Ausstellung zum Ausleihen

Tafeln aus der Ausstellung. Foto: Wiebke Marcinkowski

„Das Massaker von Korjukiwka.“ Die Ausstellung aus dem Dokumentationszentrum Schwerin kann jetzt kostenfrei ausgeliehen werden. Hier die Infos – und das Interview mit Kateryna Onyshchuk, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Historischen Museums Korjukiwka.


Frau Onyshchuk, was geschah im März 1943?

Kateryna Onyshchuk: Am 1. und 2. März 1943 vernichtete ein nationalsozialistisches Strafkommando fast gleichzeitig und vollständig die Stadt – weit entfernt von der Frontlinie. 6.700 Zivilisten wurden ermordet, unabhängig von Geschlecht, Alter oder Nationalität. Ihre Leichen wurden zusammen mit allen Gebäuden verbrannt. Vertreter des kommunistischen Regimes – sowjetische Partisanen, die sich in unmittelbarer Nähe befanden – unternahmen keinerlei Schritte, um dies zu verhindern.

Das Massaker war eines der schockierendsten nationalsozialistischen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg, eine „Vergeltungsaktion“. Wie wird daran in der Ukraine erinnert?

Tatsächlich ist das Massaker von Korjukiwka wegen der Anzahl der Opfer schockierend. Es ist jedoch eines der „klassischen“ nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung auf den besetzten Gebieten der Ukraine – die vollständige Vernichtung eines Ortes mitsamt seiner Bevölkerung. Die Strafaktion wurde bewusst und gezielt durchgeführt. Nachdem die Menschen in ihren Häusern getötet worden waren, verbrannten und zerstörten die Täter die Gebäude mit den Leichen darin, um die Spuren des Verbrechens zu verwischen.

Welche Bedeutung hat die Erinnerung heute?

Heute sprechen wir davon, dass die Tragödie von Korjukiwka 1943 ein Symbol für alle betroffenen Orte in der Ukraine ist – ein nationales Symbol der Trauer. Das Interesse der Öffentlichkeit und der Wissenschaft an diesem Thema ist in den letzten zwei Jahrzehnten gewachsen. Es wurde eine enorme Arbeit geleistet, um das Gedenken an das Massaker in Korjukiwka zu bewahren. (Hintergrund s. unten/Anmerk. der Redaktion)

In Deutschland und Europa ist dieses Massaker wenig bekannt. Hat sich das in den vergangenen Jahren geändert?

Tatsächlich wurde 2013 – zum 70. Jahrestag der Tragödie – erstmals gezielt internationale Aufmerksamkeit erzeugt. Ukrainische Botschaften in vielen europäischen Ländern informierten über das Geschehen. In den letzten Jahren besuchten offizielle Delegationen aus Deutschland, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, sowie deutsche Botschafter unser Museum. Auch deutsche Studierende forschen zunehmend zu dem Thema. Doch das reicht nicht aus. Die Ausstellung wurde daher als Wanderausstellung konzipiert, um mehr Menschen in Europa – insbesondere in Deutschland – zu erreichen.

Wie trägt die Ausstellung zur Erinnerungskultur bei?

Die Ausstellung informiert nicht nur über eines der grausamsten Verbrechen des Totalitarismus gegen die Zivilbevölkerung. Sie schlägt auch eine Brücke zur Gegenwart. Die Verbrechen gegen Zivilisten, die die Russische Föderation seit 2014 in der Ukraine verübt – Raketenterror, Massaker in besetzten Städten, Zerstörung ganzer Ortschaften – sind nichts Neues. Die Lehren des Zweiten Weltkriegs wurden nicht gezogen! Diese Ausstellung ist deshalb nicht nur ein Gedenken an die Opfer, sondern auch eine Mahnung an die heutige Gesellschaft, sich der Gefahren bewusst zu werden.

Wer ist die Zielgruppe der Ausstellung?

Die Ausstellung richtet sich nicht nur an Fachhistoriker oder Experten für Erinnerungskultur. Wir haben sie bewusst emotional gestaltet, mit vielen handelnden Personen und persönlichen Geschichten, um ein breites Publikum anzusprechen. Jeder soll sich bewusst werden, dass Dinge wie Demokratie, Frieden, Freiheit und Sicherheit nicht selbstverständlich sind – man muss täglich darum kämpfen.

