17. Juni – der Hintergrund

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Sowjetischer Panzer in der Schützenstraße in Berlin. Foto: Bundesarchiv

17. Juni 1953. Das Datum steht für mutige Menschen in der DDR, die sich in Massenprotesten öffentlich gegen das SED-Regime auflehnen. Für einen Protest, der sich zu einem Volksaufstand entwickelt – und blutig niedergeschlagen wird. Am Freitag erinnert eine Gedenkveranstaltung in Rostock an den 17. Juni.

Die Ausgangslage

1952. Dem sowjetischen Diktator Stalin und der SED-Führung – Generalsekretär Walter Ulbricht, Staatspräsident Wilhelm Pieck und Ministerpräsident Otto Grotewohl – ist klar, dass sich die Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich nicht aus Westdeutschland zurückziehen werden. Bei einem Treffen im April in Moskau verlangt Stalin, die sozialistischen Strukturen in der DDR auszubauen. Im Juli wird der planmäßige Aufbau des Sozialismus auf der II. SED-Parteikonferenz beschlossen. Dazu gehörten unter anderem folgende Schwerpunkte:

Zentralisierung

Die fünf Länder Mecklenburg, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen – und mit ihnen die Landtage und Landesregierungen – werden aufgelöst. Stattdessen wird die DDR in 14 zentral verwaltete Bezirke eingeteilt. Und ein zentralistischer Einheitsstaat.

Kollektive Landwirtschaft

Landwirte sollen sich zu Produktionsgenossenschaften, den LPGs, zusammenschließen, Flächen kollektiv bewirtschaftet werden. Dazu sollen die Bauern Land, Maschinen, Vieh und Gebäude in die Genossenschaften einbringen. Wer sich nicht freiwillig anschließt, wird mit wirtschaftlichen Benachteiligungen unter Druck gesetzt. Zahllose Betriebe werden enteignet, ihre Nutzflächen den LPGs zugeschlagen. Viele Bauern flüchten. Die Produktivität der Genossenschaften bleibt hinter den Erwartungen zurück. Die Versorgung der Menschen mit Grundnahrungsmitteln leidet.

Mehr Schwerindustrie, Rüstung und Soldaten

Dieser Fokus bindet Mittel und Arbeitskräfte, die der Konsumgüter- und Lebensmittelindustrie fehlen. Die Wirtschaft steckt in der Krise.

Harte Hand gegen den Mittelstand

Private Betriebe, Handwerker, Händler, Gaststätten- und Hotelbesitzer, Speditionsunternehmer werden enteignet. Die Arbeitsnorm – also das vom Staat verordnete Pensum – wird um 10 Prozent erhöht. Der Lohn nicht. Preise für alltägliche Lebensmittel steigen. Viele Waren sind knapp.

Kampf gegen die Kirche

Auch gegen Kirchen geht die SED vor. Religionsunterricht wird verboten. Pfarrer, die systemkritisch predigen, laufen Gefahr, verhaftet zu werden. Es kommt zu Schauprozessen. Die „Junge Gemeinde“ wird zur illegalen Jugendorganisation erklärt. Viele christliche Schüler müssen die Oberschule verlassen.

Die Folgen

Die Lebensbedingungen vieler Menschen verschlechtern sich. Der Unmut in der Bevölkerung wächst. Die Zahl derer, die in den Westen flüchten, steigt. Die Zahl der politischen Gefangenen auch. Die sowjetische Führung zieht die Notbremse und verordnet der SED-Führung eine schnelle Kehrtwende. Politbüro und Ministerrat bekennen öffentlich, Fehler gemacht zu haben und kündigen an, die Maßnahmen zurückzunehmen. Der Mut zum offenen Protest wächst dennoch – auch, weil die Normerhöhung bestehen bleiben soll. Es brodelt im ganzen Land.

Aufstand im ganzen Land

Am 15. und 16. Juni 1953 streiken zunächst Bauarbeiter in Berlin. Einen Tag später erfasst der Aufstand die gesamte DDR. Rund eine Million Menschen sind dabei. Sie stürmen und besetzen Gebäude. Bestreiken Betriebe. Demonstrieren für bessere Lebensbedingungen. Für Demokratie, Freiheit, Wiedervereinigung. Und den Rücktritt der Regierung. Es ist das erste Mal, dass sich die Menschen öffentlich gegen das System erheben. Mit Hilfe sowjetischer Panzer und Truppen schlägt das SED-Regime den Aufstand nieder. Mehr als 50 Menschen werden getötet, Hunderte verletzt, Tausende verhaftet und zu langen Haftstrafen oder Zwangsarbeit verurteilt. Sieben zum Tode.

