waren und wie sich die übrige Stavenhagener Bevölkerung verhielt, ist unbekannt.

Der Verkauf der Synagoge

Am 2. März 1939 verkaufte die israelitische Gemeinde Stavenhagens ihr Grundstück in der Malchiner Straße, jetzt Adolf-Hitler-Straße, mit dem Gemeindehaus und der Synagoge für 7.000 RM zu Gunsten der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland an den Stavenhagener Tischler Carl Dubbert. Die sieben verbliebenen männlichen Gemeindemitglieder Max Nathan, Hans Jacobsohn, Arthur und Max Lewin, Hugo Dosmar sowie Erich Jacobsohn und Bernhard Lewin ließen sich mittels Vollmachten von dem Rostocker Rechtsanwalt Dr. Richard Jacoby vertreten, der noch als „der jüdische Konsulent Dr. Richard Israel Jacoby“ tätig war. Den Kaufvertrag verhandelte der Stavenhagener Notar Reinhold Müller. Carl Dubbert nutzte fortan die Synagoge als Tischlerwerkstatt und Lagerraum, das Gemeindehaus diente ihm und seiner Familie als Wohnung.

Nachdem der Tischler Carl Dubbert im Jahr 1939 die Synagoge gekauft hatte, richtete er dort seine Werkstatt ein, die er etwa 30 Jahre lang nutzte. Hierfür nahm er einige Umbauten vor: er zog in der Höhe von ca. 2,20 Metern eine Zwischendecke und baute zusätzliche, hochsitzende Fenster in alle vier Außenwände ein, außerdem in die östliche Wand eine weitere Tür. Ab Anfang der 1970er Jahre stand die ehemalige Synagoge leer und verfiel. 1988, also noch zur DDR-Zeit, wurde die Ruine unter Denkmalschutz gestellt. Wegen akuter Einsturzgefahr musste 1997 eine Notsicherung vorgenommen und das südliche Viertel des Gebäudes abgetragen werden.

Da die Jewish Claims Conference keine Ansprüche geltend machte, wurde das Grundstück mit den beiden Gebäuden auf die Erbengemeinschaft Carl Dubberts und von dieser auf seine Enkelin Rosemarie Rieger in Konstanz übertragen.

Das ehemalige Gemeindehaus diente der Familie Carl Dubberts bis 1988 als Wohnhaus. Ende der 1990er Jahre wurde es saniert und ist heute ein Wohn- und Geschäftshaus.

Viele Jahre lang suchte Rosemarie Rieger gemeinsam mit der Stadtverwaltung nach Möglichkeiten, die Synagoge wiederaufzubauen. Dies gelang schließlich dem Verein Alte Synagoge Stavenhagen e.V., der im Jahr 2011 auf Initiative von Dorothee Freudenberg, der Amadeu Antonio Stiftung und des Stavenhagener Stadtpräsidenten Klaus Salewski gegründet wurde. Zu den Gründungsmitgliedern zählt neben dem Mecklenburgischen Landesrabbiner William Wolff auch Rosemarie Rieger, die dem Verein das Erbpachtbaurecht über die Synagoge übertrug.

Der Wiederaufbau erfolgte in enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege und auf Grundlage der bereits erwähnten wissenschaftlichen Untersuchungen der Ruine. Für die Fassade, das Dach und den Fußboden konnten auch originale Eichenbalken und Ziegel verwandt werden. Die Wandgestaltung auf dem historischen Lehmputz orientiert sich an erhaltenen Resten der ursprünglichen Schablonenmalerei.

Die Nordseite der wiederaufgebauten Synagoge. Foto: Marc Oliver Rieger

Nach fünfjähriger Bauzeit fand im Juli 2017 die feierliche Wiedereröffnung der ehemaligen Synagoge statt, die heute eine lebendige Stätte der Kultur und Begegnung sowie der Mahnung und Erinnerung ist. Die vielen Konzerte, Ausstellungen und anderen Veranstaltungen ziehen zahlreiche Besucher an. Die nötigen Nebenräume richtete der Verein in einem kleinen Nachbarhaus ein, das mit der Synagoge über einen geschützten, begrünten Innenhof verbunden ist. Dies ermöglichten Adelheid und Silvia Waldau durch die Schenkung eines Teils ihres Grundstücks.

Finanziert wurde das gesamte Bauvorhaben aus Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des Denkmalschutzsonderprogramms der Bundes- regierung, des Landesdenkmalamts Mecklenburg-Vorpommern, des LEADER- Programms der EU zur Entwicklung des ländlichen Raums, des Landes Mecklenburg-Vorpommern, der Städtebauförderung, der Jost-Reinhold-Stiftung Ankershagen und mit Hilfe vieler privater Spenden. Wiederholt leisteten Jugendliche aus Stavenhagen und auch internationale Jugendgruppen tatkräftige ehrenamtliche Arbeit auf der Baustelle.

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Das Buch

Dorothee Freudenberg: Geschichte der jüdischen Gemeinde Stavenhagen 1750-1942. Schwerin 2020. Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern und dem Verein Alte Synagoge Stavenhagen. Hier geht’s zur Bestellung

In der Reuterstadt Stavenhagen steht eine der wenigen erhaltenen Synagogen Mecklenburg-Vorpommerns. Der Verein Alte Synagoge Stavenhagen konnte die Ruine retten und in dem Gebäude eine lebendige Stätte der Begegnung und Kultur einrichten. Dieses Buch dient der Erinnerung an die jüdische Gemeinde Stavenhagens. Ihre Geschichte begann um 1750 mit den ersten „Schutzjuden“ und fand 1942 mit der Deportation und Ermordung der letzten Stavenhagener Juden ihr schreckliches Ende.

Über die Autorin
Dorothee Freudenberg aus Frankfurt am Main, 1952 geboren, ist promovierte Ärztin für Psychiatrie, hat familiäre Wurzeln in der jüdischen Gemeinde Stavenhagens und ist Gründungsmitglied des Vereins Alte Synagoge Stavenhagen e.V.

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