In vielen Orten in Mecklenburg-Vorpommern wird am 9. November an die Verfolgten des Nationalsozialismus gedacht und an die jüdischen Opfer der Reichspogromnacht vor 86 Jahren erinnert. Hier eine Auswahl.
- „Geschichte aushalten” – unter diesem Motto wird am Samstag um 18 Uhr zur Mahn- und Gedenkstunde an die Pogromnacht von 1938 auf den Schlachtermarkt in Schwerin eingeladen. Veranstalter ist der Arbeitskreis „9. November 1938″.
- Am 9. November 1938 brannten Synagogen – die Nationalsozialisten gingen zur offenen Gewalt gegen Jüdinnen und Juden über. An dieses Unrecht erinnert die Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg jährlich in einer Gedenkveranstaltung. Samstag um 11 Uhr, Synagogenplatz in der Poststraße, 17033 Neubrandenburg.
- Die Evangelische Studentengemeinde in Greifswald lädt am 9.11. um 13 Uhr zu einer Andacht in der Mühlenstraße ein – an der Gedenktafel des früheren Betsaales der kleinen Greifswalder jüdischen Gemeinde. Im Anschluss daran werden Blumen an ausgewählten Stolpersteinen niedergelegt.
- Am 11. November um 17 Uhr findet in Greifswald ein Vortrag zum Thema „Modern aus Tradition. 250 Jahre liberales Judentum“ statt. Rabbiner Professor Dr. Walter Homolka wird im Bürgerschaftssaal des Greifswalder Rathauses referieren.
- Jüdische Gedenktage. Andacht auf dem Jüdischen Friedhof in Güstrow. Am 9.11., 16 Uhr, Neukruger Straße, 18273 Güstrow
- Friedensdekade in der St.-Marien-Kirche in Ribnitz-Damgarten (Lange Str. 49). Samstag, 17 Uhr. Andacht gefolgt von einem gemeinsamen Gang zu den Stolpersteinen.
- Neue Ausstellung in Rostock: „Was uns unsere Großeltern und Eltern nicht erzählten.“ Kröpeliner Tor, Kröpeliner Straße 50. Exponate aus der Privatsammlung von Jörg Zink zu jüdischem Leben in Europa bis in die 1950er Jahre sowie Beispiele der NS-Propaganda 1933-1945.
Extra
Festival Verfemte Musik. Am 9.11. um 19:30 Uhr im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin: Irgendwohin weht der Wind. Der österreichische Pianist Gottlieb Wallisch begibt sich gemeinsam mit drei Sänger/innen des Musiktheaters auf die Suche nach der Musik der Vertriebenen. Weiter
Hintergrund
9.11.1938: Die Reichspogromnacht
Im Herbst 1938 verschärfte die NS-Regierung ihr Vorgehen gegen die noch in Deutschland lebenden Juden erheblich. An die Stelle von Boykott und Schikane trat nun brutaler staatlicher Zwang und nackte Gewalt.
Die noch bestehenden jüdischen Geschäfte hatten sich als erstaunlich überlebensfähig erwiesen, so dass die Nationalsozialisten sich nun entschieden, mit größter Härte vorzugehen. Zum 30. September 1938 wurde auch den letzten sieben jüdischen Ärzten, die in Mecklenburg noch praktizieren durften, die Approbation entzogen. Am 28. Oktober schließlich deportierte die Polizei 37 Juden polnischer Staatsangehörigkeit aus Rostock nach Polen.
Als kurz darauf Herschel Grünspan, ein junger jüdischer Emigrant, in Paris ein Attentat auf den Legationssekretär Ernst von Rath verübte, ließ die regionale NS-Presse keinen Zweifel, was nun zu erwarten war. Am 8. November lauteten die Schlagzeilen auf der ersten Seite des »Niederdeutschen Beobachters«: »Das Maß nach dem Pariser Attentat voll – Langmut mit Juden zu Ende! […] Schärfste Maßnahmen gegen Juden im Reich notwendig«. Am folgenden Tag berichtete die Zeitung über »spontane Kundgebungen […] vor Synagogen und jüdischen Geschäften« in Kurhessen. Die Parteimitglieder wussten, wie sie solche Anregungen zu interpretieren hatten.
