Harro Hübner gehört zu den bekanntesten Bluessängern des Landes. Am 2. und 3. November tritt er in der Dokumentations- und Gedenkstätte in der ehemaligen Untersuchungshaft der Staatssicherheit in Rostock auf. Als Musiker – und als Zeitzeuge. Denn Hübner musste früh die Grenzen für ein selbstbestimmtes und freies Leben in der DDR kennen lernen.
Eine Erinnerung von Harro Hübner. Karl-Marx-Stadt, 1983. Er war damals 18 Jahre alt.
Die „Singegruppe“ meiner Berufschule hatte sich für irgendeinen „Endausscheid“ eines Singegruppen-Wettbewerbes qualifiziert und wir reisten zu diesem Zweck an einem Samstag nach Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Die Titelauswahl wurde vorher durch eine Staatliche Organisation geprüft und ggf. wurden Titel gestrichen, bzw. deren Aufführung bei dieser Veranstaltung untersagt. Dies war bei uns der Fall: Mein Solo-Stück in unserem Programm – „Es ist an der Zeit…“ von Hannes Wader – wurde uns verboten.
„Kurz vor unserem Auftritt beschloss ich, das Lied trotzdem zu singen und sprach das mit dem Leiter der Gruppe ab (…). Es wurde langsam still im Saal und ca. 500 Gäste / inkl. der anderen Chöre lauschten der ersten Strophe. Schon während des ersten Refrains begannen einige aufzustehen und mitzusingen – Gänsehaut pur! Hinter der Bühne begann hektisches Treiben von „vielen jungen Männern“, mein Chor blieb aber standhaft schützend um mich herum stehen und ich schaffte es, bis zum zweiten Refrain. (…)
„Plötzlich“ gingen auf der Bühne Strom und Licht aus und mehrere „junge Männer“ stellten sich vor mich, während andere „junge Männer“ mich hinter die Bühne schleppten. Mein Chorleiter und ich wurden dann in die nächste U-Haft gefahren und mussten uns dort bis zum Montag (also 2 Tage) einiger „Gespräche“ stellen. Da Hannes Wader (u.a. als DKP-Mitglied) zu der Zeit aber den Kultur-Propagandisten der DDR ein „wohlgesonnener Dauergast“ bei diversen politischen Konzerten und Festivals im Ost-Block war und für die Zwecke des Kalten Krieges instrumentalisiert wurde, kamen wir mit einem blauen Auge, Verweisen, Ermahnungen und unter Androhungen härterer Konsequenzen davon.“
Hübner wollte immer nur Musik machen und Musiker werden (musste aber eine Ausbildung zum Zimmerer abschließen). Als er bei der Band Keimzeit war, erhielt die Gruppe wegen eines Kinderliedes Auftrittsverbot. Nach einem Fluchtversuch im Juni 1989 landete er im Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit Berlin-Hohenschönhausen. Dort stimmte er im so genannten Freihof den Song „Ketten werden knapper und brechen sowieso…“ der verbotenen Gruppe Renft an, andere Häftlinge stimmten ein.
Aus den Erinnerungen von Harro Hübner:
Im Nachsinnen empfinde ich die Jahre 1985-1989 zu den bis heute nachhaltig: schönsten, wichtigsten (…), lustigsten und glücklichsten Jahren meines Lebens – und natürlich auch: zu den nachhaltig furchtbarsten, belastendsten, gefährlichsten und traumatischsten Jahre! Mit allem, was dazu gehört – inklusive der Dauerbelastung durch den permanenten Druck des „beobachtet werden“, der Spiel-/Auftrittsverbote, der Androhung von Gefängnis, weil ich ja ein: „offensichtlich arbeitsscheues asoziales Element bin.“
In den umfangreichen Stasi-Unterlagen ist dokumentiert, warum Harro Hübner die DDR verlassen wollte, warum er mit seiner Frau 1988 einen Ausreiseantrag stellte bzw. 1989 den Fluchtversuch wagte und welche Folgen das hatte.
Über seine Erfahrungen in der DDR und in der Haft spricht Harro Hübner am 2. und 3. November – Beginn: 19 Uhr – mit Dr. Volker Höffer (Stasi-Unterlagen-Archiv Rostock). Begleitend werden Auszüge aus seinen Stasi-Akten gezeigt. Außerdem spielt er live damals verbotene und andere für ihn wichtige Songs jener Zeit.
Aufgrund der erwarteten Resonanz, der begrenzten Platzanzahl und der Regelungen in der Corona-Pandemie ist eine Anmeldung erforderlich.
Anmeldung
per Mail: dug-rostock@lpb.mv-regierung.de
oder telefonisch: 0157 30285136
Adresse
Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock
Grüner Weg 5, 18055 Rostock
Hintergrund
Auszug aus: „Es ist an der Zeit“ – deutscher Text: Hannes Wader, 1980
(Originaltext: „No man’s Land/Green Fields of France“ von Eric Bogle, 1976)
Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
Dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühen.
Da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
Im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.
Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
Deinen Namen nicht nur Ziffern und jemand hat
Die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht ein mal
19 Jahre alt.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns
Heute immer noch tun.Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Hast du toter Soldat mal ein Mädchen geliebt?
Sicher nicht, denn nur dort wo es Frieden gibt,
Können Zärtlichkeit und Vertrauen gedeihen,
Warst Soldat um zu sterben nicht um jung zu sein.
Vielleicht dachtest du dir, ich falle schon bald,
Nehme mit mein Vergnügen wie es kommt mit Gewalt.
Dazu warst du entschlossen hast dich aber dann,
Vor dir selber geschämt und es doch nie getan.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen,
So wie sie es mit uns heute immer noch tun.