„Nicht verrecken“ ist eine Dokumentation über die Todesmärsche 1945. Gezeigt wurde der Film u.a. bereits auf dem Filmkunstfest MV. Am 13. Oktober startet die von der LpB geförderte Doku in ausgewählten Kinos.
Die Dokumentation
Am Ende des Zweiten Weltkrieges, im April 1945, werden zehntausende KZ-Häftlinge von Sachsenhausen und Ravensbrück auf lange, mörderische Fußmärsche in Richtung Ostsee gezwungen. Sie durchqueren Dörfer in Brandenburg und Mecklenburg, wo Bewohner/innen verstohlen hinter den Fenstern stehen und das Geschehen beobachten.
Die Überlebenden werden schließlich vor den Toren Schwerins befreit. Sechs Jahre hat Martin Gressmann Zeitzeugen recherchiert und mit ihrer Hilfe den Weg und das Grauen der letzten Kriegstage nachgezeichnet.
Eine Dokumentation gegen das Vergessen. In Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern.
Die Protagonisten
Karol Gydanietz, geboren am 6. Dezember 1924 in Tczew (Dërzewò, Dirschau), Polen. Schüler am Gymnasium Gdingen. Am 4. Juni 1940, im Alter von 15 Jahren, Verhaftung durch die Gestapo. Ab Juli 1940 Zwangsarbeit bei dem Aufbau des KZ Stutthof bei Danzig. Februar 1941 Überstellung in das KZ Sachsenhausen, Block 34, dem Jugendblock. Einsatz als Läufer auf der Schuhprüfstrecke. Ende April 1945 Todesmarsch. Befreiung am 4. Mai 1945 in Crivitz, Mecklenburg. Rückkehr nach Tczew im Sommer 1945. Beendigung der Schule, Studium der Forstwirtschaft. Arbeit in der Verwaltung und als Förster in Kaschubien (Polen).
Alexander Nesanel Fried, geboren am 7. Mai 1925 in Królová (Ukraine). Verhaftung und Inhaftierung in der Slowakei. 1944 Überstellung nach Sachsenhausen mit dem Bruder. Todesmarsch Ende April 1945 bis vor Schwerin. Im Sommer Rückkehr nach Silein, CSSR. 1950 Flucht nach Österreich. 1955 Promotion an der Universität Wien. 1960-64 Kulturdezernent beim Zentralrat der Juden in Deutschland. 1964 Geschichtsprofessur an der ULB in Brüssel, dann Professuren in Halifax, London, Tel Aviv u.a. Um das Jahr 2000 Übersiedlung von Marienbad/Tschechische Republik nach Tirschenreuth in der Oberpfalz.
Simcha Applebaum, geboren am 6. Oktober 1927 in Malcz (Pyrzycki) im heutigen Belarus. Im November 1941 wird die Familie nach Bereza Kartus deportiert. Vom Ghetto in Pruzhany flieht er zu jüdisch-sowjetischen Partisanen in die Wälder und unter dramatischen Umständen zurück ins Ghetto Pyrzycki. Anfang 1943 wird die gesamte Familie im Todeslager Birkenau ermordet, er überlebt aufgrund einer Gleisverlegung zum Hauptlager. Aufbau der Krematorien und des Sinti/Roma-Lagers in Birkenau. Ab Januar 1945 Todesmarsch von Auschwitz nach Gleiwitz, KZ Buchenwald, KZ Sachsenhausen. Am 3. Mai bei Schwerin befreit. 1946 Übersiedlung nach Israel. Er kämpfte in allen vier Kriegen bis zum Yom-Kippur-Krieg, zuletzt als Oberst. Mitbegründer des Kibbutz Netzer Sereni, dort Planzen- und Baumzüchter.
Roger Bordage, geboren 1925 in Paris. Kämpft als Gymnasiast 1942 für die Résistance, wird am 13. März 1943 von SD und Vichy-Polizei an der spanischen Grenze gefasst. Über das Lager Compiègne wird er im Mai 1943 ins KZ Sachsenhausen gebracht. Zwangsarbeit im Klinkerwerk und Heinkelwerk. Todesmarsch mit einer Fußverletzung, den er dank der Kameradenhilfe überlebt. Befreiung bei Parchim im Mai 1945. Rückkehr nach Paris, um die Schule zu beenden. Studium der Erziehungswissenschaften. Sachverständiger bei der Unesco für Südamerika, Afrika und Asien. Umzug nach New York und wieder zurück nach Frankreich. Vorsitzender des Sachsenhausen-Komitees ab April 2010.
