Kempowskis Haft in Schwerin

Vom / Zeitzeugen

Walter Kempowski. Aus: Ein Kapitel für sich

Heute wäre Walter Kempowski 91 Jahre alt geworden. Den meisten ist er als Chronist deutscher Zeitgeschichte mit Werken wie „Tadellöser & Wolff“ oder den „Echolot“-Büchern über den Zweiten Weltkrieg bekannt. Weniger bekannt ist, wie schicksalhaft sein Leben und Wirken mit dem historischen Ort Demmlerplatz in Schwerin verbunden ist.

1948 wird Walter Kempowski bei einem Besuch in Rostock zusammen mit seinem Bruder Robert verhaftet. Beide werden nach Schwerin und das Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Geheimpolizei am Demmlerplatz überführt.

Ausblick aus dem Fenster der Schweriner Zelle. Bildnotiz von Walter Kempowski

Hier erlebt der 19-jährige Kempowski Unerträgliches; schreibt später darüber: „Ich habe die Familie zerstört, nun suche ich sie auf Papier wiederaufzubauen.“ Ihm und seinem Bruder wird vorgeworfen, Frachtbriefe aus der Reederei des Vaters an die US-amerikanischen Besatzer weitergeleitet zu haben. Das Sowjetische Militärtribunal Schwerin verurteilt die Brüder wegen Spionage zu Freiheitsstrafen von je 25 Jahren, ihre Mutter etwas später wegen Mitwisserschaft zu zehn Jahren.

Walter und Robert Kempowski wurden in das Speziallager Nr. 4 nach Bautzen verbracht. Nach dessen Auflösung Anfang 1950 wurden beide durch den Strafvollzug der DDR übernommen. Walter Kempowski war wegen des Vorwurfes der Gründung einer christlichen Untergrundbewegung zeitweilig in Bautzen in Einzelhaft. 1956 wurde er vorzeitig entlassen.

1975 erscheint „Ein Kapitel für sich“

Walter Kempowski, wie auch Mutter und Bruder, verließen die DDR. Schnell plant er ein Buch über seine Hafterlebnisse zu schreiben. Nach seinem literarischen Debüt 1969, „Im Block”, erscheint erst 1975 „Ein Kapitel für sich“, in dem er über die Haftzeit am Demmlerplatz aus seiner eigenen Perspektive, der der Mutter und der des Bruders schreibt. Dieser Roman wird als Band VII der „Deutschen Chronik“ veröffentlicht.

An die Verfolgungsgeschichte der bürgerlichen Familie Kempowski in der SBZ/DDR wird in der Dauerausstellung des Schweriner Dokumentationszentrums erinnert. Unmittelbar nach der Friedlichen Revolution verfügte Walter Kempowski einen Teil seines Archivs seiner Heimatstadt Rostock zu übergeben. Das Kempowski-Archiv Rostock ist eine feste Adresse nicht nur für Kempowski-Leser aus ganz Deutschland geworden. Gerade erschien der 7. Band „Die Spatien“ mit Texten und Bildern aus dem Kempowski-Archiv.

Die Stadt Rostock ehrte Kempowski Walter 1994 mit der Verleihung der Ehrenbürgerschaft und 2002 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Rostock. Zwei Jahre vor seinem Tod gründete Kempowski die Kempowski Stiftung. Mit der Stiftung wollte er „die in seinem Werk begründete Erinnerungskultur auch regional verankern und gleichzeitig die eindrucksvollen Nutzungsmöglichkeiten des gesamten Anwesens für die Öffentlichkeit erhalten“.

Zwei Jahre nach der Stiftungsgründung verstarb Walter Kempowski 2007 in Rothenburg/Wümme.


