Faktoren der Wahlentscheidung

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Ansätze der Wahlforschung und Zeitdimensionen der Wahlentscheidung

Im Rahmen der Wahlforschung befassen sich unterschiedliche Ansätze mit diversen Faktoren, die Wahlverhalten begründbar machen. Allgemein kann zwischen langfristigen und kurzfristigen Einflüssen sowie individuellen oder gesellschaftlichen Betrachtungen unterschieden werden. Der soziologische Wahlforschungsansatz versteht Wahlverhalten als Gruppenverhalten. Die Verortung in langfristigen Konfliktlinien der Gesellschaft und die Prägung durch Gruppenzugehörigkeiten (Familie, Freunde, Arbeitswelt etc.) sind wichtige Faktoren für die Entscheidung. Der so genannte Rational-Choice-Ansatz betrachtet Wählerinnen und Wähler als „Nutzenmaximierer“, die kurzfristig entsprechend eigener Prioritäten eine Partei wählen, die für die eigenen Interessen bei der spezifischen Wahl den größten Nutzen verspricht. Langfristige Bindungen sind für Vertreter dieser Ausrichtung sekundär. Der individualpsychologische Wahlforschungsansatz kombiniert eine langfristige Parteienidentifikation mit der kurzfristigen Themen- und Personenwahrnehmung im Wahlkampf. Eine individuelle Wahlentscheidung wird über die gemeinsame Betrachtung dieser drei Kriterien begründbar.

Betrachtung kann sich nur der unterschiedlichen Ansätze bedienen

Allgemein gibt es keinen Wahlforschungsansatz der Wahlverhalten gänzlich erklärbar oder sogar voraussagbar macht. Auch die Betrachtung von Landtagswahlen kann sich nur der unterschiedlichen Ansätze bedienen und somit verschiedene Einflussfaktoren herausstellen. Die Zeitdimensionen (lang- und kurzfristige Einflüsse) und eine dreiteilige Gruppenunterscheidung (individual, regional, extern) lassen sich kombinieren und skizzieren die Vielfalt relevanter Faktoren (siehe Grafik). Letztlich bedingen sich die Faktoren gegenseitig, vermischen sich und je nach persönlicher Gewichtung und Interpretation fällt die individuelle Wahlentscheidung aus.

Individuelle Faktoren
Faktoren auf der Individualebene der Wählerinnen und Wähler (Parteienidentifikation, Themen- und Personenwahrnehmung).

Die drei Elemente ergeben sich auf Basis des individualpsychologischen Wahlforschungsansatzes, der versucht, Wahlentscheidungen im Dreiecksverhältnis erfassbar zu machen. Die langfristige Neigung zu einer Partei (Parteienidentifikation) wirkt dabei als Filter für die kurzfristige Bewertung von Kandidierenden (Personenwahrnehmung) und Inhalten (Themenwahrnehmung) im Wahlkampf. Die Parteienidentifikation kann als „Selbstzuschreibung“ der Wählerinnen und Wähler unterschiedlich interpretiert werden: Umfragen, Mitgliederzahlen einer Partei und Erkenntnisse über die „klassische“ Stammwählerschaft bieten Ansätze zur Erfassung. Die Personenwahrnehmung wird einerseits über Vorwahlumfragen erhoben, andererseits zeigen auch die Parteien in ihren Kampagnen „Personalisierungseffekte“ zur Nutzung der Popularität ihrer Kandidierenden. Die Themenwahrnehmung lässt sich über die wahrgenommene Kompetenz von Parteien in bestimmten Politikfeldern und allgemein bei Befragungen zu dringenden Problemen und Herausforderungen der Landespolitik erfassen.

Regionale Faktoren
Faktoren der regionalen Gebietskörperschaft am Beispiel von Landtagswahlen: Die Ebene der deutschen Länder (Besonderheiten des regionalen Parteienwettbewerbs, „Bilanzen“, Koalitionsoptionen, Wahrnehmung der Landesverbände).

Die regionalen Faktoren beziehen sich auf die Besonderheiten des jeweiligen Bundeslandes. Der regionale Parteienwettbewerb weist dabei Eigenheiten auf, die sich im Kräfteverhältnis der Landesverbände und Koalitionsmöglichkeiten zeigen. Diese spezifische Charakteristik eines Bundeslandes kann sich vom Parteienwettbewerb auf Bundesebene sehr stark unterscheiden, weshalb eine regionale Perspektive notwendig ist. Regierungs- und Oppositionsbewertungen fließen hier mit ein. Sind bestimmte Parteien traditionell bei Wahlen stark? Gibt es einen Akteur im Profil einer „Landespartei“ mit langer Regierungsbeteiligung? Welche regionalen Kräfteverhältnisse zwischen den Parteien sind erkennbar und welche Koalitionsmodelle gab es und wie werden sie diskutiert? Sind beispielsweise regional andere Parteien relevant als auf Bundesebene oder in anderen Bundesländern? Gibt es innerhalb der Landesverbände vielleicht Personen die auch bundespolitisch in der Öffentlichkeit stehen? Wie mitgliederstark sind die einzelnen Verbände und welchen regional-internen Stil verfolgen sie bzw. wie agieren sie mit anderen Parteien? All diese Fragen lassen spezifische regionale Faktoren erkennen, die Einfluss auf die Wahlentscheidung haben.

Externe Faktoren
Aspekte außerhalb der regionalen Dimension der Wahl, die von den regionalen Akteuren nur bedingt beeinflusst werden können (Bundestrend, externe Ereignisse).

Die externen Faktoren kennzeichnen einen Mehrebeneneffekt der insbesondere für Landtagswahlen von Bedeutung ist. Andere politische und gesellschaftliche Bezugsebenen entwickeln eine Wirkung auf das Wahlverhalten im regionalen Kontext. Der Bundestrend kennzeichnet den Einfluss von Bundespolitik und  nationalem Parteienwettbewerb. Er kann regionale Besonderheiten überlagern und auf das Verhalten und das Ergebnis der Landesverbände einwirken. Trotz regionalem Profil können sich die Landesakteure von „Rücken- oder Gegenwind“ der Bundesebene nur bedingt frei machen. Die Wählerinnen und Wähler stellen natürliche Bezüge zwischen den Ebenen her. Zusätzlich können externe Ereignisse auf den regionalen Wahlkampf wirken, dies kennzeichnet sich besonders durch einen kurzfristigen Einfluss bei der Wahlentscheidung aus, je nachdem welche nationalen oder auch internationalen Themen in der Öffentlichkeit diskutiert werden.

Der Autor: Martin Koschkar ist Mitglied der Arbeitsgruppe Politik und Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Mitarbeiter am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Rostock.

Die  Serie

Teil 1: Die Analyse der Wahl 2011

Teil 2: Die Strukturmuster des Wahlverhaltens

Teil 3: Wie kann man Frauen gezielt fördern?

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