Schicksale bleiben in Erinnerung

Vom / Landeskunde, LpB, Zeitzeugen

Foto: Landeszentrale für politische Bildung MV

Das Dokumentationszentrum in der Rostocker Hermannstraße. Seit Ende 2018 wurde das Gebäude saniert, Land und Bund investierten rund vier Millionen Euro. Vor der Eröffnung sprachen wir mit der neuen Leiterin Dr. Steffi Brüning über Pläne, Angebote – und Sonderbegehungen am 17. Juni.

In der Dokumentations- und Gedenkstätte steht ein Barkas-Transporter.

Dr. Steffi Brüning: Der Transporter vom Typ Barkas wurde als Gefangenentransporter vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) genutzt. Unser Ausstellungsexemplar wurde ursprünglich in Berlin eingesetzt, in Rostock gab es aber ebenfalls welche. Die Gefangenentransportwagen (GTW) in Rostock sollen mit Aufschriften getarnt gewesen sein, die für Unbeteiligte den eigentlichen Zweck verschleierten. So fanden sich in Rostock GTW mit den Aufschriften „Frischer Fisch“, „Arbeiterversorgung“, „VEB Brot und Backwaren“. In ihnen jedoch wurden Menschen transportiert, begleitet durch insgesamt drei bewaffnete MfS-Mitarbeiter.

Wo wurden die Menschen hingebracht?

Teilweise kamen Verhaftete damit in die Untersuchungshaft, häufiger aber wurden sie damit zu Gericht, ins Krankenhaus oder in den Strafvollzug transportiert. Im Kastenaufbau des Barkas befinden sich fünf kleine Zellen, ausgestattet mit gepolsterten Holzbrettern, die als Sitzmöglichkeit dienten. Diese fensterlosen Zellen boten wenig Platz und damit nahezu keine Bewegungsfreiheit. Außerdem findet sich eine gepolsterte Sitzbank für einen Wärter, der im Kastenaufbau mitfuhr. Sobald die Gedenkstätte wieder geöffnet ist, können Besucher/innen bei Bildungsveranstaltungen den Barkas ganz genau, auch von innen, ansehen.

Der Transporter ist Teil der Ausstellung. Was wird noch dazukommen?

Wir sind gerade dabei, verschiedene Objekte wieder in die Gedenkstätte zu installieren. Zuallererst richten wir eine Originalzelle mit einer rekonstruierten Zellenausstattung von 1988 ein. Die ersten Tage, Wochen, manchmal Monate verbrachten Betroffene hier allein in Isolationshaft. Daneben erhalten wir Objekte als Dauerleihgaben vom Stasi-Unterlagen-Archiv Rostock, die mit verschiedenen Einzelfällen verknüpft sind. So wird beispielsweise das Tagebuch einer Inhaftierten aus den 1980er Jahren, die allein protestierte und unter anderem Flugblätter herstellte, zu sehen sein. Die Besonderheit an diesem Stück: das Tagebuch ist auf Toilettenpapier geschrieben.

Am 2. Juli wird eröffnet. Was bleibt bis dahin zu tun?

Im Moment wird unsere Interimsausstellung gedruckt, die in der ersten Zeit nach der Wiedereröffnung als gute Basis für eine Erschließung des Ortes, seiner Geschichte und der Schicksale von Menschen, die hier inhaftiert waren, dienen kann. Daneben sind wir mit der Einrichtung der Ausstellungsbereiche, Seminar- und Büroräume beschäftigt. Da gibt es eine Menge zu tun, da das Haus nahezu komplett leer ist.

Außerdem knüpfen wir Kontakte zu Personen und Institutionen, um ein gut funktionierendes Netzwerk für die Bildungsarbeit und ein dauerhaftes Gedenken aufzubauen. Dazu gehören an erster Stelle natürlich ehemalige Inhaftierte, das Stasi-Unterlagen-Archiv Rostock und die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, aber auch viele andere wie beispielsweise die Universitäten in MV.

Sonderbegehung am 17. Juni. Foto: LpB

Zweieinhalb Jahre hat die Sanierung des Gebäudes gedauert. Worauf wurde besonders geachtet?

Aus ganz praktischer baulicher Sicht ging es um Themen wie Brandschutz, Sicherheit, Statik, aber auch Barrierefreiheit. Die Architekten von Stadt+Haus, die Projektleitung vom SBL Neubrandenburg und alle Beteiligten haben dabei immer auf die Besonderheiten einer Gedenkstätte geachtet. Viele sehr aufwendige Sanierungsarbeiten sind deswegen nicht sichtbar. Sichtbares, wie zum Beispiel der neue Eingangsbereich, der Aufzug oder auch Rekonstruktionen im „Freihof“, wurde mit großer Sorgfalt geplant und umgesetzt.

