„Gedenkstätten sind vor allem Lernorte der Geschichte“

Vom / Demokratie, Landeskunde

Ramona Ramsenthaler vor dem Museumsgebäude in Wöbbelin. Foto: privat

Ramona Ramsenthaler war Leiterin der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin. Seit 2007 hat sie Ideen, Projekte, Programme entwickelt und umgesetzt. Eine Arbeit im Spannungsfeld deutscher Geschichte. Hier unser Interview zum Abschied.

Frau Ramsenthaler, im Februar sind Sie in den Ruhestand gegangen. Ihre Nachfolgerin ist Anja Pinnau. Wie haben Sie ihr die Arbeit in den Mahn- und Gedenkstätten beschrieben?

Ramona Ramsenthaler: Die Mahn-und Gedenkstätten Wöbbelin sind Theodor-Körner-Museum und KZ-Gedenkstätte. Damit stehen die Mahn- und Gedenkstätten im Spannungsfeld deutscher Geschichte zwischen der Erinnerung an den Dichter der sogenannten Befreiungskriege, Theodor Körner, und dem Gedenken an die Opfer des KZ Wöbbelin, des zuletzt eingerichteten Außenlagers des KZ Neuengamme. Dadurch ist die Arbeit spannend, äußerst vielfältig, abwechslungsreich und emotional. Aufgrund der beiden unterschiedlichen Themen werden alle Altersgruppen sowie unterschiedlichste Besucher angesprochen. Das ist eine Herausforderung, der man sich täglich stellen muss.

Fast 14 Jahre lang waren Sie Leiterin in Wöbbelin. Erinnern Sie sich an Ihren ersten Tag?

Der erste Tag war angefüllt mit der Organisation des internationalen Workcamps, das eine Woche später begann, und mit der Vorbereitung des Besuchs einer Gruppe aus dem italienischen Marzabotto. In der Region am Monte Sole hatte es 1944 ein Massaker der SS gegeben. Auch im KZ Wöbbelin waren Italiener inhaftiert. Übrigens reiste dann im Herbst 2008 eine Delegation des Vereins Mahn- und Gedenkstätten zum Gegenbesuch und zu den Gedenkveranstaltungen nach Marzabotto. Erfahrungen von der Friedensschule am Monte Sole und der Gemeinde Marzabotto flossen auch in unser Projekt mit den jüngeren Schülern ein: „Geschichte erfahren – Demokratie gestalten.“

Was waren anfangs die größten Herausforderungen?

Die größte Herausforderung war die nicht vorhandene bzw. zum Teil veraltete Technik, u. a. gab es nur ein analoges Modem: wenn ein Foto mit 5 MB geschickt wurde, dauerte das Runterladen drei Stunden. Die Ausstellung musste erneuert, umfangreiche Quellen zur Geschichte des KZ Wöbbelin ausgewertet und Bildungsangebote erarbeitet werden. Gemeinsam mit der Geschäftsstelle des Vereins wurden Konzepte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen entwickelt.

Mit wem sind Sie diese Aufgaben angegangen?

In der ersten Zeit gab es im Museum nur befristete Unterstützung zur Absicherung der Öffnungszeiten durch Praktikanten oder FSJler sowie ehrenamtliche Hilfe durch den Förderverein. Ab 2012 kam eine zeitlich befristete Stelle dazu. Seit 2014 war dann Cornelia Neumann als sehr engagierte pädagogische Mitarbeiterin in den Mahn- und Gedenkstätten tätig. Gemeinsam mit der Geschäftsstelle bildeten wir in den letzten Jahren das Team.

Noch einmal zum Start. Was hatten Sie sich vorgenommen?

Ich wollte eine lebendige Auseinandersetzung mit dem historischen Ort, die Einbindung in die Regionalgeschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts und die Entwicklung der historisch-politischen Bildungsarbeit in Angriff nehmen und neue Wege in der Gedenkstättenarbeit gehen. Dazu gehörte auch die Arbeit mit jüngeren SchülerInnen. Das Projekt „Geschichte erfahren-Demokratie gestalten“ wurde von mir gemeinsam mit den Lehrerinnen der Grundschulen Gammelin und Wöbbelin entwickelt, 2011 bis 2013 im Rahmen des Comeniusprojektes „Bildung und Erziehung nach dem Holocaust“ des Bildungsministeriums MV evaluiert. Partnerin war auch die Europaschule Hagenow. Erfahrungen wurden regelmäßig an andere Schulen vermittelt.

