Das Schicksal der Kychenthals

Vom / Landeskunde, Zeitzeugen

Stolpersteine am Schweriner Markt erinnern an die Kychenthals. Foto: Wiebke Marcinkowski

In der Reichspogromnacht sind 1200 Synagogen niedergebrannt und mindestens 8000 jüdische Geschäfte von Nazis verwüstet worden. Auch in Schwerin. Am Kaufhaus von Louis Kychenthal prangte bald danach eine Aufschrift: „Dieses Geschäft ist in arische Hände übergegangen.“

Am 9. November 1938 hatte NS-Propagandaminister Goebbels dem Judentum die Schuld für die Ermordung des deutschen Diplomaten vom Rath gegeben. Übergriffe auf Juden billigte er ausdrücklich. Noch in der Nacht kam es zu Gewaltexzessen an hunderten Orten. 91 Menschen wurden ermordet, in den folgenden Tagen wurden mehr als 30.000 jüdische Männer verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt.

Verhaftet wurden auch Louis Kychenthal und seine Söhne Ludwig und Willy. Ihr Geschäft am Schweriner Markt war in der Pogromnacht ebenso zerstört worden wie die darüber liegende Wohnung der Familie. In der Haft in Alt-Strelitz stimmte Kychenthal dem Verkauf seines Geschäfts weit unter Wert zu – aus Furcht vor weiterer Gewalt. Außerdem musste er für die Beseitigung der durch die Verwüstung entstandenen Schäden aufkommen.

Kychenthal hatte sein Kaufhaus 1894 eröffnet. Ein Textil-Geschäft für Bekleidung, Wäsche und Aussteuer, Bettfedern und Daunen. Er kaufte zwei angrenzende Immobilien hinzu – am Markt und in der Schusterstraße -, ließ den Hof überdachen und gab 1937 die Erneuerung der Fassade in Auftrag.

Als Warenhaus in jüdischem Besitz jedoch wurde das Kaufhaus bereits ab 1933 von den Nationalsozialisten boykottiert. Kunden, die bei Kychenthal einkauften, wurden in der Rubrik „Am Pranger“ im Niederdeutschen Beobachter namentlich aufgeführt.

Noch im Oktober 1938 wurde der Familie Kychenthal ein Vertrag vorgelegt, nach dem das Geschäft für 140.000 Reichsmark verkauft werden sollte. Die Kychenthals unterschrieben das Papier jedoch nicht.

Nach der Pogromnacht, nach Ausgrenzung und Verfolgung flüchtete die Familie 1939 nach Chile. Zurück blieb Louis Kychenthal. Der damals 75-Jährige wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er 1943 starb.

Das Kaufhaus kaufte Bernhard Knop aus Neukloster. Er fiel im Krieg.

Nachdem die Erben von Louis Kychenthal die Rückübertragung beantragt hatten, erhielten sie die Häuser 1996 wieder. Anschließend verkauften sie die Immobilien. Am Schweriner Markt erinnern heute Stolpersteine an das Schicksal der Kychenthals.

Hier gab es früher das Geschäft der Kychenthals. Foto: Wiebke Marcinkowski

Hintergrund

Während in Süd- und Westdeutschland schon kurz nach Mitternacht die Schläger ausrückten, um Feuer zu legen, zu plündern und zu zerstören, begann der Pogrom in Mecklenburg erst gegen 5 Uhr morgens. Zuerst – gegen 5:20 Uhr – brannte die Güstrower Synagoge. (…) Um 6 Uhr stand auch die Synagoge in Alt-Strelitz in Flammen. Zur gleichen Zeit drangen Männer in braunen Uniformen in die Synagoge in Teterow ein und verwandelten sie in einen „Trümmerhaufen“. (…) Auch in Schwerin fand die Zerstörung der Geschäfte und der Synagoge in den frühen Morgenstunden des 10. November statt. (…) In Rostock stand die Synagoge gegen 8:30 Uhr in Flammen. An mehr als 60 Orten in der Stadt wüteten die Schlägertrupps der SA. Weitere Infos – hier

Extra

Auf www.kychenthal.de gibt es umfangreiche Hintergründe zum Thema. Autor Matthias Baerens hat die Seite erstellt. Von ihm und Thilo Tautz stammt auch die NDR-Doku „Kychenthals Rückkehr“. Darin begleiten die Journalisten einen Enkel von Louis Kychenthal auf seiner Reise von Chile nach Schwerin. Baerens hatte in den 90er-Jahren eine Studienarbeit über „Arisierung“ geschrieben. In den Akten des Schweriner Stadtarchivs stieß er dabei auf das Schicksal der Kychenthals.

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  • Saul Friedländer, Orna Kenan: Das Dritte Reich und die Juden. 1933-1945. München 2010 – hier
  • Bernd Kasten: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945. Schwerin 2008 hier
  • Dorothee Freudenberg: Geschichte der jüdischen Gemeinde Stavenhagen 1750-1942. Schwerin 2020 – hier
  • Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Juden in Mecklenburg 1845-1945. Schwerin 2019 – hier

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