Am 9. November gegen 22:00 Uhr hielt Goebbels in München eine Rede, in der er die anwesenden Gauleiter und SA-Führer zur Zerstörung der Synagogen und jüdischen Geschäfte aufforderte. Dass daraufhin auch der mecklenburgische Gauleiter Friedrich Hildebrandt, der im Festsaal des alten Rathauses zusammen mit Reinhard Heydrich und anderen ranghohen NS-Führern saß, wie diese zum Telefonhörer griff und den Befehl an die zuständigen Gauamtsleiter in Schwerin weitergab, daran gibt es eigentlich keinen Zweifel. Trotzdem dauerte es in Mecklenburg länger als anderswo, bis die Partei aktiv wurde. Es war keineswegs so, dass die SA-Trupps schon überall in Bereitschaft lagen.
Während in Süd- und Westdeutschland schon kurz nach Mitternacht die Schläger ausrückten, um Feuer zu legen, zu plündern und zu zerstören, begann das Pogrom in Mecklenburg erst gegen 5 Uhr morgens. Zuerst – gegen 5:20 Uhr – brannte die Güstrower Synagoge. Zur gleichen Zeit gab die Staatspolizeistelle Schwerin Verhaltensmaßregeln an alle örtlichen Polizeidienststellen. Kurz nach 5:30 Uhr rief Kriminalassistent Dabbert von der Gestapo in Schwerin den Ludwigsluster Stadtrat Paul Hoffmann an und ordnete an, dass gegen Brände von Synagogen und Zerstörung von Wohnungen und Geschäften von Juden nicht einzuschreiten sei. Plünderungen und Misshandlungen sollten aber durch die Polizei verhindert werden. Wohlhabende Juden seien zu verhaften. Um 6 Uhr stand auch die Synagoge in Alt-Strelitz in Flammen. Zur gleichen Zeit drangen Männer in braunen Uniformen in die Synagoge in Teterow ein und verwandeln sie in einen »Trümmerhaufen«, in Neubrandenburg wurde das Konfektionsgeschäft Wolff verwüstet. Gegen 7 Uhr wurden in Waren die Geschäfte von Georg Baruch und Max Loewenberg demoliert. Auch in Schwerin fand die Zerstörung der Geschäfte und der Synagoge in den frühen Morgenstunden des 10. November statt. In den meisten mecklenburgischen Städten hatten die Vandalen ihr Werk bis Tagesanbruch vollendet.
Nur in Rostock, wo die Größe der jüdischen Gemeinde offenbar besondere Vorbereitung erfordert hatte, sah der Ablauf etwas anders aus. Die Zerstörungen begannen hier einige Stunden später. Gegen 8:30 Uhr stand die Synagoge in Flammen. Gegen 10 Uhr drangen etwa 50 »SS-Burschen« in das Haus des Rechtsanwalts Josephy ein, warfen die Möbel aus dem Fenster und zerschlugen die gesamte Inneneinrichtung. Während in den anderen Städten Mecklenburgs zumeist nur die Geschäfte verwüstet wurden, wurden in Rostock offenbar auch systematisch die Wohnungen heimgesucht. An mehr als 60 Orten in der Stadt wüteten die Schlägertrupps der SA hier bis in den Nachmittag des 10. November hinein. Weiter – hier
(aus: Bernd Kasten, Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945, Schwerin 2008)
Mehr Informationen
- Saul Friedländer, Orna Kenan: Das Dritte Reich und die Juden. 1933-1945. München 2010 – hier
- Bernd Kasten: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945. Schwerin 2008 – hier
- Dorothee Freudenberg: Geschichte der jüdischen Gemeinde Stavenhagen 1750-1942. Schwerin 2020 – hier
- Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Juden in Mecklenburg 1845-1945. Schwerin 2019 – hier