Zu den Angeboten gehörten auch…

…Lehrerfortbildungen zur Vor- und Nachbereitung von Gedenkstättenfahrten, die Organisation von SCHILF-Tagen und Exkursionen zu Gedenkstätten. Arbeitsmaterialien und Handlungsempfehlungen wurden gemeinsam mit LehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnen entwickelt und von mir auch auf Fachkonferenzen an den Schulen vorgestellt.

Welche neuen Angebote kamen hinzu?

Neue Angebote der Mahn- und Gedenkstätten waren seit 2011 das regelmäßig stattfindende Erzählcafé mit Vorträgen zu lokalen Themen oder Lesungen aus aktueller Fachliteratur, auch Buchvorstellungen mit Zeitzeugen an Schulen und öffentlichen Einrichtungen im Landkreis sowie die jährlich stattfindende Tagung zur Regionalgeschichte. Auch die künstlerische Auseinandersetzung mit beiden Themen nahm immer größeren Raum ein. So entstanden viele kreative Projekte wie die Skulptur „Die Gesichter des KZ Wöbbelin“, Filmbeiträge mit der Sophie-Medienwerkstatt Hagenow e.V. und Aufführungen mit dem Tanztheater Lysistrate des Goethe-Gymnasiums Schwerin.

Schülerinnen und Schüler der Regionalschule Picher in der Projektwoche 2013. Foto: Ramona Ramsenthaler

„Die Gesichter des KZ Wöbbelin.“ Was steckt hinter dem Projekt?

Seit 2011 wurde an der Großplastik „Die Gesichter des KZ Wöbbelin“ nach dem Entwurf des Magdeburger Künstlers Marcus Barwitzki gearbeitet. 45 gebogene rostige Eisenstangen, von denen jede einen überdimensionalen Kopf aus Backstein trägt, bilden ein undurchdringliches Geflecht – eine unzählbare Masse, wie die der eingesperrten Menschen im Konzentrationslager Wöbbelin. Die Zahl 45 steht dabei für das Jahr 1945. Am Schaffensprozess waren mehr als 250 Menschen aus 21 Ländern von drei Kontinenten, 11 Bundesländern und viele SchülerInnen aus dem Landkreis Ludwigslust Parchim, aus Grabow, Ludwigslust, Rastow und Picher beteiligt. Vom Schüler der Förderschule „Pestalozzi“ Ludwigslust bis zur slowakischen Mathematikstudentin, ob Angestellte, Handwerker, Pastor, Künstler oder Rentner – alle TeilnehmerInnen begeisterte die gemeinsame künstlerische Arbeit.

Im Geschichtsunterricht wird heute eine Dokumentation der Mahn- und Gedenkstätten genutzt. Welcher Film ist das?

Mit der Sophie-Medienwerkstatt Hagenow fanden 2014 bis 2020 verschiedene Projekte mit unterschiedlichen Altersstufen statt, besonders erfolgreich ist der Dokumentarfilm „Spuren der Vergangenheit – Ludwigslust 1933 bis 1945“, der mit Schülern der Rastower Regionalschule gedreht wurde. Im Mittelpunkt stehen Interviews mit zwei Zeitzeugen aus Ludwigslust. Sie berichteten Rastower SchülerInnen über die bewegenden Ereignisse ihrer Kindheit in den Jahren 1938 bis 1945. Historische Filmaufnahmen und Fotos ergänzen die Berichte. Nach der erfolgreichen Premiere im Oktober 2015 mit über 200 Gästen wurde der Film aufgrund der großen Nachfrage über 18-mal öffentlich im LUNA-Filmtheater aufgeführt. Mehr als 1000 Gäste besuchten die meist ausgebuchten Vorstellungen. Inzwischen wird er von LehrerInnen auch für den Geschichtsunterricht genutzt.

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Spuren der Vergangenheit

Welche Rollen haben Kunst und Kultur bei Ihrer Arbeit gespielt?

