Rechtsextremismus und Schule

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Rechtsextremismus macht auch vor Schulen nicht halt. Was tun? Ein Band zeigt jetzt Optionen anhand konkreter Fälle und Beispiele auf. „Rechtsextremismus pädagogisch begegnen. Handlungswissen für die Schule.“ Hier Auszüge aus dem 2020 erschienenen – und im LpB-Shop erhältlichen – Buch von Michael May und Gudrun Heinrich.

Warum ein Buch zur Rechtsextremismusprävention für alle Lehrkräfte?

„Das Handeln in Schule und Unterricht ist wertegebunden. Es orientiert sich an den Werten der Demokratie und der Völkerverständigung. In allen Schulgesetzen der Bundesländer finden sich entsprechende Aussagen an prominenter Stelle und stecken den Werterahmen des Schulsystems ab, so beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern:

Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen wird bestimmt durch die Wertentscheidungen, die im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und in der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern niedergelegt sind. Zu ihnen gehört eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der wertschätzenden Kommunikation, die die Würde der Schülerpersönlichkeit wie der Lehrpersönlichkeit achtet. Ziel der schulischen Bildung und Erziehung ist die Entwicklung zur mündigen, vielseitig entwickelten Persönlichkeit, die im Geiste der Geschlechtergerechtigkeit und Toleranz bereit ist, Verantwortung für die Gemeinschaft mit anderen Menschen und Völkern sowie gegenüber künftigen Generationen zu tragen. (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur MV, 2019, §2 (1).

…Schule und ihr Personal sind damit per Gesetz für die Vermittlung demokratischer Einstellungen und Kompetenzen bei den Schüler/innen zuständig. Es ist somit auch Teil des Professionalisierungsprozesses von (angehenden) Lehrer/innen, sich mit dieser Aufgabe auseinanderzusetzen. Politische Bildung ist nicht eine zusätzliche Aufgabe, die zur Perspektive des eigenen Unterrichtsfaches noch hinzukommt. Vielmehr stehen die demokratische Schul- und Unterrichtsarbeit sowie die politische Bildung im Zentrum des professionellen Auftrages von Lehrer/innen.“ (May/Heinrich 2020, S. 9/10)

Das Problem erkennen

„Wann sind Aussagen von Schüler/innen rechtsextrem, und wann finden „nur“ diffuse Vorurteile ihren Ausdruck? Wann sprechen wir von Rechtspopulismus und wann von Rechtsextremismus? Ziel ist es, einen Überblick zum auf den Sozialraum Schule bezogenen Kenntnisstand über Rechtsextremismus und seine Facetten zu geben. So können Erlebnisse und Beispiele aus dem eigenen Schulalltag besser eingeschätzt und eingeordnet werden.“ (May/Heinrich 2020, S. 15)

Rechtsextremismus in der Schule – worum geht es?

Wenn Jugendliche rechtsextreme Positionen äußern oder Zeichen verbreiten: Die Zeiten, in denen wir glaubten, rechtsextreme Jugendliche anhand von Bomberjacke und mit weißen Schnürsenkeln versehenen Springerstiefeln identifizieren zu können, sind Vergangenheit. Rechtsextremismus ist ein vielfältiges und in unterschiedlichen jugendkulturellen Segmenten verortetes Element einer „Erlebniswelt“ geworden. Thomas Pfeiffer beschreibt die rechtsextreme Erlebniswelt als „Verbindung aus politischer Agitation, Freizeitaktivitäten und sonstigen unterhaltenden Mitteln. […] Es [sind] Angebote, die mit Gemeinschaft, Action, Tabubruch und Anerkennung verbunden sind, oft mit Aktivitäten an der Grenze oder jenseits der Legalität – mit anderen Worten: Es sind Angebote, die Erlebnisse verheißen“ (Pfeiffer 2017: 42). Diese Angebote reagieren auf die Nachfrage nach Identität und Gemeinschaft.

