Der Stasi-Bunker von Crivitz

Vom / Landeskunde, Publikationen, Zeitzeugen

Die Hauptschleuse der Atombunkeranlage. Foto: Hendrik Lietmann

Die Autorin Sandra Pingel-Schliemann und der Fotograf Hendrik Lietmann haben sich auf Spurensuche durch Mecklenburg-Vorpommern begeben. Dabei entdeckten sie Orte, die auf besondere Weise die Geschichte der Friedlichen Revolution 1989 erzählen. Teil 1 unserer Serie: der Stasi-Bunker von Crivitz.

Es ist Winter, Januar 1990. Immer noch sind Schüs­se aus dem Waldgebiet zwischen Crivitz und Schwe­rin gegenüber der Gaststätte „Waldschlösschen“ zu hören. Die Einheimischen wissen, dass sich dort ein militärischer Übungsstand des Staatssicher­heitsdienstes befindet. Mit wachsender Unruhe fragen sie sich: Wofür wird dort noch trainiert? Die politische Geheimpolizei der DDR sollte längst kraft- und zahnlos sein. Außerdem beobachten sie, dass schwere Laster das Gelände befahren. Werden dort Akten vernichtet? Sie wenden sich an die „Po­litische Bürgerinitiative“ in Crivitz. Sofort machen sich Mitglieder der Initiative am 11. Januar 1990 auf den Weg. Schwer bewaffnete MfS-Angehörige ver­weigern ihnen am Eingangstor den Zutritt. Verbirgt sich hier mehr als bisher vermutet wurde? Schließ­lich ist das Gelände auch großräumig mit Stachel­drahtzaun abgeriegelt.

Foto: Hendrik Lietmann

Die Bürgerbewegten werden unruhig. Sie telegrafieren noch am selben Tage an die DDR-Regierung und fordern die sofortige Über­gabe des Areals. Außerdem organisieren sie, dass das Eingangstor rund um die Uhr bewacht wird. Am Freitag, den 12. Januar um 16.00 Uhr, beginnt für zwei Personen die erste Schicht. Die LPG Cri­vitz stellt einen Bauwagen für die Protestierenden zur Verfügung und verschüttet alle Nebenzugänge zum Gelände, um eine weiteres Befahren durch den Staatssicherheitsdienst zu verhindern. Immer mehr Crivitzer und Einwohner der Umgebung schließen sich dem Protest an. Sie bringen Transparente mit, stellen Kerzen auf, an einem Lagerfeuer wird Tee, Kaffee und Essen gereicht. Bis zu 500 Männer und Frauen treffen sich zeitweise dort.

Es gibt mehrere brenzlige Situationen, weil die Wut wächst, dass nichts geschieht. Einige wollen das Gelände stürmen. Nach drei Tagen dürfen einige Pro­testierende mit einem Militärstaatsanwalt und einem NVA-Oberst das Gelände betreten. Was sie dann sehen, werden sie nie vergessen.

Foto: Hendrik Lietmann

Auf dem Areal hat der Staatssicherheitsdienst eine unter der Erde liegende 1.400 Quadratmeter große Kommando- und Nachrichtenzentrale bewacht, die in den 1970er Jahre heimlich errichtet wurde und die atomsicher war. Der Zugang be­findet sich in einer großen Werkshalle, die extra zur Tarnung gebaut wurde. 19 Räume aufgeteilt in Unterkünften, Krankenstation, Sanitärbereichen, Kü­che, Büros, Nachrichtenzentralen mit Fernschreibern, Funkgeräten und Tele­fon stehen zur Verfügung. Es gibt eine Luftfilteranlage, einen 3.000 Liter fassen­den Trinkwassertank und etliche Schleusen. Die Kommandozentrale bietet am meisten Platz in diesem unterirdischen Labyrinth. Zentral hängen in ihr zwei Uhren, die einmal die Berliner Zeit und einmal die Moskauer Zeit anzeigen. Im Ernstfall musste an alles gedacht werden. 100 Mann hätten im Atombunker Un­terkunft gefunden und das weitere Geschehen gesteuert: ausgewählte Eliten der SED und des MfS. Zudem befinden sich auf dem Gelände eine Reihe von Nebengebäuden, einige ausgestattet mit Sauna, Abkühlungsbecken, Bar, Tanzsaal. Hier suchten die wachhabenden und teilweise auch dort lebenden MfS-Mitar­beiter Zerstreuung.

Foto: Hendrik Lietmann

Nach der Besichtigung müssen die MfS-Mitarbeiter abziehen, 30 Minuten gibt man ihnen. Alle Telefonleitungen werden gekappt. Das Gelände wird durch die NVA übernommen. Eine öffentliche Besichtigung für die Bevölkerung wird nicht zugelassen. Darum gehen noch einmal Mitglieder der Bürgerinitiative in den Bunker, drehen alles, was sie dort sehen und führen am 31. Januar 1990 den Film auf einer Bürgerversammlung im Kulturhaus in Crivitz vor. „Wir konnten den Menschen versichern, dass wir dem ein Ende bereitet haben“, sagt einer der damals beteiligten Bürgerbewegten. „Das hat sie beruhigt, auch wenn uns klar war, dass wir andernorts noch viel aufzudecken und aufzuklären hatten.“

Den Atombunker und die Nebengebäude gibt es noch heute. In den letzten 30 Jahren sind sie allerdings verrottet. In ihnen haben zahlreiche Fledermäuse eine neue Heimstätte gefunden. Der Atombunker bei Crivitz im ehemaligen Bezirk Schwerin war nicht der einzige. Es gab diese in allen DDR-Bezirken. Text: Sandra Pingel-Schliemann

Foto: Hendrik Lietmann

Buchtipp

Spurensuche. Orte der Friedlichen Revolution in Mecklenburg-Vorpommern. Von Sandra Pingel-Schliemann und Hendrik Lietmann. Herausgeber: Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern.

Hier geht’s zur Bestellung

Facebook