Im Rahmen der Internationalen Begegnung der Generationen anlässlich der Befreiung des KZ Wöbbelin und auf anderen Gedenkveranstaltungen ist das Tanztheater Lysistrate des Schweriner Goethegymnasiums 2005 bis 2019 mehrfach mit Vorstellungen zu den Themen Widerstand, Erinnerungskultur, Auseinandersetzung mit Gewalt aufgetreten. Im Anschluss an die Aufführung „TrotzTdem“ am 2. Mai 2016 zum Thema Widerstand sprachen Angehörige aus den Niederlanden eine Einladung zu einem Gastspiel in Leeuwarden, der europäischen Kulturhauptstadt 2018, aus. Dass deutsche Jugendliche am Gedenktag für die Opfer in den Niederlanden auftreten, war etwas ganz Besonderes. Gerade die Einbindung von Kindern und Jugendlichen in die künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ermöglicht einen anderen emotionalen Zugang zu den Themen.

Generell lebt Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit vom gemeinsamen Engagement vieler Akteure, die Ideen bündeln, Konzepte entwerfen, Ideen weitergeben und die historisch-politische Bildung voran bringen, damit die demokratische Gesellschaft gestärkt wird.

Ein Projekt heißt „Schulen und Gedenkstätten“. Wie ging es damit los?

Das Projekt wurde von mir als neuer Leiterin 2007 entwickelt, erste Entwürfe gab es schon aus meiner Zeit als Lehrerin am Schweriner Goethe-Gymnasium. Seit 2005 unterstützte ich mit meinem Projektkurs Gedenkstättenarbeit die Forschungen der Mahn- und Gedenkstätten, Berichte von Befreiern aus den USA wurden übersetzt, Facharbeiten und Wandtafeln entstanden. Das Theaterprojekt „Die Erinnerung ist jung“ der Theatergruppe und des Tanztheaters des Schweriner Goethe-Gymnasiums fand großen Anklang bei den Ehrengästen aus Polen, Belgien, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und wurde mehrfach bei verschiedensten Gedenkveranstaltungen und an Schülerprojekttagen aufgeführt.

Wie viele Schulen haben teilgenommen?

Im Rahmen des damaligen Bundesprogramms „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ habe ich das „Projekt Schulen und Gedenkstätten“ im August 2007 bei einer Auftaktveranstaltung in Ludwigslust auf den Weg gebracht. Zuerst waren es fünf Schulen, die sich im Rahmen des Projektes engagiert haben. Gefördert wurde insbesondere die Spurensuche in der Heimat. Ziel war und ist es, „Lernorte“ wie Gedenkstätten und Museen, Schulen und Einrichtungen freier Bildungsträger sowie Zeitzeugen, Künstler und Historiker miteinander in Kontakt zu bringen. Der Hintergrund war und ist: Kinder und Jugendliche sollen erfahren, was passiert, wenn Demokratie ausgeschaltet wird und welche Folgen dies für jeden Einzelnen haben kann. Junge Leute sollen den Wert einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft kennen lernen. Sie sollen fremde Kulturen als Bereicherung für ihr eigenes Leben empfinden, anständig miteinander umgehen und Konflikte gewaltfrei lösen. Kurz: Sie sollen lernen, wie Demokratie funktioniert und wie sie sie aktiv mitgestalten können. Die Lernziele bestehen auch noch heute: Offenheit und Toleranz, die Achtung der Menschenwürde und anderer Kulturen, das Verständnis für Demokratie und gemeinsame Grundwerte.

Entstanden ist ein Netzwerk…

Jedes Jahr kamen neue schulische und außerschulische PartnerInnen dazu. Immer ging es um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Mit finanzieller Unterstützung auch der folgenden Bundesprogramme konnten vielfältige Bausteine für unterschiedliche Altersklassen und Schulformen entwickelt, Honorarkräfte und Arbeitsmaterialien, Fachliteratur, Fahrtkosten zu Exkursionen, Begegnungen mit Zeitzeugen usw. organisert und finanziert werden. Es ist ein funktionierendes Netzwerk von Schulen, Gedenkstätten, Museen und freien Bildungsträgern im Landkreis entstanden. Seit 2014 begleitete ich Wahlpflichtkurse Regionalgeschichte, Filmprojekte und Workshops gemeinsam mit der pädagogischen Mitarbeiterin Cornelia Neumann.

