Parteien sind schon ihrem Namen nach Teil der Interessen der Bevölkerung im politischen System. Sie treten dabei in den Wettbewerb zueinander und machen in Wahlkämpfen auf den Ebenen Kommune, Land, Bund und Europa ein Angebot. Die Wählerinnen und Wähler wählen je nach ihrer Interessenlage aus den Angeboten aus und bestimmen durch ihr Kreuz über die Vergabe von Parlamentssitzen. Da die Gründung von Parteien in der Bundesrepublik Deutschland frei (Grundgesetz Artikel 21) ist, kann die Anzahl der Akteure in den Arenen stark variieren.
Einige Dutzend Parteien bei Landtagswahlen
So sind schon eine dreistellige Anzahl zu Bundestagswahlen und einige Dutzend Parteien bei Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern angetreten. Das entspricht einer großen Bandbreite von Angeboten, über die im Landtag vertretenen Parteien hin zu beispielsweise der Partei Bibeltreuer Christen (PBC), der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) oder der Familien-Partei Deutschlands. Allerdings ist es bisher jeweils nur einer kleinen Anzahl von Parteien gelungen, Mandate zu erlangen. Die wenigen regionalen und temporären Erweiterungen wie aktuell die Piratenpartei in u.a. Berlin und Nordrhein-Westfalen, die NPD in Mecklenburg-Vorpommern, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) in Schleswig-Holstein oder die Freien Wähler (FW) in Brandenburg und Bayern sind häufig auf besondere Rahmenbedingungen zurückzuführen.
In Schwerin konstituierten 1990 vier Parteien den ersten frei gewählten Landtag des Bundeslandes. Jedoch waren 15 Akteure am 14. Oktober des Jahres insgesamt mit Listen auf dem Wahlzettel vertreten. Das Verhältnis zwischen angetretenen und eingezogenen Parteien blieb seit 1990 ungefähr gleich, nachdem über drei Legislaturperioden nur drei Parteien (CDU, SPD, PDS/Die Linke) Fraktionen stellten, zogen 2006 erstmals fünf Parteien ein, anstatt der FDP schafften dann 2011 die Bündnisgrünen zum ersten Mal den Sprung. Die Zahl der Parteien, die zur Wahl antraten und -treten, stieg einschließlich der Landtagswahl 2016 auf 17 an.
Abbildung 1: Anzahl der angetretenen und in den Landtag eingezogenen Parteien
Quelle: Eigene Darstellung nach den Daten der Landeswahlleiterin
Die Zulassung zur Wahl ist nicht nur auf Parteien beschränkt, parteilose Einzelbewerber können sich ebenfalls aufstellen lassen. Allerdings nur als Anwärter auf ein Direktmandant in einem Wahlkreis. Grundsätzlich müssen Sie die gleichen Voraussetzungen erfüllen wie andere Kandidierende auch. Sie müssen das 18. Lebensjahr vollendet haben und im Bundesland wohnhaft sein. Um kandidieren zu können, müssen Einzelbewerber und Direktkandidaten von Parteien, die in der vergangenen Legislaturperiode nicht im Landtag vertreten waren, 100 Unterstützerunterschriften bei der Landeswahlleiterin vorlegen. Nur dann sind Sie zur Wahl zugelassen.
Die Zahl der Einzelbewerber, die das bisher immer erfolglose Unterfangen auf sich genommen haben, schwankte in Mecklenburg-Vorpommern zwischen zwei und zehn. Bei keiner Wahl erreichten die angetretenen Einzelbewerber auch nur ein Prozent der Erstimmen in der Addition untereinander.
Tabelle 1: Anzahl der angetretenen Einzelbewerber (EB) und Stimmenanteil in Prozent
Quelle: Christian Nester, Die Kleinstparteien in Mecklenburg-Vorpommern, in: Martin Koschkar, Christian Nestler, Christopher Scheele (Hrsg.): Politik in Mecklenburg-Vorpommern, Wiesbaden 2013. S. 180.