Nach dem Aufstand

Die SED verkaufte den Aufstand als eine von westlichen Provokateuren angezettelte Konterrevolution und verstärkte ihren Überwachungs- und Repressionsapparat.

Die Bundesrepublik Deutschland erklärte den 17. Juni als „Tag der deutschen Einheit“ zu einem gesetzlichen Feiertag. Er soll an die Menschen erinnern, die für ihre Rechte und Freiheit gekämpft haben. Und daran, dass beide Teile Deutschlands zusammengehören. Mit der Wiedervereinigung wird der 3. Oktober zum „Tag der Deutschen Einheit“. Der 17. Juni erhält den Status eines Gedenktages. Bis heute wird mit Ausstellungen und Veranstaltungen an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 erinnert. So wie am Mittwoch auf der Gedenkfeier in Stralsund. (Quellenbasis: bpb.de)

Weitere Infos

Auf ihrer Website bietet die Bundesstiftung Aufarbeitung einen eigenen Themenschwerpunkt zum 17. Juni 1953 an: www.bundesstiftung-aufarbeitung.de

Gedenken in Rostock

An den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 erinnern die Landesbeauftragte für MV für die Aufarbeitung der SED-Diktatur Anne Drescher und der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung MV Jochen Schmidt am 17. Juni 2022 um 12.30 Uhr mit einer Kranzniederlegung an der Gedenktafel für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft am Haus der Justiz in der August-Bebel-Straße in Rostock.

Hintergrund

Der 17. Juni 1953 im Nordosten

Der 17. Juni 1953 ist als zentraler Tag des Volksaufstandes in der DDR in die Geschichtsbücher eingegangen. Der Zorn über Misswirtschaft und Arroganz der Herrschenden erfasste die ganze DDR – auch den Nordosten.

Der NDR hat diese Orte auf einer Karte zusammengefasst. Hier einige Beispiele:

Rubow, 17. Juni 1953: Als im Gemeindebüro der Befehl zur Verhängung des Ausnahmezustandes eintrifft, fordert ein junger Mann: „Wir müssen die Russen rausjagen“ und berichtet, was er im RIAS aus Berlin gehört hat. Er wird einen Tag später zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Teterow, 17. Juni 1953: Hunderte Menschen versammeln sich und fordern die Freilassung der politischen Gefangenen, einige Häftlinge kommen tatsächlich frei.

Grabow, 17. Juni 1953: Sowjetische Soldaten greifen bei einer Demonstration auf dem Marktplatz in Grabow ein. Dort werden freie Wahlen gefordert.

Barth, 17. Juni 1953: Arbeiter des Landmaschinenbaus streiken.

Thurow, 17. Juni 1953: In der LPG erklären sechs Genossenschaftsbauern ihren Austritt.

Grimmen, 17. Juni 1953: Laut eines Berichts der Rostocker Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei legen neun Maurer der Bau-Union für acht Stunden die Arbeit nieder, sie erklären sich mit ihren Kollegen in Berlin solidarisch.

Wismar, 17. Juni 1953, Matthias-Thesen-Werft: Zwei sowjetische Panzer werden zum „Objektschutz“ herangezogen. In der Nacht wird auf der Werft ein Stalin-Bild abgerissen.

In Wismar gehen rund 1.400 Menschen auf die Straße, in Stralsund am 18. Juni sind es mehr als 2.000. Auf der Warnow-Werft in Warnemünde versammeln sich die Arbeiter und fordern neben der Rücknahme der Arbeitsnormen freie Wahlen und die deutsche Einheit.

Der sowjetische Militärkommandant verhängt vielerorts den Ausnahmezustand, es herrscht striktes Versammlungsverbot, von 22 Uhr abends bis 6 Uhr morgens Ausgangssperre.

(Aus: NDR: 17. Juni 1953: Panzer gegen Parolen)

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