Wo haben Sie die Ergebnisse der Projekte gezeigt?

Ein wichtiger Aspekt der Netzwerkarbeit war von Anfang an die Präsentation der Ergebnisse vom Musical bis zur Ausstellung in der Öffentlichkeit. Darin besteht auch die Nachhaltigkeit des Projektes, denn dadurch wurden Freunde und Bekannte, Eltern und Großeltern angesprochen. Auf der jährlich im Herbst stattfindenden Innovationswerkstatt, die bis 2018 durch den Verein Mahn- und Gedenkstätten organisiert wurde, auf Gedenkveranstaltungen und auf Sonderausstellungen präsentierten die ProjektteilnehmerInnen ihre Ergebnisse. Gleichzeitig dienten diese Veranstaltungen dem Erfahrungsaustausch und der Weitergabe von Ideen.

Projektpräsentation von Schülerinnen und Schülern der Parchimer Goethe-Schule. Foto: Wladimir Jankelewitsch

Über 40 Schulen allein aus dem Landkreis Ludwigslust-Parchim nutzen die Bildungsangebote der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin, haben sich an verschiedenen Jahresprojekten zur Spurensuche in der Region, an Sonderausstellungen, Pflegearbeiten an Gedenkstätten, Entwürfen zur Neugestaltung von Gedenkstätten sowie an künstlerischen Projekten beteiligt. Die Zahl der Teilnehmenden ist seitdem ständig gestiegen. 2007 waren es 300 TeilnehmerInnen, 2008 schon 800 und in den letzten fünf Jahren bis 2019 ca. 2500 SchülerInnen. Leider kam 2020 die Corona-Pandemie dazwischen, über 30 Projekte bzw. Workshops mussten abgesagt werden.

Von wem haben Sie Unterstützung erhalten?

2003 war der Verein Mahn- und Gedenkstätten vom damaligen Landkreis Ludwigslust, dem Amt Ludwigslust-Land, den Gemeinden Wöbbelin und Rastow, den Städten Ludwigslust, Boizenburg und Hagenow gegründet worden. Er ist Träger der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin. Diese Trägerkonstruktion und das Engagement eines Landkreises sind etwas Besonderes und einmalig in Mecklenburg-Vorpommern. Große Unterstützung kam also vom Landkreis Ludwigslust-Parchim, der Landeszentrale für politische Bildung MV, der Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin und vom Förderverein der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin. Unterstützung kam seit 2007 durch das Bundesprogramm „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ bzw. ab 2011 „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, durch das wir gemeinsam mit unseren Projektpartnern innovative Bildungsprojekte entwickeln und umsetzen konnten. Auch die VertreterInnen der Mitgliedsgemeinden, die Kreismusikschule Ludwigslust bzw. Ludwigslust-Parchim, das Parchimer Theater, das Museum Hagenow und viele Schulen sind engagierte PartnerInnen.

Und wo steht der Verein heute?

2012 hat die Mitgliederversammlung des Vereins die Erweiterung im neuen Landkreis Ludwigslust-Parchim beschlossen. 2014 kamen die Gemeinden Sülstorf, Uelitz und Groß Laasch dazu, 2019 Lüblow und die Stadt Crivitz. Um die Rahmenbedingungen für die Gedenkstättenarbeit und auch den Zugang zu den Gedenkstätten zu verbessern, entwickelte der Verein das Projekt „Generationen gegen das Vergessen“. Seit 2011 wurden über die LEADER- LAG SüdWestMecklenburg in den Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin Ausstellungs- und Seminarräume saniert und eine Bibliothek angebaut. Im August 2014 wurde die neue interaktive Dauerausstellung „Zehn Wochen Konzentrationslager Wöbbelin“ eröffnet.

