Anklam, Burgstraße 9. „DemokratieLaden“ steht in großen Buchstaben an den Schaufenstern der gelben Hausfassade. Das Glas gibt den Blick frei auf Bücher, Termine, Schlagworte und Zitate. Auf einen Ort für politische Bildung.
DemokratieLaden – was ist das eigentlich? Darüber sprachen wir mit Annett Freier und Dr. Lars Tschirschwitz, den beiden Mitarbeitern.
Seit wann und warum gibt es den DemokratieLaden?
Annett Freier: Wir haben 2007 als Projekt angefangen. Seinerzeit war die Bundeszentrale für politische Bildung der Initiator und Förderer. Ausgangspunkte waren die Strukturschwäche und ländliche Prägung der Region und die gewachsenen extremistischen Strukturen nach 1990. Die Vermutung lag nahe, dass sich die immer stärker werdende rechtsextreme Szene hier, im östlichen Vorpommern, deshalb so gut etablieren konnte, weil die Zivilgesellschaft hier nicht so stark war und Probleme bisweilen von Verwaltung und Politik auch unter den Teppich gekehrt wurden. Die Idee war daher, einen Verein zu gründen und viele Akteure der Region darin einzubinden – und ein Netzwerk zu schaffen, das sich über den gesamten Landkreis erstreckt. Daraus ist dann 2011 in Trägerschaft der Landeszentrale für politische Bildung der DemokratieLaden entstanden – als sichtbarer Ort, den jeder besuchen kann.
DemokratieLaden – was verbirgt sich hinter diesem Angebot?
Annett Freier: Wir bieten Veranstaltungen an, wir helfen anderen, eigene Veranstaltungen zu organisieren. Wir stehen Interessenten zum Beispiel bei Projektförderungen beratend zur Seite und wir bringen aus unserem großen, über viele Jahre gewachsenen Netzwerk Akteure zusammen. Wichtig für uns ist dabei, den Partnern in der Region keine Vorgaben zu machen, sondern auf den Bedarf zu reagieren und zu kooperieren. Und natürlich halten wir im Laden selbst die Publikationen der LpB für Interessierte bereit.
Lars Tschirschwitz: Klarer Grundsatz unserer Arbeit ist der Beutelsbacher Konsens, in dem Überparteilichkeit ein wichtiger Punkt ist. Wir sind keine Partei und handeln auch nicht für eine Partei. Das gibt uns ganz andere Möglichkeiten, zu agieren und Themen anzupacken.
Was war die größte Herausforderung für Ihre Arbeit?
Annett Freier: Am Anfang, ganz klar: Vertrauen zu gewinnen! Die Landeszentrale für politische Bildung war ja von Anfang an als Projektträger mit an Bord – aber zunächst war es in dieser Zeit ein Projekt, das von außen kam. Unser Anspruch war deshalb, nicht mit fertigen Konzepten zu kommen und den Menschen vor Ort die Welt zu erklären, sondern die Gegebenheiten gemeinsam zu analysieren und die Akteure vor Ort zu unterstützen, individuelle Angebote und Lösungen zu finden. Was sind die Instrumente einer demokratischen Gesellschaft? Wie funktionieren sie? Wie stellt man eine Gesprächskultur her? Wie organisiert man einen Rahmen dafür, dass alle Beteiligten auf Augenhöhe miteinander reden können? Das sind bis heute wichtige Grundlagen unserer Arbeit.
Wie haben Sie das Vertrauen und Mitstreiter gewonnen?
Annett Freier: Das war mühsame Pionierarbeit. Meine damalige Kollegin und ich haben ununterbrochen Klinken geputzt, um uns vorzustellen. Beim Bürgermeister und Pastor. Bei Gemeindemitarbeitern und engagierten Bürgerinnen und Bürgern. In Gemeindevertretersitzungen. Dabei sind uns viele Vorurteile begegnet. Zum Beispiel, dass der Bund mal wieder Geld für Eintagsfliegen rauswerfe oder wir nur im Mist anderer rumstochern wollen. Die Leute davon zu überzeugen, dass wir genau das nicht wollen, erforderte eine Menge Geduld und Beharrlichkeit.
Und heute: Ist es einfacher geworden?
Annett Freier: Es ist anders geworden. Wir sind inzwischen in der Region bekannt und haben ein großes Netzwerk. Das macht vieles einfacher. Sich neue Zugänge zu erschließen, ist aber nach wie vor eine Herausforderung. Viele Impulse kommen dabei von Leuten, die zugezogen sind.
Woran liegt das?