Für die Häftlingsakte angefertigter handschriftlicher Lebenslauf. Aus: Kempowski-Archiv

Das Dokumentationszentrum in Schwerin

Der Gefängniskomplex wurde 1916 errichtet. Heute ist hier ein historischer Ort der Erinnerung, des Gedenkens und ein offener Lernort. Foto: Dokzentrum

Das Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland ist eine Einrichtung der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern und wurde am 6. Juni 2001 eröffnet. Wie kaum ein anderer Ort in der Region steht es für politisches Unrecht und staatliche Verfolgung im 20. Jahrhundert. Die wechselvolle Wirkungsgeschichte des 1916 errichteten Schweriner Gerichts- und Gefängniskomplexes wird in einer dreiteiligen Dauerausstellung gezeigt. In deren Mittelpunkt stehen Schicksale der Häftlinge, die während der Zeit des Nationalsozialismus, der sowjetischen Besatzungszeit und der SED-Diktatur aus politischen Gründen verfolgt, inhaftiert und verurteilt wurden. Das Dokumentationszentrum am Schweriner Demmlerplatz versteht sich als ein historischer Ort der Erinnerung, des Gedenkens und als offener Lernort.

Telefon: 0385/745299-11
Mail: dokuzentrum-schwerin@lpb.mv-regierung.de

Aus den Erinnerungen von Kempowski

Ein Kapitel für sich, 1. Aufl., München 1999, S. 12.

In der Nacht brachten sie mich nach Schwerin. Merci, mon ami, es war wunderschön, tausend Worte möcht ich dir noch sagen…

Eine dunkle Toreinfahrt in weißbeworfener Wand. Auf der Mauer zerbrochenes Glas, dahinter erleuchtete Zellen. Durch eine Seitenpforte ging‘s hinein, an einem Hund vorbei, der mich ankuckte, und an einem Bottich mit schmutziger Wäsche.

(Bilder aus deutscher Geschichte. Von der Trenck: Sogar um den Hals hat er ein Eisen, und die Hände kann er nicht zusammenkriegen, weil eine Stange dazwischen ist.)
Ich wurde an die Wand gestellt, unter die große elektrische Uhr. Einer knöpfte mir die Jacke auf, der wollte wissen, ob ich Waffen bei mir hätte.

Er öffnete das Gitter, die Uhr klickte, und trieb mich durch Gänge Treppauf, treppab: hundert Zellen links und rechts.
„Soll ich laufen?“ fragte ich.
Die Nummer 54 schloss er auf. („Dies Zimmer nehme ich.“) Hier mal eine Bronzetafel anbringen, eines Tages, wenn alles vorüber ist:

Zum Gedenken an Walter Kempowski

8. März 1948 bis … Ja wann: bis.

Ein eisernes Bett, ein Krug mit Wasser und in der Ecke der Kübel. Das Fenster mit Brettern vernagelt.
Ich stellte mich an die Heizung und wärmte mir die Füße. Irgendwo klopfte es. In den Wasserkrug hatte man hinein gespuckt.

Ich hockte im Wasser, hauchte mich an…“

Aus: Walter Kempowski: Ein Kapitel für sich, 1. Aufl., München 1999, S. 14f.

Dann wurde der Karzer aufgeschlossen, im Keller, eine Zelle mit besonders dicken, schalldichten Mauern. […]
In der Karzerzelle war noch eine zweite Tür, eine Gittertür, die teilte den Raum in zwei Hälften.
Ich musste mich ausziehen und wurde da hineingesteckt.
Fenster öffnen und Wasser auf den Fußboden gießen.

[…] Sie gingen fort, und ich stand im Wasser allein. Wenn wenigstens das Fenster zu gewesen wäre. Kein Schemel und nicht einmal ein Kübel, auf den man sich hätte setzen können.
„Schöne Geschichte, was?“ sagte der Posten, der vor dem Gitter stand.
[… ] Er hockte sich hin, nahm die Arme um die Knie und sagte: „So musst du das machen, Dummkopf.“ Wärmehaushalt: und sich selbst anhauchen.
[…] Ich hockte im Wasser, hauchte mich an und besah mir den Kot, der da wie Kork um mich herum schwamm.

[…] In der zweiten Nacht übergossen sie mich mit Wasser und ließen die Hoftür offen, damit‘s tüchtig zieht […].


Diese Tafel wurde am 29. April 2019 aus Anlass des 90. Geburtstages von Walter Kempowski im Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland angebracht.

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