Blick in die Dauerausstellung „Zehn Wochen KZ Wöbbelin“. Foto: Wladimir Jankelewitsch

Die Ausstellung bildet das Fundament für den Auftrag der KZ-Gedenkstätte, den Opfern ein Gesicht zu geben. Sie wurde in den Jahren 2016 und 2018 mit finanzieller Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung MV um weitere Ausstellungselemente erweitert, u. a. durch einen Touchscreen mit Informationen zu den Gedenkorten.

Die Ehrenfriedhöfe und Gedenkorte am Museum in Wöbbelin, Am Bassin und auf dem Stadtfriedhof in Ludwigslust, am Bahnhof in Sülstorf, in Hagenow und im Neu Lüblower Wald wurden 2014 bis 2017 mit finanzieller Unterstützung der Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin und Eigenanteilen der Städte und Gemeinden würdevoll neu gestaltet. Als verbindendes Element zur Geschichte des KZ Wöbbelin wurden an den Ehrenfriedhöfen Stelen mit historischen Fotos, Klinkerpodeste mit Informationen und Denkmale mit Namenssteinen der Opfer gesetzt. Dadurch besteht die Möglichkeit der individuellen Erinnerung für die Familienangehörigen.

Gedenkstätte mit Namenssteinen auf dem Ludwigsluster Stadtfriedhof. Foto: Wladimir Jankelewitsch

Diese Gedenkorte werden stets in die Organisation von Gedenkveranstaltungen, Führungen und in die Arbeit mit den Angehörigen von Opfern aus dem Ausland einbezogen, vor allem an den Gedenktagen der Befreiung, bei Schulprojekten zur Spurensuche in der Region oder den Besuchen der internationalen Opferverbände.

Theodor Körner. Ein weiteres Thema der Mahn- und Gedenkstätten. Wie haben Sie sich mit dessen Leben und Werk auseinandergesetzt?

Mit Unterstützung der Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin wurde anlässlich des 200. Todestages von Theodor Körner 2013 das Grabdenkmal restauriert und eine Veranstaltungsreihe zur Auseinandersetzung mit Leben und Werk des bekannten Schriftstellers organisiert, der für politische Zwecke immer wieder instrumentalisiert wurde.

Es war dem Verein als Träger der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit wichtig, dass demokratische Kräfte sich dieses Themas der Heimatgeschichte annehmen und sich engagiert um die Vorbereitung einer Gedenkwoche anlässlich des 200. Todestages des Dichters Theodor Körners einsetzen und verschiedenste Veranstaltungen organisieren. Denn in den vergangenen Jahren hat es immer wieder auch nationalistische und neonazistische Aktivitäten an der Körner-Grabstätte gegeben.

Grabstätte von Theodor Körner und seiner Familie. Foto: Wladimir Jankelewitsch

Gab es gemeinsame Projekte, zum Beispiel mit Körner-Schulen?

Eine differenzierte Betrachtung Körners in seiner Zeit und die Darstellung der Folgen seiner Verherrlichung durch totalitäre Ideologien stehen im Zentrum des jährlichen Gedenkens an Theodor Körner im August oder September jeden Jahres. Verschiedene Projekte fanden auch an den Körner-Schulen im Landkreis seit 2012 statt. Insbesondere mit der Grundschule Wöbbelin wurden bis 2019 verschiedene Projekte realisiert, der Schwerpunkt war: Geschichte erfahren – Traditionen weitergeben – Generationen verbinden.

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Hier ein Projektfilm

Programme gegen Rechtsextremismus. Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Mit der Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin wurde 2014 das Projekt „Hingucken und Einmischen – Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im öffentlichen Raum“ ins Leben gerufen. Dieses gemeinsame Projekt bot seitdem die Möglichkeit, viele Menschen im Gemeinwesen des Landkreises Ludwigslust-Parchim anzusprechen. Mit der Vermittlung von Kenntnissen über Symbole, Codes, Strukturen, Strategien und Aktionsformen des Rechtsextremismus in der Region soll eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Thematik in allen Bildungseinrichtungen erreicht werden, die auch in das Gemeinwesen hineinwirkt. Gleichzeitig werden Möglichkeiten der wirksamen Entgegnung entwickelt. In das Projekt sollen insbesondere MultiplikatorInnen in Schulen und öffentlichen Bildungseinrichtungen einbezogen werden. In der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit am historischen Ort werden Themen wie die Diktatur und Demokratie angesprochen sowie aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen diskutiert. Verschiedene Workshops zu den Themen Krieg und Frieden, zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Populismus, zu demokratischen Werten werden für alle Bildungseinrichtungen angeboten, Filmprojekte, Lesungen mit Zeitzeugen organisiert und didaktische Materialien entwickelt.

