Zum Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 sind zahlreiche Veranstaltungen in MV geplant. Zum Beispiel in Schwerin, Greifswald, Neubrandenburg, Rostock. Hier eine Auswahl.
Mittwoch, 18 Uhr in Schwerin
Gemeinsam mit Landesrabbiner Yuriy Kadnykov erinnert der Arbeitskreis „9. November 1938“ um 18 Uhr auf dem Schweriner Schlachtermarkt an die Opfer der Pogromnacht. Angesichts der Zunahme von Angriffen auf Juden solle die Mahn- und Gedenkstunde zugleich ein Zeichen der Solidarität mit den jüdischen Bürgern der Stadt setzen, so Karl-Georg Ohse vom Arbeitskreis.
Mittwoch, 9 Uhr in Schwerin
Der Landtag erinnert im Rahmen einer Gedenkstunde an Ereignisse, die historisch mit dem 9. November verbunden sind. Im Plenarsaal des Schweriner Schlosses werden Birgit Hesse, Präsidentin des Landtages MV, Kristina Herbst, Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages, und Yuriy Kadnykov, Landesrabbiner des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in MV, zu den geladenen Gästen sprechen. Die Gedenkstunde beginnt um 9 Uhr und kann über den Livestream des Landtages verfolgt werden.
Mittwoch, 13 Uhr und 17 Uhr in Greifswald
Der Arbeitskreis Kirche und Judentum lädt gemeinsam mit dem Amt für Bildung, Kultur und Sport der Universitäts- und Hansestadt Greifswald zum Gedenken an die Ereignisse der November-Pogrome vom 9./10.11.1938 in Deutschland ein. Um 13 Uhr findet eine Andacht am Gedenkstein für das Greifswalder Jüdische Bethaus in der Mühlenstraße statt, die wieder von der Evangelischen Studentengemeinde gestaltet wird.
Um 17 Uhr wird im Soziokulturellen Zentrum St. Spiritus, Lange Str. 49/51, Friederike Fechner vom Vorstand der Initiative zur Erinnerung an jüdisches Leben in Stralsund einen Vortrag über die „Geschichte eines Hauses“ halten. Ihr Engagement für den Erhalt des Hauses der Gebrüder Blach war der Beginn eines viel beachteten und gewürdigten bürgerschaftlichen Einsatzes für die Bewahrung des jüdischen Erbes in der Stadtkultur Stralsunds.
Mittwoch, 10 Uhr in Barth
Gedenkfeier auf dem Friedhof am Gedenkstein für die jüdischen Bürger; anschließend findet ein von Schüler/innen des Gymnasialen Schulzentrums Barth mitgestaltetes literarisch-historisches Programm „Wege Barther Juden“ im Bürgerhaus statt. Gezeigt wird u.a. die Wanderausstellung „Barther Juden – Juden in Barth“.
Mittwoch, 16 Uhr in Neubrandenburg
Gedenkveranstaltung auf dem Synagogenplatz in der Poststraße in Neubrandenburg, eine Gedenkfeier zum 84. Jahrestag der Pogrome gegen die jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt. Die Veranstaltung ist ein Kooperationsprojekt der Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg mit zeitlupe, der Geschichtswerkstatt der RAA – Demokratie und Bildung MV.
Neben den musikalischen Beiträgen der Blockflötistin Johanna Schönbeck lesen Studierende der Hochschule Neubrandenburg Kurzbiographien und Gedichte jüdischer Menschen und widmen sich, auch mit einem eigenen Text, den erzwungenen Fluchten ins Exil. Die Worte des Gedenkens spricht der Stadtpräsident Jan Kuhnert. Im Anschluss gibt es die Möglichkeit, Blumen niederzulegen.
