Digital durch das Stasi-Gefängnis

Vom / Demokratie, LpB, Zeitzeugen

Für viele Besucherinnen und Besucher des Schweriner Dok-Zentrums sind sie ein besonders eindrucksvoller Teil der Ausstellung: die früheren Gefängniszellen. Hinter den Türen im Obergeschoss reist die Zeit in die Jahre 1950 bis 1989 zurück. Für diese Jahrzehnte soll die Ausstellung nun um digitale „Räume“ erweitert werden. Denn die Gedenkstätte macht mit bei „Jugend erinnert“. 

Schwerin. Obotritenring 106. Wer den Eingang am schmalen Gebäudegiebel hinter sich lässt, steht in einer anderen Zeit. Einer Zeit, die ihren Bogen durch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts spannt. 1916 ihren baulichen Anfang nimmt, 1989 historisch endet und sich dazwischen wie ein roter Faden durch die Justiz- und Repressionsapparate der Jahrzehnte spannt. Unter den Nationalsozialisten. Unter der sowjetischen Militäradministration. Unter der SED-Diktatur. In jeder dieser Diktaturen war der graue, langgezogene Bau ein Gefängnis. Heute erinnert er als Dokumentationszentrum an Opfer und Schicksale. 

Virtuelle Zeitzeugenarbeit 

Manja Krausche kümmert sich im Dok-Zentrum Schwerin um das Projekt „Jugend erinnert“. In der digitalen Umsetzung wird es auch um die Herbsttage 1989 gehen. Fotos: S. Kuska (3)

Das Büro von Manja Krausche liegt nur wenige Schritte vom Zellentrakt entfernt. Jenem Teil des Gebäudes, in dem sich über drei Etagen zig Meter weit Zellentür an Zellentür reiht. Ihre Arbeit führt die Historikerin immer wieder die eisernen Treppen hinauf, bis ganz nach oben. In den Teil der Ausstellung, der sich mit jenen Jahrzehnten befasst, in denen das Gebäude eine Untersuchungshaftanstalt der Stasi war. Bilder, Info-Tafeln und Mappen lassen die Besucher hier in Geschichte und Geschichten, Namen und Schicksale tauchen. Von den 1950er-Jahren bis zum Zusammenbruch der DDR. Eine Zeitreise, die nun um digitale Komponenten ergänzt werden soll. 

Grundgedanke ist, insbesondere Jugendlichen mit zeitgemäßen Zugängen Anreize zu bieten, sich mit der SED-Diktatur und ihren Folgen auseinanderzusetzen. Eine Idee, die der Bund über sein Förderprogramm „Jugend erinnert“ unterstützt – und die Manja Krausche als Projektleiterin nun mit Leben füllt. „Virtuelle Zeitzeugenarbeit – Spurensuche in digitalen und analogen Erfahrungsräumen“ heißt der Rahmen, in dem sie sich dabei bewegt. Gefüllt werden soll er mit Zeitzeugeninterviews, einer digitalen Plattform und einer Actionbound durch die Stadt. 

Vier Jahrzehnte, fünf Interviews 

Das Dokumentationszentrum ist eine Einrichtung des Landes. Trägerin ist die Landeszentrale für politische Bildung. 

Das bedeutet zunächst einmal: eine Menge Recherche. Allem voran nach Menschen, die als junge DDR-Bürger einst hier in U-Haft saßen – und bereit sind, exemplarisch für jedes Jahrzehnt ihre Geschichte zu erzählen. „Je weiter wir in der Zeit zurückgehen, umso schwieriger wird es, noch Zeitzeugen zu finden.“ Ein Jahrzehnt auszulassen, komme für sie nicht infrage. „Jede Zeit spiegelt sich auch bei den Haftgründen und Haftbedingungen wider.“ Am Ende sollen fünf Interviews entstehen. Vier Jahrzehnte – fünf Interviews? „Unser fünfter Gesprächspartner saß nicht in Haft. Er berichtet über andere Formen der Repression, die ihm widerfahren sind.“ 

Über eine digitale Plattform sollen die audiovisuellen Interviews dann in einen Gesamtkontext gebettet und in die Bildungsarbeit des Dok-Zentrums integriert werden. Für Workshops vor Ort. Oder die digitale Arbeit im Unterricht. „Bei uns im Haus stellen wir den Jugendlichen dann auch Tablets zur Verfügung.“

Jugendliche entwickeln Actionbound mit 

Parallel zu den Interviews, die demnächst aufgezeichnet werden, entwickelt Manja Krausche mit weiteren Zeitzeugen und einer Schweriner Schulklasse eine sogenannte Actionbound. Entstehen soll eine Tour, die markante Orte der Innenstadt zu einem interaktiven Rundgang verbindet. „Hier liegt unser Fokus auf den Jahren 1989 und ’90.“ Sie soll bis Jahresende fertig sein und nach einer kurzen Testphase ab dem 2. Schulhalbjahr als Bildungsangebot zur Verfügung stehen. 

Das Schweriner Projekt zu „Jugend erinnert“ ist bis August 2023 befristet. Es soll dann aber nicht zu Ende sein, betont Manja Krausche. „Wir legen damit einen Grundstock, der sich später jederzeit um weitere Themen und Interviews ergänzen lässt.“ 


Info-Veranstaltung für Schulen 

Einen ersten Termin, um Lehrkräften das Projekt „Jugend erinnert“ vorzustellen, gibt es auch schon: Donnerstag, 17. November. Geplant ist ein digitales Meeting. Neben Manja Krausche wird auch Luisa Taschner dabei sein, die „Jugend erinnert“ am Grenzhus Schlagsdorf betreut. Wer sich für die digitale Veranstaltung anmelden möchte, kann das bei Manja Krausche tun: unter m.krausche@lpb.mv-regierung.de oder 0385/745 299 12. Über sie gibt es später auch nähere Infos zur Zeit und einen Zugangslink.


„Jugend erinnert“ ist ein Förderprogramm des Bundes. Gefördert werden Projekte, in denen sich junge Menschen mit der Geschichte und den Folgen des SED-Unrechts auseinandersetzen. Damit soll auch das Demokratiebewusstsein von jungen Leuten zwischen 12 und 27 Jahren und das Wissen um die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie gestärkt werden. Bis Ende 2023 werden 44 Vorhaben aus 11 Bundesländern gefördert, die das Leben und den Alltag in der kommunistischen Diktatur, die Realität der deutschen Teilung, jugendliche Subkulturen in der DDR und weitere Themen über altersgerechte Vermittlungsformate erfahrbar machen. Koordiniert wird das Programm von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Aus MV sind zwei historische Orte mit Projekten dabei: das „Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland“ in Schwerin und das Grenzhus in Schlagsdorf. 

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