Die rechtsextreme Erlebniswelt, in die sich Jugendliche hineinbegeben, baut ihre Attraktivität in hohem Maße auf einem inzwischen in vielfältigen Genres zu verortendem Musikangebot auf. Mit dem Begriff des „Rechtsrock“ verbindet sich kein eindeutiger Musikstil: „Gemeint ist nicht allein Rockmusik, sondern er [der Begriff Rechtsrock] bezieht alle musikalischen Ausdrucksformen ein, mit denen extrem rechte Inhalte transportiert werden“ (Raabe 2019: 20). In einer deutschlandweiten Jugendstudie gab etwa jeder zehnte befragte Jugendliche an, „oft oder sehr oft rechte Musik zu hören oder über Kleidung und Aufkleber seine Meinung nach außen darzustellen“ (Baier et al. 2009: 118). Die hohe Attraktivität des Rechtsrocks erklärt sich aus der Verbindung des „Besonderen“ mit der Inszenierung von Erlebniswelten auf Konzerten sowie über die Verwendung eines gemeinsamen Kleidungsstils und Code-Systems. Beispielsweise findet die Verbreitung von Musik nicht über die einschlägigen Streaming-Dienste, sondern häufig noch konventionell über den Verkauf und die Weitergabe von CDs statt (Raabe 2019: 36). Seit der Gründung der Kleidungsmarke Thor Steinar im Jahr 2003, die sich dem rechtsextremen Spektrum zuordnen lässt, hat sich das Angebot auf dem rechtsextremen Kleidungsmarkt deutlich verbreitert.

Die zunehmende Differenzierung und Modernisierung der Angebote für Outfits, Accessoires, Musik und Kultur – die auch vor dem Gebrauch der in der rechtsextremen Szene lange verpönten englischen Sprache nicht mehr zurückschrecken – führt nicht dazu, dass die klare inhaltliche Verortung, beispielsweise der Musik des Rechtsrocks oder der genutzten Symbolik, weniger eindeutig geworden ist. Rechtsrock-Texte sind fraglos zu hohen Anteilen menschenverachtend, rechtsextrem und teilweise neonazistisch; diese hört man nicht, ohne zu registrieren, dass die Musik eine klare politische Botschaft vertritt. Die Herausforderung für die pädagogische Arbeit ist, dass sich Musik, Kleidung, Symbolik nicht mehr auf den ersten Blick erkennen lassen.

Ein Teil der rechtsextremen Erlebniswelt hat sich in die Online-Welt zurückgezogen. Das Social Web wird zu Recht als „Motor rechtsextremer Modernisierung“ (Glaser et al. 2017: 110) bezeichnet, da hier – zielgruppenspezifisch zugeschnitten, leicht abrufbar und für die Verfolgungsbehörden schwerer zugänglich – Propaganda in vielfältiger Form und mit ideologischer Schwerpunktsetzung in die Jugendzimmer oder gleich direkt aufs Handy und damit in den jugendlichen Alltag transportiert werden kann.

Damit offeriert die rechtsextreme Bewegung ein Angebot an Jugendliche, die sich mitten im Prozess der politischen Identitätssuche befinden. Um die richtigen pädagogischen Antworten oder Reaktionen zu finden, ist der Prozess politischer Sozialisation Jugendlicher als Suchprozess zu verstehen, der weder linear verläuft noch frühzeitig abgeschlossen ist (Kuhn 2014: 465). Die Jugendlichen als Suchende zu begreifen, ist für das Verständnis und den Umgang mit rechtsextremer Erlebniskultur und rechtsextremen Positionen eine wichtige Voraussetzung. Dabei hilft es auch, die rechtsextreme Bewegung und ihre Organisationen nicht als einheitlich, sondern als ein Spektrum unterschiedlicher ideologischer Verfestigungen und organisatorischer Strukturen zu begreifen…

