„Gesänge aus der Gefangenschaft“ in der Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock. Elisabeth Rosendahl hat bei Regisseur Rainer Holzapfel, Schauspieler Lev Semenov und DuG-Leiterin Dr. Steffi Brüning nachgefragt. Drei Interviews über ein besonderes Theaterprojekt.
Aufgeführt werden Lieder und Texte, die innere und äußere Isolation, Verzweiflung und Hoffnung thematisieren. Die Arbeit an dem Theaterstück zum Gedenken an die Ereignisse in der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt hat zwei Jahre gedauert. Das entstandene Stück ist das Ergebnis intensiver Vor-Ort-Recherchen und von Gesprächen mit ehemaligen Inhaftierten. Das Projekt vereint Schauspiel, Tanz und Musik.
Interview mit Rainer Holzapfel (Regie, Konzeption und Gesamtleitung)
Wie sind Sie auf das Projekt gekommen?
Rainer Holzapfel: Ich wollte die Oper „In der Strafkolonie“ von Philipp Glass nach Kafkas Werk inszenieren und habe dafür einen Spielort außerhalb des Theaters in Rostock gesucht. Ich habe dann vom ehemaligen Untersuchungsgefängnis erfahren. Ich dachte, das würde gut passen für ein Stück, welches in einer Strafkolonie spielt. Nachdem der Kontakt aufgebaut war, hatte ich hier eine Führung. Das war meine erste Begegnung mit dem Ort, entsprechend beeindruckt, erschüttert und emotionalisiert war ich. Und während des Rundgangs merkte ich in mir, wie die Idee, diese Oper hier aufzuführen, zerbröselte.
Ich stellte fest, man kann diesen Ort nicht einfach als Theaterbühne nutzen. Die Theaterbühne ist neutral, damit dort jedes Stück zur Aufführung gebracht werden kann. Und hier ist ein Ort, der eine Geschichte in sich trägt, die er auch ausstrahlt. Und das steht immer im unmittelbaren Zusammenhang mit dem, was hier aufgeführt wird.
Und damit war mir klar, dass ich diese Oper hier nicht aufführen kann. Der folgende Schritt war eine weitere Beschäftigung mit dem Ort. Was können wir als Theaterkünstler an diesem Ort machen und was ist angemessen für den Ort? Aus diesen Fragen entstand dann der Gedanke, dass wir emotionale Erfahrungen, die Inhaftierte hier gemacht haben, mit unseren künstlerischen Mitteln versuchen wiederzugeben. Wir wollen einen Resonanzraum schaffen, für das was hier passiert ist.
Theater in der DuG. Was macht die Vorstellungen hier besonders?
Der Ort trägt schon allein so viel Geschichte in sich und strahlt dies aus. Es war klar, dass wir ihn überhaupt nicht verändern wollen. Wir haben kein Theaterlicht und wir haben keine Bühne. Der Raum bleibt, mehr oder weniger, wie er aussah, als er ein Untersuchungsgefängnis war. Das ist ein klarer Unterschied zu einem Theaterraum, den wir immer verändern und anpassen.
Welche Szene oder welches Lied ist bei Ihnen vor allem hängen geblieben?
Die Auswahl fällt mir schwer, jedes Stück hat seinen ganz eigenen Ausdruck und sein eigenes Thema. Ich finde den Einstieg sehr berührend aus der Brahms Motette: „Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen.“ Diese große ausgerufene Frage erklingt hier in diesem Ort von oben und man sieht die Sänger dabei nicht. Die große Frage „Warum?“ steht über allem. Warum sind solche Dinge passiert und warum passieren sie woanders immer noch.
Interview mit Lev Semenov (Schauspiel)
Die Texte sind eine Collage aus den Texten von Jürgen Fuchs, aus dessem Werk „Vernehmungsprotokolle“. Wie kam es zur Auswahl?
Lev Semenov: Die Auswahl hat unser Regisseur Peter Stuppner getroffen. Jürgen Fuchs saß in Berlin-Hohenschönhausen in Untersuchungshaft. Für uns hat das gepasst, auch wenn es nicht derselbe Ort wie der Aufführungsort des Theaterstücks ist. Es war egal für uns, wo er genau in Haft war, es geht mehr um das repressive System der Stasi allgemein. Die Texte, die wir ausgewählt haben, beschreiben nicht nur das Gefangen sein, sondern auch die angewendeten psychologischen Foltermethoden und was das mit einem Menschen macht.
Auftritte im DuG, Theater an einem historischen Ort. Was ist anders als auf der klassischen Bühne?
Natürlich macht dieser historische Ort etwas mit einem. Wir hatten zuvor eine Begehung und haben uns eingelesen in die Materie und dementsprechend hat uns das beeinflusst. Die Wände tragen eine Art „Aura“ der Geschichte. Am Anfang hatten wir Ehrfurcht, jedoch haben wir versucht, uns zu distanzieren, da es uns ein Anliegen war, diese „Aura“ des Hauses nicht zu replizieren. Wir wollen Inhalte aufzeigen, da die Atmosphäre bereits besteht und wir diese nicht nochmal doppeln müssen. Was das Technische angeht, wir haben keine Dekorationen, alles ist echt. Wir behaupten nicht nur, dass das Bühnenbild die Stasi U-Haft sei, sondern das ist der reale historische Ort. Das ist etwas Besonderes.