Marcel Souillerot, geboren am 9. Juni 1923 in Dijon. Ausbildung zum Feinmechaniker. Verteilt als Mitglied der Kommunistischen Jugend Flugblätter gegen die deutschen Besatzer in Burgund. Wird am 6. Oktober 1941 durch die Vichy-Polizei festgesetzt. Kommt über verschiedene Lager wie Rouillé und Compiègne im Januar 1943 ins KZ Sachsenhausen. Zwangsarbeit im Klinkerwerk und Heinkelwerk. Nach dem Todesmarsch Befreiung durch die Rote Armee in Zabel-Ausbau am 4. Mai 1945. Zurück in Burgund und Arbeit bei der französischen Eisenbahn SNCF, Gewerkschaftler bei der CGT. Zeitzeuge in Schulen und Jugendeinrichtungen Ostfrankreichs. Präsident der Vereinigung der Deportierten und Widerstandskämpfer der Côte-d’Or.
Wladimir Wojewodchenko, geboren 1925 in der Ukraine. Wächst dort als Waise auf. Wird Anfang 1942 als „Hilfswilliger“ nach Deutschland gebracht. Aufnahme im Straflager Wuhlheide im April 1942, von dort Flucht bis zur polnischen Grenze, Gefangenenahme und Zuchthaus Spandau. Im Juli 1942 kommt er ins KZ Sachsenhausen, dort in den Jugendblock 34. Einsatz im Kommando Speer, schwere Krankheit und Genesung im Kommando Kartoffelschale in der Lagerküche. Todesmarsch ab 22. April 1945. Befreiung im Wald bei Crivitz durch die Rote Armee. Schwerverwundet im Lazarett der Roten Armee bis zum Herbst 1945. Verhöre des KGB wegen „illegalen Aufenthalts in Deutschland“ im Oktober 1945. Im Januar 1946 Aufnahme eines Studiums in der Flugschule Serpuchow bei Moskau. Im Oktober 1946 wieder KGB-Verhöre und Verurteilung zu drei Jahren Arbeitslager in Piesetzk in der Region Archangelsk. Entlassung nach 1955. Aufnahme eines Jurastudiums. Arbeit in der Flugzeug-Industrie und später, ab 1962, als Kolchose-Vorsitzender.
Serge Dimitref, geboren 1922 in Paris. Als Jugendlicher Résistance-Anhänger. Festnahme 1943 in der Nähe von Dax durch die Vichy-Polizei, bei dem Versuch nach Nord-Afrika zu den französischen freien Truppen zu gelangen. Kommt über mehrere französische Lager, auch Compiègne, Ende 1943 in das KZ Sachsenhausen, Block 25. Zwangsarbeit im Klinkerwerk. Todesmarsch ab 22. April 1945. Befreiung in Zabel-Ausbau durch die Rote Armee. Wird in den Adolf Hitler-Kasernen in Schwerin gesund gepflegt. Im Juli 1945 Rückkehr nach Paris zur Familie. Lebt in Südfrankreich.
Eduard Michailovich Simowez, geboren um 1925 in Kiew /Ukraine. Ab 1941 in Deutschland. Bildet im KZ Sachsenhausen in der Baracke 10 mit mehreren jungen Gleichgesinnten eine Widerstandsgruppe. Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen der Allierten in Berlin und Oranienburg, auch im Heinkel- Flugzeugwerk. Todesmarsch ab 22. April 1945. Im Sommer 1945 Rückkehr nach Kiew.
Guy Chataigné, geboren am 18.Januar 1924 in Haute-Saintonge (Jonzac).1942 Widerstandskämpfer in der Charente Maritime, Gefängnisaufenthalt, auch im Lager Compiègne. Ab dem 25. Januar 1943 im KZ Sachsenhausen. Zwangsarbeit im Klinkerwerk und im Heinkelwerk. Am 21. April 1945 Ausmarsch aus dem Lager. Am 2. Mai, kurz vor Schwerin, „frei ohne befreit worden zu sein“. Eine Woche in der Stadt mit Kameraden in Selbstorganisation. Rückkehr mit Eisenbahnzügen durch Westdeutschland und Belgien. Heimkehr in die Charente über das Hotel Lutecia in Paris und die Vendée. Beendigung der Ausbildung. Im Februar 1946 Anstellung im örtlichen Arbeitsministerium, dort Abschluss als Arbeits- und Sozialbeamter. Heirat 1949. Arbeit in Südfrankreich im Arbeits- und Sozialrechtwesen.