Annett Freier: Für sie ist es viel leichter, Probleme zu erkennen oder zu benennen, gerade im ländlichen Raum. Alteingesessene leben dort in anderen gemeinschaftlichen Strukturen und haben viel größere Hürden zu überwinden.
Lars Tschirschwitz: Man kennt sich untereinander ganz anders. Ein Rechtsextremer nebenan – oft ist das ein ehemaliger Klassenkamerad. Oder jemand, mit dem man zusammen Fußball gespielt hat. Die Hemmschwelle, dem zivilgesellschaftlich etwas entgegenzusetzen, ist also eine ganz andere.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte stehen im Mittelpunkt Ihrer Arbeit?
Lars Tschirschwitz: Ausschlaggebend war, wie schon gesagt, das Erstarken rechtsextremer Strukturen in der Region. Das ist bis heute ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Aber bei weitem nicht der einzige. Oft sind es aktuelle politische Themen, aus denen ein Bedarf an Informationen oder Veranstaltungen erwächst. 2015/16 zum Beispiel, war die große Fluchtbewegung ein wichtiges Thema. In der Pandemie wurde die Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien relevant. Aktuell ist es der Ukraine-Krieg. Fragen im Zusammenhang mit der Europäischen Union stoßen ebenfalls auf Interesse. EU – das klingt weit weg. Nehmen Sie aber zum Beispiel die EU-Agrarpolitik. Ein globales Thema mit konkreten Folgen für Landwirtschaft und Umwelt, also dem Leben vor der eigenen Haustür. Das treibt die Leute natürlich um.
Annett Freier: Wir verstehen uns als Ansprechpartner für alle, die das Gefühl haben, ihnen brennt etwas auf den Nägeln – ganz gleich, ob das Themen wie die eigene Geschichte, Wahlen oder eben Klima oder Flucht berührt. Am Ende hängt ja oft alles mit allem zusammen. Wichtig ist, die Probleme herunterzubrechen und verständlich zu machen.
Sie sagen, Sie machen sich mit keiner Gruppe gemein und sind offen für Gespräche mit allen. Wie schwierig ist es, eigene politische Ansichten dabei außen vor zu lassen?
Lars Tschirschwitz: Wenn man die Meinungsfreiheit ernst nimmt, dann ist das eigentlich ganz einfach.
Annett Freier: Ich habe kein Problem mit einem komplett anders politisch ausgerichteten Menschen, wenn er mir vernünftig gegenübertritt. Im Gegenteil: Ich finde es hoch spannend, sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die ganz anders ticken, aber interessiert sind am Gespräch. Mit dieser Einstellung machen wir zu 90 Prozent positive Erfahrungen.
Gibt es Begegnungen, die Ihnen im Laufe der Jahre ganz besonders in Erinnerung geblieben sind?
Lars Tschirschwitz: Wir hatten mal eine Veranstaltung, bei der eine Gruppe einschlägig bekannter Neonazis reinmarschiert ist. In solchen Fällen ist es wichtig, schon im Vorfeld mit den örtlichen Sicherheitsbehörden in Kontakt zu stehen und Polizeibeamte auch sichtbar vor Ort zu haben. Das gibt einem die Sicherheit, sich mit anderen Teilnehmern der Veranstaltung zu beraten und sie entscheiden zu lassen, wie mit der Situation umzugehen ist. Wir übernehmen dann die Gesprächsleitung und lenken so die Aufmerksamkeit auf uns, damit es den anderen möglich bleibt, am Gespräch teilzunehmen und für uns die Sache unter Kontrolle zu behalten. Bei Verstößen gegen die von uns aufgestellten Regeln machen die Mitveranstalter vom Hausrecht Gebrauch. In diesem Falle sind die „Kameraden“ von selbst gegangen, weil der Einschüchterungseffekt nicht verfangen hat. Das hat die Leute gestärkt. In dem Moment, wo wir einigermaßen cool geblieben sind, konnten die anderen auch cool bleiben. Das schafft auch eine Vertrauensbasis. Ein anderes Beispiel ist eine Veranstaltung zur Geschichte des Volksliedes im Meiersberg, bei der 50 Leute, vom Kind bis zum 90-Jährigen, gemeinsam sangen „Die Gedanken sind frei“. Das war wirklich magisch.
Annett Freier: Das sind dann tatsächlich Sternstunden. Man darf nicht vergessen: Hier geht es um kleine Orte. Da bleiben Gespräche immer in den gleichen Zusammenhängen. Wenn es uns dann bei Veranstaltungen gelingt, verbindende Elemente zu schaffen und über brisante oder strittige Themen so zu diskutieren, dass es keine Anfeindungen gibt, sondern unterschiedliche Meinungen akzeptiert werden – dann ist das die Kultur, die wir uns wünschen.