Wenn Rechtsextremismus durch Eltern und Familien Teil der Schule wird: Wir gehen davon aus, dass die Herausbildung einer Identität als Rechtsextreme/r ein Prozess ist, den Kinder und Jugendliche im Rahmen ihrer politischen Identitätssuche und politischen Sozialisation durchlaufen, in dem sich das Überschreiten der markierten „roten Linie“ andeutet (Becker/Palloks 2013). In Kindergärten und Schulen werden die Kolleg/innen aber zunehmend mit dem Phänomen konfrontiert, dass Kinder in streng rechtsextreme Familienstrukturen hineingeboren werden. Kinder und Jugendliche, die in ideologisch radikalisierten Elternhäusern aufwachsen, sind häufig nicht in der Lage, diese Prägung abzustreifen. Sie wachsen teilweise in sektenähnlichen Verhältnissen auf – ein Ausbruch durch Ausstieg aus der Szene ist eher selten. Eindrücklich schildert die Aussteigerin Heidi Benneckenstein ihren Weg aus der rechtsextremen Familie und der rechtsextremen Szene (Benneckenstein 2017).

In einigen Landstrichen der Bundesrepublik haben sich sogenannte völkische Siedler niedergelassen, die in ‚artgerechter‘ Weise ein naturnahes Leben führen wollen, deren Begründung für die ökologisch anmutende Lebensweise jedoch in einer strikt völkischen und rassistischen Ideologie liegt. Die Versuche, eigene Kindergärten und Schulen zu gründen, wurden in der Regel vereitelt. Die Schulen vor Ort haben sich aber der Aufgabe zu stellen, die Kinder aus diesen Familien genauso aufzunehmen wie andere Kinder und einen Umgang mit den Müttern oder Vätern zu finden (Röpke/Speit 2019). Vor allem auf deren Bestrebungen, sich in Elternvertretungen zu engagieren, Klassenfahrten zu begleiten oder die Schüler/innen auf den eigenen Biohof einzuladen, müssen Lehrkräfte vorbereitet sein. Studien, die Umfang und Folgen rechtsextremer Eltern für Schule und Schulkultur untersuchen, liegen bisher nicht vor.

Wenn Kolleg/innen rechtsextreme Positionen vertreten: Auch Lehrer/innen sind Teil der Gesellschaft und daher wäre es verwunderlich, wären rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen nicht auch im Kolleg/innenkreis vorzufinden. Systematische Untersuchungen über Ausmaß und Erscheinungsformen liegen nicht vor. Außer einigen Presseberichten über besonders spektakuläre Fälle (Barlen 2017; Belina 2018) fehlt es an systematischen Untersuchungen.

Wenn rechtsextreme Positionen von außen an die Schule herangetragen werden: Die Zeiten des Verteilens von Materialien wie CDs vor Schulen scheinen aufgrund der Schwäche der NPD zunächst vorüber zu sein. Nun treten moderne Organisationen mit moderneren Mitteln an ihre Stelle. So nutzen beispielsweise „die Identitären“ spektakuläre Formen, um vor allem auch Jugendliche auf sich aufmerksam zu machen….“ (May/Heinrich 2020, S. 27-31)

„Anerkennung als Schlüsselkonzept schulischer Präventionsarbeit“

„Der Begriff der Anerkennung bezieht sich im hier gebrauchten Verständnis auf eine Erlebensqualität von Individuen. Menschen, die sich anerkannt fühlen, sehen sich zumindest in Bezug auf einige individuelle Merkmale oder grundlegenden Ansprüche ihrer Person respektiert und angenommen…“ (May/Heinrich 2020, S. 74)

Die Zeit sollte genutzt werden

„Freilich können Schule und Unterricht nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reparieren, gleichzeitig dürfen sie aber die Defizite anderer Sozialisationsinstanzen und gesellschaftlicher Bereiche nicht einfach reproduzieren. Kinder und Jugendliche verbringen in den Jahren der Schulpflicht bis zu 12.000 Stunden in der Schule. Diese Zeit sollte genutzt werden.“ (May/Heinrich 2020, S. 163)