Sie werden die Gedenkstätte leiten. Was haben Sie sich vorgenommen?

Ich habe großen Respekt vor dieser Aufgabe, die im ersten Schritt vor allem die Wiedereröffnung und den Aufbau der Bildungsarbeit vor Ort beinhaltet. Wir können hier auf die langjährigen Erfahrungen des Stasi-Unterlagen-Archivs Rostock als ehemaligen Träger zurückgreifen. Mir ist ein großes Anliegen, ein würdiges Gedenken mit modernen, auch digitalen Lernformaten in Einklang zu bringen. Im nächsten Schritt werde ich langfristig an einer neuen Dauerausstellung und Bildungsformaten arbeiten. Wir werden die Arbeit in der Gedenkstätte Schritt für Schritt aufbauen, dabei auf Bewährtes zurückgreifen und gleichzeitig neue Akzente setzen.

An wen richtet sich das Angebot?

Die individuelle Besichtigung, Führungen und andere Bildungsformate richten sich grundsätzlich an die breite Öffentlichkeit. Vor der Sanierung waren Jugendliche aus der Region und Touristinnen und Touristen quantitativ die größten Besuchergruppen. Aber auch Studierende, Auszubildende, Erwachsene aus verschiedenen Kontexten besuchten die Gedenkstätte. Hier wollen wir anknüpfen.

Welche Rolle spielen Internet und Social Media?

Bildungsarbeit im digitalen Raum hat gerade durch die Pandemielage einen großen Schub bekommen. Das betrifft Live-Online-Angebote, digitale Bildungsmaterialien und anderes. Wir werden diese Angebote auf jeden Fall mitdenken, auch wenn Präsenzveranstaltungen wieder dauerhaft möglich sind. In den sozialen Netzwerken sind wir auf den Kanälen der Landeszentrale für politische Bildung präsent und posten hier regelmäßig kleine und große Neuerungen im Rahmen der Öffnung.

Sind in der Dokumentations- und Gedenkstätte auch einzelne Schicksale dokumentiert?

In der Interimsausstellung, die ab dem Zeitpunkt unserer Eröffnung zu sehen ist, sind ganz verschiedene Biografien von Inhaftierten und Verfolgten zu sehen, die das autoritäre System der SED und das konkrete Wirken der Staatssicherheit nachvollziehbar machen.

Ist Ihnen eines dieser Schicksale besonders in Erinnerung geblieben?

Grundsätzlich bleibt nahezu jedes Schicksal in Erinnerung. Lange beschäftigt hat mich zum Beispiel die Geschichte einer Frau, die in den 1980er Jahren inhaftiert wurden, weil sie kritische Flugblätter und Briefe in Rostock verteilt hat. Dabei beeindruckt mich bis heute, dass sie allein protestiert hat. Ohne Anschluss an eine oppositionelle Gruppe hat sie während ihrer Ausbildung Missstände gesehen und sich entschieden, aktiv zu werden.

17. Juni. Was planen Sie für diesen Tag?

Uns war von vornherein wichtig, dass ehemalige Inhaftierte den sanierten Ort zuerst besichtigen können. Für diese Sonderbegehungen haben wir den 17. Juni gewählt, um an den Volksaufstand in der DDR zu gedenken. Wir sind sehr froh darüber, dass wir genau an diesem Tag zwei Begehungen in Präsenz durchführen können. Als Gäste werden uns Dr. Volker Höffer und Dr. Michael Heinz vom Stasi-Unterlagen-Archiv sowie der Projektplaner Frank Meyer begleiten.

„Uns war von vornherein wichtig, dass ehemalige Inhaftierte den sanierten Ort zuerst besichtigen können.“ Foto: LpB

Zwei Wochen später geht’s dann auch offiziell los. Steht das Programm für den 2. Juli?

Wir planen für den 2. Juli eine würdige Eröffnungsveranstaltung, bei der auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sprechen wird. Wir hätten sehr gerne öffentlich und breit eingeladen, da wir wissen, dass die Sanierung auf großes Interesse stößt. Allerdings lässt die Pandemielage das in unseren Räumlichkeiten noch nicht zu. Deswegen möchten wir alle Interessierten ganz herzlich einladen, sich für Besichtigungen ab Juli direkt bei uns zu melden.

Wie ist bislang die Resonanz?

Die Eröffnung der Gedenkstätte stößt auf sehr großes Interesse. Mich erreichen Anfragen für schulische und außerschulische Bildungsangebote, ehemalige Inhaftierte melden sich, auch Akteure aus der Gedenkstättenlandschaft und DDR-Forschung knüpfen Kontakt zu uns. Wir freuen uns sehr über diese positive Resonanz und hoffen, einen guten Start gestalten zu können.

Hintergrund

Dokumentations- und Gedenkstätte saniert: Eröffnung am 2. Juli in Rostock. Weiterlesen

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