Die beiden Darstellungen verdeutlichen trotz des Fokus auf MV die Grundcharakteristika des Parteiensystems der Bundesrepublik, es ist sehr stabil und nur wenige neue Parteien können sich fest etablieren. Bislang gelang dies auf der Bundesebene nur den Grünen und nach der Wiedervereinigung 1990 der PDS. Die gleichen Bedingungen gelten gleichfalls für die regionalen Parteiensysteme der Bundesländer. Gründe für die hohe Stabilität des Parteiensystems liegen u.a. in technischen Elementen des Wahlsystems und in der oben angedeuteten starken Pfadabhängigkeit begründet. Erstere haben zum Ziel, eine möglichst hohe Konzentration zu erzeugen und eine Zersplitterung des Parteiensystems zu verhindern. Letzteres gilt als ein Grund für den Untergang der Weimarer Republik.
Einschränkung durch technische Elemente des Wahlsystems
Die 5-Prozent-Hürde stellt das größte Hindernis für kleine Parteien dar. Sie ist das Element des Wahlsystems, welches eine Konzentration sichert, eine Fragmentierung verhindert und die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes herstellen soll. Die Sperrklausel führt im Verhältniswahlrecht dazu, dass die Chancen für neue Parteien, in das Parlament einzuziehen, sehr gering sind. Relativ viele Stimmen sind also notwendig, um den Einzug zu schaffen. In Mecklenburg-Vorpommern wäre bei einer Wahlbeteiligung von 100 Prozent, bei 1,35 Millionen Wahlberechtigten, ein Zweitstimmenergebnis von mehr als 67.500 notwendig, um Parlamentssitze zu beanspruchen.
Die Notwendigkeit von Unterstützerunterschriften für neue Parteien, die vor der Zulassung der Bewerbung einzureichen sind, stellt eine formale Hürde dar. Parteien, ihre Direktkandidaten wie auch die Einzelbewerber sind auf die Unterstützung von Wahlberechtigten angewiesen. Dies verhindert Ein-Mann-Parteien und zeigt, dass die Partei/der Kandidat bereits über Unterstützung in der Wählerschaft verfügt.
Bekanntheit und Vernetzung sind erforderlich
Die staatliche Parteienfinanzierung ist Ausdruck der im Grundgesetz festgelegten Stellung der Parteien in der Gesellschaft. Sie sollen an der politischen Willensbildung mitwirken. Die Teilfinanzierung (andere Quellen sind unter anderem Mitgliedsbeiträge und Spenden) der Parteien ist Ausdruck der herausgehobenen Stellung der politischen Parteien im politischen System. Zugleich sind die etablierten Parteien im Vorteil gegenüber neuen Parteien, die ihren politischen Start vollends selbst finanzieren müssen. Parteienfinanzierung gibt es erst ab 1 Prozent bei Landtagswahlen und 0,5 Prozent bei Bundes- sowie Europawahlen des Zweistimmenergebnisses im Folgejahr und nur in Höhe der vorhandenen Eigenmittel. Dies hat in der Vergangenheit gerade neue Parteien eingeschränkt. Die Piratenpartei hatte etwa 2010 nach den guten Ergebnissen bei der Bundes- und Europawahl 2009 einen deutlich sechsstelligen Mittelanspruch, verfügte aber nur über Eigenmittel von unter 70.000 Euro und erhielt daher nur eben diesen Betrag aus dem Staatshaushalt.
Es ist in der personalisierten Verhältniswahl eine grundsätzliche Bekanntheit und Vernetzung erforderlich. Doch gerade für neue Akteure ist die Verankerung gering und der Medienzugang im Regelfall schwierig. Politik wird über (Massen-) Medien vermittelt, Wählerinnen und Wähler informieren sich in Zeitung, Rundfunk und immer mehr in Onlinemedien über Parteien und ihre Inhalte. Wer jedoch in den großen Massen- und Leitmedien nicht vorkommt, hat einen immensen Nachteil gegenüber den etablierten Parteien. Informationen und Berichte über Parteien beeinflussen die Wahlentscheidung. Kleinere Parteien, die erschwerend nicht selten Ein-Themen-Parteien sind, bekommen daher kaum Aufmerksamkeit. Letzteres stärkt in Verbindung mit der langen Stabilität des deutschen Parteiensystems das Motto: „Die kenn ich nicht, deshalb wähl ich sie nicht.“ Die Hürde von Wahrnehmbarkeit gilt aber auch für die Grünen oder die FDP, deren Spitzenpersonal nur wenigen Bürgerinnen und Bürgern speziell in MV bekannt ist.