Das Buch

Michael May, Gudrun Heinrich: Rechtsextremismus pädagogisch begegnen. Handlungswissen für die Schule. Stuttgart 2020. Kohlhammer. Hier geht’s zur Bestellung

Literaturliste

Baier, Dirk; Pfeiffer, Christian; Simonson, Julia; Rabold, Susann (2009): Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt. Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN (KfN Forschungsbericht, 107). Online verfügbar unter: https://kfn.de/wp-content/uploads/Forschungsberichte/FB_107.pdf, Zugriff am 30.07.2019

Barlen, Julian (2017): Trotz NPD-“Star-Anwalt” Richter: Rechte Lehrerin bleibt vorläufig suspendiert. In: Endstation Rechts, 01.06.2017. Online verfügbar unter: https://www.endstation-rechts.de/news/trotz-npd-star-anwalt-richter-rechte-lehrerin-bleibt-vorlaeufig-suspendiert.html, Zugriff am 03.09.2019

Becker, Reiner; Palloks, Kerstin (Hrsg.) (2013): Jugend an der roten Linie. Analysen von und Erfahrungen mit Interventionsansätzen zur Rechtsextremismusprävention. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag

Belina, Otto (2018): Völkische Pädagogin. bnr. Online verfügbar unter: https://www.bnr.de/print/16550, Zugriff am 29.06.2018

Benneckenstein, Heidi (2017): Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neonazi-Familie. Unter Mitarbeit von Tobias Haberl. Stuttgart: Tropen

Glaser, Stefan; Pfeiffer, Thomas; Yavuz, Christiane (2017): ‘hassimnetz: Frei – sozial – multimedial. Entwicklungslinien rechtsextremer Online-Präsenzen. In: Stefan Glaser und Thomas Pfeiffer (Hrsg.): Erlebniswelt Rechtsextremismus. Modern – subversiv – hasserfüllt: Hintergründe und Methoden für die Praxis der Prävention (5., aktualisierte Auflage). Schwalbach: Wochenschau Verlag, 104–117

Kuhn, Hans Werner (2014): Politische Identitätsbildung im Jugendalter. Empirische Befunde zum Stellenwert von Schule. In: Jörg Hagedorn (Hrsg.): Jugend, Schule und Identität. Selbstwerdung und Identitätskonstruktion im Kontext Schule. Wiesbaden: Springer, 451–481

May, Michael; Heinrich, Gudrun (2020): Rechtsextremismus pädagogisch begegnen. Handlungswissen für die Schule. Stuttgart: Kohlhammer (Brennpunkt Schule)

Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Mecklenburg-Vorpommern: Schulgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. September 2010. Online verfügbar unter: http://www.landesrecht-mv.de/jportal/portal/page/bsmvprod.psml?showdoccase=1&doc.id=jlr-SchulGMV2010rahmen&doc.part=X&doc.origin=bs; Zugriff am 24.11.2019

Pfeiffer, Thomas (2017): Menschenverachtung mit Unterhaltungswert. Musik, Symbolik, Internet – der Rechtsextremismus als Erlebniswelt. In: Stefan Glaser und Thomas Pfeiffer (Hrsg.): Erlebniswelt Rechtsextremismus. Modern – subversiv – hasserfüllt: Hintergründe und Methoden für die Praxis der Prävention (5., aktualisierte Auflage). Schwalbach: Wochenschau Verlag, 41–64

Raabe, Jan (2019): Rechtsrock in Deutschland. Funktion, Entwicklung, zentrale Akteure – Umrisse eines wachsenden Problems. In: Gideon Botsch, Jan Raabe und Christoph Schulze (Hrsg.): Rechtsrock. Aufstieg und Wandel neonazistischer Jugendkultur am Beispiel Brandenburgs. Potsdam, 19–44

Röpke, Andrea; Speit, Andreas (2019): Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos. Berlin: Christoph Links Verlag

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