Haben Sie eine Lieblingstextstelle, ein Zitat, das Ihnen in Erinnerung bleibt?
Ja es ist aber nicht mein Text, sondern der meines Kollegen Bernd Färbers. Jürgen Fuchs zitiert hier aus „Goya oder der arge Weg der Erkenntnis“ von Lion Feuchtwanger und es steht am Ende: „So zog Goya ärmlich schäbig, eingesperrt in seine Taubheit, auf dem Maultier Valeroso durch sein unbegreiflich stummes Spanien, elend doch entschlossen, seine Schultern stark zu machen, gegen die Dämonen, die drauf hockten und ihn brechen wollten. Reingefallen waren sie, die Teufel. Aufrecht gehen wird er, er, Francisco Goya, Maler, Mann aus Aragon, nur stärker wird er werden. Wuchern wird er mit dem Elend, das ihn traf, und schärfer wird er sehen, wird er zeichnen.“ Ich finde persönlich diese Textstelle unheimlich schön, sie beschreibt, dass es Hoffnung gibt. Die Zeilen wirken auf mich besonders gewaltig.
Interview mit Dr. Steffi Brüning (Leiterin Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock)
Die Gedenkstätte wird zur Bühne. Worauf waren Sie am meisten gespannt?
Dr. Steffi Brüning: Durch die gemeinsame Erkundung der Gedenkstätte haben sich die Künstler/innen entschieden, keine dokumentarische oder inhaltlich zusammenhängende Geschichte zu erzählen, sondern eher in eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ort zu gehen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass alle Beteiligten den Ort nicht als Kulisse begreifen, sondern Kunst speziell für die Gedenkstätte geschaffen haben. Ich war aber insgesamt sehr gespannt darauf, wie diese Art der Inszenierung beim Publikum ankommt und die einzelnen Stationen wahrgenommen werden. Für mich hat jede Station einen besonderen Höhepunkt: beim Schauspiel ist es ein kurzes Lied, beim Tanz sind es Papierflieger, die zum Abschluss zum Einsatz kommen, beim Gesang und Chor kleine Details in den einzelnen Stücken, die mich besonders beeindrucken.
Wie lief die Recherche, die Suche nach Spielorten?
Wir haben gemeinsam mit allen Beteiligten, der Regie, dem Schauspiel und Tanz, ausführliche Rundgänge durch die Gedenkstätte gemacht. Dabei haben die Künstlerinnen und Künstler recht schnell einzelne Orte ausgewählt, die wir auch während unserer Bildungsarbeit in Rundgängen mit Gruppen als Stationen einbeziehen. So ergab sich auch der ähnliche Ablauf für das Stück: alle Beteiligten wollten das gesamte Haus bespielen und dem Publikum die Möglichkeit geben, unterschiedliche Orte zu erkunden.
Während der Rundgänge und darüber hinaus haben wir auch viele Gespräche über unsere Kernthemen geführt: Repression und Opposition in der DDR. Die Künstler/innen setzten daraufhin eigene inhaltliche Schwerpunkte, für die wir wiederum mit Material geholfen haben.
Wie sind die Reaktionen auf „Gesänge aus der Gefangenschaft“?
Ich habe bislang ausschließlich Begeisterung erlebt für unseren Versuch, Theater an diesem besonderen historischen Ort aufzuführen. Gleichzeitig gab es im Vorfeld viele Fragen, die sich im Kern darum drehten, wie Theater an einem solchen Ort funktionieren kann. Für uns ist dabei vor allem wichtig, Emotionen zuzulassen, aber keine emotionale Überwältigung hervorzurufen – nach diesem Grundsatz funktioniert auch unsere Bildungsarbeit.
Extra
Zitate aus dem Publikum
„Das Schauspiel war teilweise fast ,unangenehm’ für den Zuschauer, das war besonders eindrücklich.“
„Intensiv, sehr nah.“
„Die Kombination der drei Künste: Gesang, Schauspiel und Tanz, war besonders spannend.“
„Am beeindruckendsten waren die Schauspieler. Besonders die direkte Ansprache. Man hat sich in die Situation hineinversetzt.“
„Ich war schon mal hier mit einer Führung und konnte mich so nochmal anders in das Thema hineinversetzen.“
„Der Kanon ,Tod ist ein langer Schlaf’ hat mich besonders berührt.“
„Ein ganz tolles Erlebnis.“
„Die Vorstellung war grandios.“
„Der Chor hat mir besonders gefallen. Ich war überrascht von der einzigartigen Akustik hier.“
„Ich war noch nie hier. Die Räume haben mich sehr interessiert, so dass ich mehr wissen will über den Ort.“
Die Dokumentations- und Gedenkstätte
Die sanierte Dokumentations- und Gedenkstätte in der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Rostock ist im Sommer 2021 wiedereröffnet worden. Rund 4900 Frauen und Männer waren hier zwischen 1960 und 1989 inhaftiert. Weiterlesen
Service
Die Gedenkstätte ist Dienstag und Donnerstag 10-15 Uhr geöffnet. Außerdem starten im Juli die öffentlichen Führungen am Donnerstag um 15 Uhr – die erste Führung findet am 7.7. statt. Kontakt – hier