Projekttag „Peacemaker“ mit der Grundschule Wöbbelin und Marcus Barwitzki. Foto: Wladimir Jankelewitsch

War Ihnen die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen besonders wichtig?

Die Überlebende und Psychologin Batsheva Dagan hat gesagt: Wir müssen es auch den Kindern erzählen, denn auch Kinder wurden in Lager gesperrt. Der jüngste Häftling im KZ Wöbbelin war 9 Jahre alt.

Kinder und Jugendliche sind nicht für das verantwortlich, was vor 76 Jahren in Deutschland geschehen ist. Die nachfolgenden Generationen müssen jedoch Verantwortung dafür übernehmen, dass so etwas nie wieder geschieht. Nach meiner Auffassung wird Geschichte begreifbarer, wenn es sich um die Geschichte vor Ort handelt. In der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der nationalsozialistischen Diktatur, mit der extremen Ausgrenzung von Menschen und in der Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus, Gewalt in der Gegenwart können demokratische Werte und Zivilcourage vermittelt werden. Für Kinder und Jugendliche ist die Zeit unendlich weit entfernt, deshalb müssen sie erfahren, dass die Menschenrechte auch in ihrer Region mit Füßen getreten wurden, dass Konzentrationslager überall in Deutschland zur Disziplinierung der Menschen errichtet wurden, dass aber kein Mensch das Recht hat, eine anderen Menschen in ein Lager zu sperren. Deshalb sind Gedenkstätten für mich Orte der Demokratieerziehung und Menschenrechtsbildung.

Wie reagieren Kinder und Jugendliche auf diese Angebote?

In meiner Arbeit habe ich erfahren, dass Kinder und Jugendliche zwar nicht alles wissen, aber unendlich viele Fragen haben, die wir Erwachsenen geduldig beantworten müssen. Gedenkstätten haben einen hohen Stellenwert als außerschulische Lernorte. Der Besuch einer Gedenkstätte muss mit forschendem Lernen verbunden werden. Jugendliche erwerben Sachkompetenz, Selbstkompetenz und entwickeln ein Wertebewusstsein. Dazu bedarf es auch einer guten Zusammenarbeit mit den Schulen sowie die Einbettung in langfristige Projekte. Das ist uns in den letzten Jahren mit vielen Wahlpflichtkursen zur „Spurensuche“ gelungen. Gemeinsam für Demokratie und Toleranz, für Vielfalt, gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus einzutreten, ist das große Ziel.

Der erste Projekttag „Denk’ mal“ mit SchülerInnen einer Grundschule 2008. Foto: Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin

Ihr Anliegen war stets der Austausch mit Überlebenden des KZ Wöbbelin und mit Angehörigen der Opfer. Wie haben Sie Kontakt gehalten?

Die Anzahl der ausländischen Besucher hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, insbesondere zwischen März und Oktober kommen viele Gäste aus den Niederlanden, den USA, Frankreich, Belgien und Polen. Die nachfolgenden Generationen machen sich auf den Weg zu den Friedhöfen, um die Gräber ihrer Angehörigen zu finden. Wenn Informationen und Adressen ausgetauscht wurden, wird regelmäßig über Email Kontakt gehalten und über Veranstaltungen informiert. Viele der Gäste kommen dann im nächsten Jahr mit weiteren Angehörigen zur Internationalen Begegnung der Generationen anlässlich der Befreiung des KZ Wöbbelin und des Endes der Todesmärsche, die seit den 90er Jahren organisiert wird.