Mittwoch, 17 Uhr in Wittstock
Das Bündnis „Wittstock bekennt Farbe“ gedenkt gemeinsam mit der Gesamtkirchengemeinde Wittstock des antisemitischen Pogroms am 9. November 1938. Auch in Wittstock wurden an diesem Tag Jüdinnen und Juden drangsaliert. „Wir gehen von der Marienkirche zum jüdischen Friedhof und von dort zurück zu den Stolpersteinen auf dem Markt“, so das Bündnis. „Wir werden dabei über die Pogromnacht in Wittstock informieren und zum Gedenken Steine bzw. Blumen niederlegen. Im Anschluss daran laden wir in das Catharina-Dähnicke-Haus zu Gesprächen und einem Film ein. (…) Für Kerzen, Steine und Blumen sorgen wir. Männer brauchen für den jüdischen Friedhof eine Kopfbedeckung.“
Mittwoch, 18:30 Uhr in Neustrelitz
In Neustrelitz wird am 9. November mit einem Film an den Jahrestag der Pogromnacht im Jahr 1938 und deren Folgen erinnert. Im Kulturzentrum Alte Kachelofenfabrik wird „Nicht verrecken“ von Martin Gressmann gezeigt. Darin werden Orte vorgestellt, an denen Tausende KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen und Ravensbrück auf den sogenannten Todesmärschen im April 1945 entlanggetrieben wurden. Der Film wurde von der LpB gefördert. Infos zum Film – hier
Donnerstag, 9:30 Uhr in Rostock
Gedenkveranstaltung anlässlich des 84. Jahrestages der Reichspogromnacht. Am 10. November versammeln sich die Teilnehmenden um 9:30 Uhr zur Andacht auf dem Jüdischen Friedhof im Lindenpark. Totengebete und Psalmen werden durch die Jüdische Gemeinde gesprochen. Es besteht die Möglichkeit, Blumen niederzulegen. Dann folgt ein gemeinsamer Gang zur Gedenkstele am früheren Standort der Synagoge in der Augustenstraße. Dort findet um 10 Uhr eine Gedenkveranstaltung statt. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Juri Rosov, und die Präsidentin der Bürgerschaft, Regine Lück, werden sprechen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind anschließend zur Begegnung in die Jüdische Gemeinde in der Augustenstraße 20 eingeladen.
Der Aufruf wird mitgetragen von der Jüdischen Gemeinde Rostock, dem Verein „Arnold Bernhard“ zur Förderung der Synagoge Rostock, dem Max-Samuel-Haus – Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock, der Katholischen und der Evangelischen Studentengemeinde.
Hintergrund
9.11.1938: Die Reichspogromnacht
Im Herbst 1938 verschärfte die NS-Regierung ihr Vorgehen gegen die noch in Deutschland lebenden Juden erheblich. An die Stelle von Boykott und Schikane trat nun brutaler staatlicher Zwang und nackte Gewalt.
Die noch bestehenden jüdischen Geschäfte hatten sich als erstaunlich überlebensfähig erwiesen, so dass die Nationalsozialisten sich nun entschieden, mit größter Härte vorzugehen. Zum 30. September 1938 wurde auch den letzten sieben jüdischen Ärzten, die in Mecklenburg noch praktizieren durften, die Approbation entzogen. Am 28. Oktober schließlich deportierte die Polizei 37 Juden polnischer Staatsangehörigkeit aus Rostock nach Polen.
Als kurz darauf Herschel Grünspan, ein junger jüdischer Emigrant, in Paris ein Attentat auf den Legationssekretär Ernst von Rath verübte, ließ die regionale NS-Presse keinen Zweifel, was nun zu erwarten war. Am 8. November lauteten die Schlagzeilen auf der ersten Seite des »Niederdeutschen Beobachters«: »Das Maß nach dem Pariser Attentat voll – Langmut mit Juden zu Ende! […] Schärfste Maßnahmen gegen Juden im Reich notwendig«. Am folgenden Tag berichtete die Zeitung über »spontane Kundgebungen […] vor Synagogen und jüdischen Geschäften« in Kurhessen. Die Parteimitglieder wussten, wie sie solche Anregungen zu interpretieren hatten.
Am 9. November gegen 22:00 Uhr hielt Goebbels in München eine Rede, in der er die anwesenden Gauleiter und SA-Führer zur Zerstörung der Synagogen und jüdischen Geschäfte aufforderte. Dass daraufhin auch der mecklenburgische Gauleiter Friedrich Hildebrandt, der im Festsaal des alten Rathauses zusammen mit Reinhard Heydrich und anderen ranghohen NS-Führern saß, wie diese zum Telefonhörer griff und den Befehl an die zuständigen Gauamtsleiter in Schwerin weitergab, daran gibt es eigentlich keinen Zweifel. Trotzdem dauerte es in Mecklenburg länger als anderswo, bis die Partei aktiv wurde. Es war keineswegs so, dass die SA-Trupps schon überall in Bereitschaft lagen.
