Die Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung

Vom / Demokratie, Landeskunde

Gastbeitrag von Marc Ode, angehender Politikwissenschaftler und Praktikant in der Landeszentrale für politische Bildung MV.

Die Gemeinde ist eine Urform des gemeinschaftlichen Zusammenlebens von Menschen, um Dinge des täglichen Bedarfs, gemeinsame Aufgaben und Herausforderungen kollektiv zu meistern. Unsere heute gültigen Gemeindeordnungen entwickelten sich seit dem Mittelalter stetig weiter, da das nicht immer spannungsfreie Verhältnis von bürgerschaftlicher Beteiligung, leistungsfähiger Verwaltung und kommunaler Solidargemeinschaft sowie zahlreiche weitere Hindernisse es so erforderten.

Das Freiheitsversprechen der Preußischen Städteordnung (1806 -1848)

Die heutige kommunale Selbstverwaltung entstand als Ergebnis der politischen Entwicklungen in Deutschland seit dem Beginn des 19.Jahrhundert und der Neuordnung des europäischen Kontinents durch Napoleon im Zuge der Revolutionskriege nach 1792. In Folge schwerer Niederlagen und Einbußen, welche die preußische Großmacht in den Auseinandersetzungen mit den napoleonischen Streitkräften erlebten, suchte man eine Möglichkeit Preußen durch eine Gesellschaftsreform wieder kurzfristig handlungsfähig zu machen und langfristig dessen machtpolitische Stellung in Europa zu stärken. Wichtiger Bestandteil dieses Reformpaketes stellten Verwaltungsreformen und Freiheitsversprechen zur Selbstverwaltung für die Kommunen dar, welche die Ziele hatten die Gesellschaft zu stärken, indem die Aufgabe der Selbstverwaltung in den Provinzen, Kreisen und Städten zu einer „Belebung des Gemeingeistes“ und zur optimalen Nutzung aller Mittel führen. In den Kommunen sollten nun gewählte Stadtverordnetenversammlungen und der von ihnen gewählte Magistrat die Bevölkerung repräsentieren und die anfallenden Herausforderungen lösen.

Kommunale Selbstverwaltung als politische Teilhabe (1848 -1914)

Durch die preußischen Reformen entwickelte sich in den Städten eine kommunale Selbstverwaltung, die durch bürgerschaftliches Engagement bestimmt wurden. Dieses Umfeld wurde zum Nährboden für verschiedene liberale Diskussionsplattformen der bürgerlichen Verfassungsbewegung, welche sich für die Ausweitung der Teilhaberechte des Bürgertums und der Arbeiterschaft einsetzten. Erst im späten 19. Jahrhundert gewannen diese liberalen Reformer im Zuge der Industrialisierung, der gesellschaftlichen Mobilisierung und der deutschen Nationalstaatswerdung einen immer stärkeren Einfluss auf die Modernisierung der kommunalen Selbstverwaltung. Der von ihnen vorgelebte liberale Zeitgeist folgte der Idee, dass sich die wahre Freiheit der Selbstverwaltung in der selbstständigen Übernahme staatlicher Tätigkeiten, wie zum Beispiel in kommunalen Versorgungsunternehmen oder der Armenversorgung, äußern würde. Diese Ausweitung der Kompetenzen und die Einbeziehung der gesamten Gemeindebevölkerung verweisen auf die veränderten kommunalen Anforderungen an Verwaltungshandeln.

Kommunale Selbstverwaltung zwischen Leistungsexpansion und Finanznot (1918 – 1933)

Kriegsfolgebedingte Verknappung von Ressourcen, zyklische Wirtschaftskrisen und Verarmung der Gesellschaft führten nach dem Ersten Weltkrieg zu einem andauernden Spannungsfeld zwischen Leistungsexpansion und Finanznot der kommunalen Selbstverwaltung. Unter der Last der Kriegsfolgen und der Neuordnung des Steuersystems im Zuge der Reichsfinanzreform 1919, die den Kommunen einen Anteil an der Einkommenssteuer entzog, kam es zu einem Bruch mit dem bestehenden System der Selbstverwaltung. Aus der Kommune als teilautonomen Steuerempfänger wurde nun ein Zuschussempfänger, was eine immer stärkere Einschränkung der eigenen Verwaltung zur Folge hatte. Diese Entwicklung verstärkt sich noch einmal zunehmend mit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, welche insbesondere durch die hohen sozialen Ausgaben für die explodierenden Arbeitslosenzahlen zu ruinierten kommunalen Finanzhaushalten und einer immer größer werdenden Abhängigkeit vom Deutschen Reich führten.

Ende der kommunalen Selbstverwaltung im „Dritten Reich“ (1933 – 1945)

Der Niedergang der kommunalen Selbstverwaltung im „Dritten Reich“ beginnt mit der Verabschiedung des Preußischen Gemeindeverfassungsgesetzes der Reichsgemeindeordnung 1933, in dem alle bisher gültigen Städte- und Landgemeindeordnungen aufgehoben und durch eine allgemeingültige ersetzt wurden. Nur zwei Jahre später werden mit der Deutschen Gemeindeordnung (DGVO) im Januar 1935 auch die restlichen landesrechtlichen Kommunalverfassungen aufgehoben. In Zukunft sollten nun nach dem „Führerprinzip“ vom Staat berufene Bürgermeister und eingesetzte Gemeinderäte die Geschicke der Kommunen leiten. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs in 1939 wurde das Verwaltungshandeln zusätzlich durch zahlreiche Sonderverwaltungseinheiten überlagert, verdrängt oder ergänzt. Dadurch wurden die Kommunen zu einem wesentlichen Bestandteil von Verfolgung, Repression und Gleichschaltung.

Neuanfang und Wiederaufbau der kommunalen Selbstverwaltung (1945 – 1989)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in den Besatzungszonen die Gemeindeordnung vom nationalsozialistischen Gedankengut gesäubert und je nach Besatzungszone neu geordnet. Die Alliierten setzten dabei als Gegengewicht zu den zentralisierten Machtstrukturen auf eine Wiederbelebung der traditionellen Vielfalt der Kommunalverfassungen in ihren Besatzungszonen. Die US-Amerikaner teilten die Kommunen ihre alten Aufgaben zu und überließen den Behörden die Neufassung des Kommunalrechts. In der französischen und britischen Besatzungszone wurden Verwaltungen mit Bürgermeistern und Gemeinderäten nach französischem und britischem Vorbild installiert. In der sowjetischen Besatzungszone wurde mit dem Erlass der „Demokratischen Gemeindeverordnung“ an die Tradition der Selbstverwaltung in der Weimarer Republik angeknüpft, doch im Zuge des Aufbaus der SED-Diktatur wurde dieses Selbstverwaltungsrecht wieder beseitigt.

Wiedervereinigung (1989 – 1990)

Bereits vor der Wiedervereinigung wurde die Verfassung der DDR unter der Regierung de Maizière geändert und die kommunale Selbstverwaltung wiedereingeführt. Im Zuge des Wiedervereinigungsprozesses wurde die Verwaltungs- und Gemeindeordnung erneut reformiert und nötige Strukturänderungen eingeleitet. Dabei wurden, bis auf in Baden-Württemberg, alle kommunalpolitischen Verfassungen verändert und um repräsentativ demokratische Formen politischer Entscheidungsfindung durch direktdemokratische Formen ergänzt.

Die Grundlage zum Artikel und weiterführende Informationen findet ihr hier.

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