Die friedliche Revolution im Norden der DDR

Vom / Landeskunde

Im Sommer 1989 nahm die Zahl der Ausreiseantragsteller in den nördlichen DDR-Bezirken rapide zu. Ein Teil von ihnen flüchtete über Ungarn nach Österreich, andere waren bei der Besetzung der Prager Botschaft dabei.

Im September begannen im Land die ersten Fürbittandachten für politisch Gefangene, die immer mehr Menschen – auch konfessionell ungebundene – anzogen. In die Stralsunder Nikolaikirche drängten sich am 9. Oktober 1989 400 Teilnehmer. Am 12. Oktober waren es in der Rostocker Marienkirche bereits 2.000 Menschen, die sich zum Gebet zusammenfanden. Der Platz in den Kirchen reichte in den darauf folgenden Wochen kaum noch aus, so dass die Straße als Ort des Protestes genutzt wurde. Schnell vermischten sich dort die Forderungen nach der Freilassung politischer Gefangener mit denen nach Meinungs-, Reise-, Wahlfreiheit und politischer Mitbestimmung.

In dem Spruch „Wir sind das Volk!“ gipfelte die Unzufriedenheit der protestierenden Masse gegen Gängelung, Einengung, wirtschaftliche Versorgungsengpässe, beschränkte Reisemöglichkeiten, Überwachung und Bespitzelung. Schauplatz der ersten größeren Demonstration im Norden war die Stadt Waren. Am 16. Oktober 1989 verliehen dort 300 Menschen ihrem Protest Ausdruck. Wenige Tage später fanden auch in vielen anderen Städten größere Demonstrationen statt.

Es bildeten sich in den darauf folgenden Wochen feste Demonstrationszyklen heraus, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Gleichzeitig organisierten sich im September und Oktober vielerorts im Land Gruppen des Neuen Forums und anderer Bürgerbewegungen, in denen Tausende eine freie und unabhängige politische Wirkungsstätte fanden. Als sich am 9. November für die Menschen in der Region die Grenzübergänge öffneten, war das Ende der deutschen Teilung eingeleitet.

Der gemeinschaftliche Ruf „Wir sind das Volk!“ wurde spätestens ab Dezember von Seiten der Protestierenden von der Forderung „Wir sind ein Volk!“ überlagert.

Die Ereignisse der Friedlichen Revolution bis hin zur ersten freien Wahl der Volkskammer am 18. März 1990 vollzogen sich mit einer Vielzahl regionaler Protestgeschichten ganz eigener Art. Das heute noch bestehende Vorurteil, dass die Menschen auf dem heutigen Gebiet Mecklenburg-Vorpommerns die Revolution verschlafen hätten, lässt sich nicht aufrechterhalten. Die Demonstrationen setzten zwar im Vergleich mit dem Süden der DDR mit einer gewissen Verzögerung ein. Die erste öffentliche Informationsveranstaltung des Neuen Forums am 2. Oktober 1989 in Schwerin, bei der Tausend Menschen zusammentrafen, fand jedoch früher als in Leipzig statt. Außerdem gehörte der in Güstrow installierte Runde Tisch zu einem der ersten in der DDR. Auch bei der Entmachtung der Staatssicherheit spielten Orte wie Rostock und Greifswald eine Vorreiterrolle.

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