Otto Ernst Redner, geboren am 29. März 1909 im Kreis Rosenberg in Westpreußen. Übersiedelung 1925 nach Berlin-Moabit. Tischlerlehre, Arbeitslosigkeit. Anhänger des Roten Frontkämpferbundes. 1933 Verhaftung und Folter in den Gestapo-Gefängnissen Prinz-Albrecht-Str. und Columbia-Haus. Verurteilung wegen Hochverrats zu 15 Jahren Zuchthaus. Am 3. Dezember 1943 Überstellung in das KZ Sachsenhausen. Baracke 59, zeitweilig auch Läufer auf der Schuhprüfstrecke. 1944 Lebensrettung durch seinen Kameraden Emil Gdanitz in der Krankenstation des Lagers. Todesmarsch ab 21. April 1945, befreit Anfang Mai im Wald bei Parchim. Im Sommer 1945 Polizeidienst in Berlin-Charlottenburg. 1952 Übersiedlung in den Ostteil Berlins. Danach Eisenbieger bei dem Bau der Stalinallee, Arbeiter bei dem Zirkus Busch, selbständiger Altstoffhändler und Landwirt.
Josef Tandlich, geboren am 18. April 1930 in Spišské Tomášsovce (Tornsdorf) in der westlichen Slowakei. Im August 1944 inhaftiert im Gefängnis Kežmarok. Von dort nach Auschwitz, weiter in das KZ Ravensbrück und von dort im Februar 1945 in das KZ Sachsenhausen. Ab 22. April Todesmarsch. Ende April im Belower Wald. Schlägt sich mit Bruder und Cousin nach der Befreiung zu Fuß nach Berlin durch. Zurück in der Slowakei beendet er die Schule und bildet sich zum Zahntechniker aus. Emigration nach Israel. Zahnmedizinstudium in Wien. Nach Studienabschluss Rückkehr nach Israel und Arbeit als Zahnarzt.
Zwi Steinitz, geboren am 1. Juni 1927 in Poznań/Posen. Wird mit den Eltern und dem Bruder gezwungen, vom November 1939 bis 1942 im Krakauer Ghetto zu leben. Dort wird die Familie ermordet. Von Dezember 1942 bis Februar 1944 im KZ Plaszow, dann im KZ Auschwitz. Bei Siemens im Außenlager Bobrek. Von dort im Januar 1945 Todesmarsch Richtung Buchenwald. Über Lager Haselhorst/Berlin zum KZ Sachsenhausen, von dort Todesmarsch ab 21. April 1945. Anfang Mai Befreiung bei Raben Steinfeld nahe Schwerin. Ende Mai 1946 Umzug nach Haifa. Aufbau der Kibbuzim Afikim und Netzer Sereni. Experte für den internationalen Blumengroßhandel aus Israel.
Chronologie
Herbst 1944: Die SS plant die Evakuation des Lagers Sachsenhausen. Erfahrungen aus osteuropäischen Ausmärschen und Transporten werden aufgearbeitet.
Ab 9. Februar 1945: Die Sachsenhausener Außenlager werden aufgelöst und deren Häftlinge in das Stammlager bei Oranienburg gebracht.
Februar 1945: Über 200 Gefangene, denen man militärische Kenntnisse oder Führungspersönlichkeit unterstellt, werden in Sachsenhausen ermordet. Im KZ Ravensbrück werden im Januar und Februar 1945 5.000-6.000 weibliche Gefangene ermordet.
Ab 21. April 1945: Etwa 33.000 Häftlinge verlassen das KZ Sachsenhausen, etwa 3.000 bleiben auf den Krankenstationen zurück.
Um den 26. April: Zwischen 16.000 und 18.000 Todesmarschierer werden im improvisierten Lager im Belower Wald bei Wittstock gehalten. Hier kann das Rote Kreuz Nahrungspakete verteilen.
Ab dem 29. April: Die Kolonnen müssen weitermarschieren.
Etwa 10.000 weibliche und 1.000 männliche Häftlinge werden von dem KZ Ravensbrück auf eine parallele Route gezwungen.
Zwischen 2. und 5. Mai: Die Überlebenden der Todesmärsche werden in einem Gebiet südlich von Schwerin, um Crivitz, Raben Steinfeld und in Blieversdorf befreit.
Extra
Erstmals ist auf dem Filmkunstfest MV der Förderpreis „Gedreht in MV“ für einen Film aus dem Festivalprogramm verliehen worden. Der Preis beinhaltet eine Präsentationsförderung in Höhe von 5.000 Euro – ausgezeichnet wurde die Dokumentation „Nicht verrecken“.
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