Ehrengäste mit dem Vorsitzenden des Vereins Mahn- und Gedenkstätten im Landkreis Ludwigslust-Parchim e. V., Rolf Christiansen (l.). Foto: Wladimir Jankelewitsch

Welcher Besuch ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

An einen Besuch im Jahr erinnere ich mich besonders: ein holländisches Filmteam hatte 2012 in den Mahn- und Gedenkstätten einen Film gedreht, unter anderem wurde der Gedenkplatz am ehemaligen Lagergelände mit den Namenssteinen gezeigt. Als dieser Film dann Ostern 2012 ausgestrahlt wurde, erkannt eine 91-jährige Dame den Namen ihres Bruders auf einem der Steine. Sie schrieb ans Fernsehen und erhielt meine Kontaktdaten. Wenige Wochen später besuchte sie die Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin mit ihrer Nichte, die drei Jahre alt war, als ihr Vater 1945 in Wöbbelin umgekommen ist. Es war eine sehr emotionale Begegnung, denn bis zu diesem Zeitpunkt wussten beide nicht, dass es in Wöbbelin den Ehrenfriedhof und den Gedenkplatz mit den Namen ihres Angehörigen gibt.

Gedenkplatz am ehemaligen Lagergelände des KZ Wöbbelin. Foto: Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin

Zu den emotionalsten Momenten gehörte für mich immer der Austausch der Dokumente und Fotos. Ich kannte bis dahin oft nur die Nummer und das Todesdatum und erhielt von den Angehörigen ein Foto und erfuhr die Geschichte. So konnten wir immer mehr Opfern ein Gesicht geben und fanden in den letzten Jahren heraus, dass gerade aus den Niederlanden, Frankreich und Belgien ganze Gruppen des Widerstandes über das KZ Neuengamme nach Wöbbelin deportiert wurden.

Wie hat sich Gedenkstättenarbeit in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Das Verschwinden der Zeitzeugen wird seit langem beklagt, aber ich hatte das Glück, noch über viele Jahre mit Zeitzeugen zu arbeiten. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Kinder und Enkelkinder auf die Suche nach ihren Angehörigen begeben. Gedenkstättenarbeit wird inzwischen von der zweiten und dritten Generation getragen. So finden immer mehr Gespräche mit Angehörigen vor Schulklassen statt. Diese berichten von der Spurensuche nach den Vätern und Großvätern, berichten darüber, wie der Verlust die Familien geprägt und auch das Leben ihrer Generation beeinflusst hat.

Die digitale Entwicklung ermöglicht einen viel schnelleren Zugang zu den Archiven und zu Informationen, sie ermöglicht eine bessere Vernetzung mit den Opferverbänden und anderen Gedenkstätten. Wir stehen am Übergang von der individuellen zur kulturellen Erinnerung. Das sehe ich als Chance, neben biografischen Bezügen sich auch künstlerisch mit der Thematik des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Das erzeugt Empathie, wie wir bei unserer Arbeit an der Skulptur „Die Gesichter des KZ Wöbbelin“ gesehen haben.

Aufgrund der Corona-Pandemie und der Schließung der Gedenkstätten wurde 2019 und 2020 über Gedenkveranstaltungen digital berichtet und Rundgänge Online gestellt.

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Der digitale Rundgang

Zum Schluss der Blick nach vorn. Wie sieht Mahn- und Gedenkstättenarbeit in zehn Jahren aus?

Ich möchte dazu den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zitieren „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“

Gedenkstätten sind vor allem Lernorte der Geschichte – sie machen deutlich, welche Folgen totalitäres Denken hat. Es werden weitere digitale Formate und neue Formen des Gedenkens entwickelt werden. Trotzdem bleiben die Gedenkstätten in der historisch-politischen Bildungsarbeit unverzichtbar: denn diese sind die authentischen Orte, an denen ein Erinnern anders möglich ist, als nur im digitalen Raum. An den verschiedenen Erinnerungsorten wird gezeigt, welche Gefahren einer Gesellschaft aus der Verletzung von Demokratie und Menschenrechten erwachsen können. Die Vermittlung der Geschichte des Nationalsozialismus muss jedoch mit aktuellen Fragestellungen verbunden werden, damit Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz in unserer Gesellschaft erhalten.

Und Sie möchten dabei helfen.

Als Mitglied im Vorstand des Fördervereins werde ich auch weiter die Arbeit der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin unterstützen.

Das Museumsgebäude. Foto: Wladimir Jankelewitsch

Hintergrund

Die Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin

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