Die Spuren der Zwangsarbeiter

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„GULag. Spuren und Zeugnisse 1929–1956.“ So hieß 2014 eine Ausstellung in Schwerin. Foto: Hans-Dieter Hentschel

Wattehose, eine Art Hemd, Buschlat, die Jacke – und dann diese Schuhe aus alten Reifen. „Das Gemeine war, dass sich der Schnee darin sammelte, bei Wärme taute und bei Nässe wieder gefror“, beschrieb Eduard Lindhammer seine Lagerkleidung. Der Schweriner wurde 1950 zu 25 Jahren Zwangsarbeit in einem GULag verurteilt.

An das dunkle Kapitel der politischen Straflager in der Sowjetunion möchte jetzt eine neue Zeitschrift erinnern, die von der Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Anne Drescher, herausgegeben wird. Titel: GULag und Gedächtnis.

In der einmal jährlich erscheinenden Zeitschrift werden Beiträge über die kommunistische Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone, in der DDR und im Gulag-Zwangsarbeitslagersystem des sowjetischen Geheimdienstes NKWD veröffentlicht. Zudem soll damit den in der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion organisierten Betroffenen und Angehörigen ein Forum geboten werden. Deren Jahrestreffen können altersbedingt nicht mehr stattfinden.

„Im Schwurgerichtssaal des Schweriner Landgerichts verurteilte ein Sowjetisches Militärtribunal 1945 bis 1955 zahlreiche unschuldige Menschen zum Tode oder zu langen Haftstrafen“, sagte Drescher am Donnerstag bei der Vorstellung der Zeitschrift. Über diese Todesurteile und die etwa 35.000 verurteilten deutschen Zivilisten, die in sowjetischen Lagern inhaftiert waren, sei nach wie vor viel zu wenig bekannt.

Eduard Lindhammer zum Beispiel wurde als 18-Jähriger durch ein sowjetisches Militärtribunal wegen Zugehörigkeit zu einer sowjetischen Untergrundorganisation zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Von 1950 bis 1954 war er in einem Lager in der Region Workuta. 1956 wurde er entlassen. Seine Erinnerung:

„Man bekam irgendein leinenes Unterzeug, eine Wattehose, die schon gebraucht war, natürlich auch geflickt, eine Art Hemd mit langen Ärmeln und einen sogenannten Buschlat, eine Wattejacke, die ebenfalls dünn, getragen und geflickt war. Dazu eine Art Schapka. Für die Füße bekam man Fußlappen. Über die Fußlappen zog man einen Wattestrumpf, und den Wattestrumpf steckte man in eine Art Schuhwerk, das aus alten Reifen hergestellt war. Das Gemeine an dieser Bekleidung lag darin, dass sich der Schnee in dieser Art Boots-Schuhen sammelte, bei Wärme taute und bei Nässe wieder gefror. Erfrierungen waren also etwas Normales. Meine großen Zehen waren noch Jahre nach der Rückkehr völlig unempfindlich.“

Aus: Anne Drescher: Haft am Demmlerplatz. Gespräche mit Betroffenen. Sowjetische Militärtribunale Schwerin 1945 bis 1953

Johannes Krikowski (Jahrgang 1930) kam ebenfalls aus Schwerin. Auch er war von 1952 bis 1955 in Workuta. 40 Jahre später schilderte er seine Zwangsarbeit:

„Und dann kam ich schließlich in diesen Schacht VI, einen miesen Stollen – vielleicht 60 Zentimeter hoch – wo man Methangas hatte. Ich musste dort Stempel bauen mit noch einem ehemaligen Studenten zusammen. Wir konnten vor lauter Kraftlosigkeit diesen Stempel nicht halten. Ich hielt den Stempel, er nahm den Hammer und fiel gleich vom Gewicht des Hammers nach hinten über. Wir haben kurzum die Norm nie geschafft und kamen dementsprechend immer auf Strafration.“

Aus: Anne Drescher: Haft am Demmlerplatz. Gespräche mit Betroffenen. Sowjetische Militärtribunale Schwerin 1945 bis 1953

In der DDR mussten Betroffene über ihr Schicksal schweigen. Nach 1990 hätten sich viele Menschen gemeldet, um endlich über ihre schlimmen Erfahrungen in den sowjetischen Lagern zu reden, so Drescher. Manchen Familien sei es erst jetzt gelungen, das Schicksal ihrer von der Sowjet-Geheimpolizei verschleppten Angehörigen und deren Todesumstände zu klären. Es gebe auch weiter ungeklärte Fälle.

Foto: Hans-Dieter Hentschel

In der Zeitschrift, die von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützt wird, sollen auch aktuelle Entwicklungen in der Erinnerungspolitik Russlands und der Russischen Föderation aufgegriffen werden.

Die Zeitschrift

Landesbeauftragte für MV für die Aufarbeitung der SED-Diktatur (Hg.): GULag und Gedächtnis. Beiträge zur Deutsch-Russischen Geschichte.

ISSN 2702-2315, ISBN 978-3-933255-61-7. Schutzgebühr 6 Euro. Online bestellt werden kann die Zeitschrift unter www.landesbeauftragter.de.

Telefon: 0385-734006

Fax: 0385-734007

Mail: post@lamv.mv-regierung.de

Extra

Aus dem Inhalt von „GULag und Gedächtnis“

Dr. Irina Scherbakowa: GULag – Geschichte und Aufarbeitung

Edda Ahrberg: „Aber die Erinnerungen bleiben“. Die Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion

Dr. Wilhelm Mensing: „Das Gedenken ist eine der Grundlagen menschlicher Kultur“

Dr. André Gursky: Ein Holzkoffer und ein Stück Kohle aus Workuta. Brücken der Erinnerung

Heini Fritsche: Heimkehr nach Deutschland 1955

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