Parteigründungen müssen nicht erfolglos sein
Das alles stellt relativ hohe Hürden für neue Parteien dar. Es gibt aber (wenige) Beispiele einer erfolgreichen Etablierung. Diese liegt vor, wenn eine Partei längerfristig und kontinuierlich als wahrnehmbarer politischer Akteur erkennbar ist, v.a. regelmäßig in die Parlamente gewählt wird. Die Grünen haben sich über ihr Kernthema Umwelt seit ihrer Gründung 1980 in den Parlamenten verankert. Es folgte nach der Wiedervereinigung die PDS, die sich 2007 mit der WASG (Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative) zu Die Linke vereinigte. Die Piratenpartei, die vor allem 2009 bis 2012 für viel Aufsehen gesorgt hat, konnte sich hingegen offensichtlich nicht weiter etablieren. Welchen Weg die AfD geht, bleibt ebenfalls abzuwarten. Seit der Bundestagswahl 2013 ist sie bislang in alle seitdem gewählten Landtage eingezogen.
Parteigründungen müssen also nicht erfolglos sein. Denn als politische Akteure kommen ihnen wichtige Funktionen zu. Sie sind an der Zielfindung (Programm) der Politik beteiligt, sie mobilisieren und sozialisieren Menschen im politischen Raum und rekrutieren diese gleichzeitig für Ämter und Mandate. Die wohl wichtigste Funktion ist Artikulation und die Aggregation von Interessen aus der Gesellschaft. Parteien bilden hier ein wichtiges Scharnier zwischen dem Staat und der Öffentlichkeit. Wenn es gesellschaftliche Konflikte gibt, diese aber nicht über Parteien in der Politik abgebildet werden, entsteht eine Gelegenheitsstruktur in der sich neue Parteien herausbilden können.
Abbildung 2: Darstellung der Gelegenheitsstruktur im Parteienwettbewerb
Quelle: Eigene Darstellung nach Nestler 2016 (https://gutvertreten.boell.de/2016/05/06/die-afd-im-wahljahr-2016).
Bei der Landtagswahl 2016 gibt es zwei neue Parteien, die um die Gunst der Wählerinnen und Wähler im Bundesland kämpfen. Im Februar gründete sich aus dem Aktionsbündnis der Windkraftgegner „Freier Horizont“ die gleichnamige Partei. Ebenfalls das erste Mal antreten will die Partei Achtsame Demokraten. Nach dem Selbstverständnis der Partei finden sich hier v.a. von der Landespolitik enttäuschte Bürgermeister und Kommunalpolitiker wieder.
Wenn die Chancen für neue oder allgemein kleinste Parteien auch ausgesprochen klein sind, in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einzuziehen, ändert dies nichts an der Tatsache, dass sie ein essentieller Bestandteil der demokratischen Kultur im Land sind. Durch sie werden etablierte Akteure auf Themen aufmerksam gemacht oder bei ausreichender Relevanz und Wahrnehmung schaffen sie es möglicherweise sogar selbst ins Schweriner Schloss.
Die Autoren: Jan Müller und Christian Nestler sind Mitglieder der Arbeitsgruppe Politik und Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Mitarbeiter am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Rostock.
Die Serie
Teil 1: Die Analyse der Wahl 2011
Teil 2: Die Strukturmuster des Wahlverhaltens
Teil 3: Wie kann man Frauen gezielt fördern?
Teil 4: Faktoren der Wahlentscheidung