Teil der Ausstellung sind erschütternde Zeugenaussagen. Welche hat Sie am meisten berührt?

Es wurden über hundert Zeugenaussagen gesammelt – alle sind von erschütternden Bildern geprägt. Doch am stärksten berühren uns Erlebnisse, die mit unserem eigenen Leben in Verbindung stehen. Ich habe zwei Kinder – deshalb treffen mich besonders Geschichten von Eltern, die ihre Kinder verloren haben. Diese Menschen erlitten nicht nur den Verlust, sondern auch das Trauma des Überlebens – sie quälten sich ihr Leben lang mit der Frage, warum nicht sie gestorben sind statt ihrer Kinder.

Trauma des Überlebens. Wie bei Olha Horbatschewska…

Olha Horbatschewska war eine von etwa 500 Einwohnern von Korjukiwka, die im Restaurant erschossen werden sollten. Sie wurde nur verwundet, konnte sich nachts unter den Leichen hervorziehen und überleben – im Gegensatz zu ihrer Tochter und ihrem Sohn. Sie erinnerte sich:

„Abends kam mein Sohn und sagte, er würde bei Onkel Luka Rybalko übernachten: ‚Gib mir nur ein Stück Brot und etwas zu essen, es ist mir peinlich, dort zu essen.‘ Ich gab ihm Brot und ein kleines Stück Speck. Ich werde nie vergessen, dass ich ihm so ein kleines Stück gab. Er zog sich an, verabschiedete sich von mir und seiner Schwester. Ich sah ihm nach – er drehte sich nicht um. Und ich dachte nicht, dass ich ihn zum letzten Mal sehe…“

Fotos: Wiebke Marcinkowski

Die Ausstellung

Das Denkmal in Korjukiwka. Foto: Іван Биков

„Das Massaker von Korjukiwka.“ Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt der LpB MV mit dem Historischen Museum Korjukiwka.

Die Ausstellung kann beim Dokumentationszentrum Schwerin ausgeliehen werden.

Kontakt

Dokumentationszentrum des Landes
für die Opfer der Diktaturen in Deutschland
Obotritenring 106 • 19053 Schwerin

Ansprechpartner: Florian Gradnitzer

Telefon: 0385 745299-11
Mail: dokuzentrum-schwerin@lpb.mv-regierung.de


Hintergrund

Dokumentarfilme und TV-Sendungen zum „Massaker von Korjukiwka“
• 1377 lebendig verbrannt / Dokumentarfilm des Fernsehsenders „Inter“, Autor: Iwan Krawtschyschyn (2009)
• Die Tragödie von Korjukiwka / TV-Sendung von Tetjana Myrhorodska, Staatliches Fernsehen Tschernihiw
• Korjukiwka: Aus der Asche wiedergeboren / Dokumentarfilm der regionalen Rundfunkgesellschaft Dnipropetrowsk, TRK Rudana (2012)
• Die Tragödie von Korjukiwka. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit / Dokumentarfilm der Nationalen Fernsehgesellschaft der Ukraine, Regie: Snischana Potaptschuk (2013)

Dokumente
• Korjukiwka, 1943: Verbrechen gegen die Menschlichkeit – eine Sammlung von Dokumenten
• Verbrannte Dörfer und Siedlungen der Region Tschernihiw 1941–1943
• Martyrologium der identifizierten Opfer der Tragödie von Korjukiwka
• Ukraine unter nationalsozialistischer Besatzung: Verbrannte Dörfer (1941–1944)
• Korjukiwka 1943: Oral History – Dokumente und Zeitzeugenberichte

Ausstellungen des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung
• Der ukrainische Zweite Weltkrieg
• Die Ukraine im Strudel des Zweiten Weltkriegs


Weitere Ausstellungen zum Ausleihen

Foto: Wiebke Marcinkowski

Die Ausstellungen der LpB und ihrer Partner – von „Aufbruch im Norden“ bis „Spurensuche“. Hier der Überblick – bitte klicken. Alle Infos zur kostenfreien Ausleihe auf mv1989.de.