Während in Süd- und Westdeutschland schon kurz nach Mitternacht die Schläger ausrückten, um Feuer zu legen, zu plündern und zu zerstören, begann das Pogrom in Mecklenburg erst gegen 5 Uhr morgens. Zuerst – gegen 5:20 Uhr – brannte die Güstrower Synagoge. Zur gleichen Zeit gab die Staatspolizeistelle Schwerin Verhaltensmaßregeln an alle örtlichen Polizeidienststellen. Kurz nach 5:30 Uhr rief Kriminalassistent Dabbert von der Gestapo in Schwerin den Ludwigsluster Stadtrat Paul Hoffmann an und ordnete an, dass gegen Brände von Synagogen und Zerstörung von Wohnungen und Geschäften von Juden nicht einzuschreiten sei. Plünderungen und Misshandlungen sollten aber durch die Polizei verhindert werden. Wohlhabende Juden seien zu verhaften. Um 6 Uhr stand auch die Synagoge in Alt-Strelitz in Flammen. Zur gleichen Zeit drangen Männer in braunen Uniformen in die Synagoge in Teterow ein und verwandeln sie in einen »Trümmerhaufen«, in Neubrandenburg wurde das Konfektionsgeschäft Wolff verwüstet. Gegen 7 Uhr wurden in Waren die Geschäfte von Georg Baruch und Max Loewenberg demoliert. Auch in Schwerin fand die Zerstörung der Geschäfte und der Synagoge in den frühen Morgenstunden des 10. November statt. In den meisten mecklenburgischen Städten hatten die Vandalen ihr Werk bis Tagesanbruch vollendet.
Nur in Rostock, wo die Größe der jüdischen Gemeinde offenbar besondere Vorbereitung erfordert hatte, sah der Ablauf etwas anders aus. Die Zerstörungen begannen hier einige Stunden später. Gegen 8:30 Uhr stand die Synagoge in Flammen. Gegen 10 Uhr drangen etwa 50 »SS-Burschen« in das Haus des Rechtsanwalts Josephy ein, warfen die Möbel aus dem Fenster und zerschlugen die gesamte Inneneinrichtung. Während in den anderen Städten Mecklenburgs zumeist nur die Geschäfte verwüstet wurden, wurden in Rostock offenbar auch systematisch die Wohnungen heimgesucht. An mehr als 60 Orten in der Stadt wüteten die Schlägertrupps der SA hier bis in den Nachmittag des 10. November hinein. Weiter – hier
(aus: Bernd Kasten, Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945, Schwerin 2008)
Mehr Informationen
- Saul Friedländer, Orna Kenan: Das Dritte Reich und die Juden. 1933-1945. München 2010 – hier
- Bernd Kasten: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945. Schwerin 2008 – hier
- Dorothee Freudenberg: Geschichte der jüdischen Gemeinde Stavenhagen 1750-1942. Schwerin 2020 – hier
- Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Juden in Mecklenburg 1845-1945. Schwerin 2019 – hier
Extra
Mittwoch, 14 Uhr in Schwerin
Im Dokumentationszentrum Schwerin wird die Ausstellung „Aufbruch im Norden. Die Friedliche Revolution in Mecklenburg-Vorpommern 1989/1990“ eröffnet sowie das Projekt „Virtuelle Zeitzeugenarbeit – Spurensuche in analogen und digitalen Erfahrungsräumen“ vorgestellt. Los geht’s um 14 Uhr. Das Programm – hier
Vorschau
16. November, 18 Uhr in Rostock
Rostock im Herbst 1989. „Es gärte an allen Orten“, erinnert sich Pastor em. Arvid Schnauer. Er hatte damals u.a. Friedensandachten organisiert und war im Gerechtigkeitsausschuss aktiv. Schon die erste Sitzung, so Schnauer, „brachte manche Überraschungen.“ Unser Interview vor der Veranstaltung von Volkshochschule und Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock am 16. November. Mit Arvid Schnauer – einem Zeitzeugen der Friedlichen Revolution.