Eine Frage von Wahl und Nichtwahl

Vom / Landtagswahlen

Befunde für Mecklenburg-Vorpommern
Im Zuge von Landtagswahlen wird das Thema der Wahlbeteiligung immer wieder diskutiert. 2011 beteiligte sich nur rund die Hälfte der Wahlberechtigen am Urnengang in Mecklenburg-Vorpommern. Der Trend einer allgemein sinkenden Wahlbeteiligung kann mit Blick auf die Landtags- und Bundestagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern attestiert werden. Die Wahlbeteiligungen der Landtagswahlen 1994, 1998 und 2002 profitierten dabei von der Gleichzeitigkeit mit der Bundestagswahl, da nationale Wahlen stärker mobilisieren als Landes- oder Kommunalwahlen.

Grafik 1: Entwicklung der Wahlbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern seit 1990 (Volkskammerwahl 1990, Bundestags- und Landtagswahlen 1990-2013)

Quelle: Eigene Darstellung nach Werten der Landeswahlleiterin

Auf Basis dieses Befundes befassten sich Studierende der Universität Rostock im Sommersemester 2016 mit der Frage von Wahl und Nichtwahl. Im Rahmen eines politikwissenschaftlichen Seminars wurden dafür Studien zum Thema gesichtet, zentrale Einflussfaktoren herausgearbeitet und auch eine Diskussion um mögliche Anreizsysteme zur Erhöhung der Wahlbeteiligung in Deutschland allgemein – und so auch für Mecklenburg-Vorpommern – geführt.

Sinkende Wahlbeteiligungen sind ein allgemeiner Trend auf Landesebene
Eine Betrachtung der Wahlbeteiligungen aller Landtagswahlen seit 1990 zeigt einen allgemein sinkenden Trend. Lag die durchschnittliche Wahlbeteiligung Anfang der 1990er Jahre noch über 70 Prozent, ist sie mittlerweile auf ein Niveau von knapp über 60 Prozent abgesunken. Selbstredend finden sich immer wieder Ausnahmen zu dieser Entwicklung, wie es auch die gestiegene Mobilisierung bei den Landtagswahlen im März 2016 in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland Pfalz zeigt. Dennoch kann attestiert werden: Der für Mecklenburg-Vorpommern festgestellte Trend stellt keine regionale Besonderheit dar, sondern lässt sich im Vergleich aller Landtagswahlen als allgemeines und bundesweites Phänomen interpretieren.

Grafik 2: Entwicklung der Wahlbeteiligung bei allen Landtagswahlen 1990-2016

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der Wahlbeteiligungen, Wahlarchiv der Tagesschau

Nichtwahl-Motive sind divers
In der Seminardiskussion wurden bisherige Erkenntnisse zu Einstellungen und Motiven von Nichtwählern erörtert. Hierbei zeigte sich, dass Nichtwähler keine homogene Gruppe darstellen, sondern in ihren Motiven der Nichtbeteiligung durchaus divers sein können. Allgemeines Desinteresse, Protest aber auch Zufriedenheit mit der allgemeinen Entwicklung kommen als Begründungen in Frage. Zudem sind Nichtwähler in der allgemeinen politischen Verortung unterschiedlich, sie würden sich bei einer Wahlbeteiligung auf unterschiedliche Parteien verteilen.

Die Analyse verschiedener Studien über das Profil der Nichtwähler zeigt, dass Alter, Einkommen und Bildung wichtige Faktoren für die Frage von Wahl oder Nichtwahl sind. Bevölkerungsgruppen mit höherem Alter, höherer Bildung und höherem Einkommen neigen überdurchschnittlich zu einer Beteiligung bei Wahlen. Jüngere Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen und formal niedrigeren Bildungsabschlüssen stehen dahinter zurück.

Breites Spektrum an möglichen Anreizsystemen
Im Rahmen des Seminars diskutierten die Studierenden zudem Anreizsysteme für die Erhöhung der Wahlbeteiligung. Immer wieder wurden dabei die Bedeutung rechtlicher Veränderungen und der Einsatz finanzieller Ressourcen für die Anreizsysteme betont. Die möglichen Maßnahmen beziehen sich auf vier Dimensionen, in denen es bereits Ansätze gibt.
a) Weniger Hürden für die Wahl durch z.B.:

  • eine Optimierung der Briefwahl über das automatische Versenden von Briefwahlunterlagen oder die Möglichkeiten einer telefonischen Bestellung.
  • das Absenken des Wahlalters, um jüngeren Alterskohorten früher den Zugang zu demokratischen Verfahren zu ermöglichen und eine Sensibilisierung für Wahlverfahren zu erreichen.
  • die Einführung mobiler Wahllokale, die eine flexiblere Stimmabgabe ermöglichen und mögliche infrastrukturelle Nachteile von Wahlräumen ausgleichen.

b) Mehr Wahlkampf für die Wahl durch z.B.:

  • eine Ausweitung des Wahlkampfraumes in öffentlichen Institutionen mit vielen Beschäftigten.
  • eine Ausweitung öffentlicher Debattenforen im Wahlkampf von Kreis- bis Landesebene, um den direkten Widerstreit der Parteien und Wahlbewerber zu ermöglichen, der die Wahrnehmung inhaltlicher Unterschiede verbessert.
  • eine Thematisierung der Positionen von Nichtwählern und Unentschlossenen in Umfragen im Wahljahr, um eine Ausrichtung der Parteien auf diese Gruppen zu verbessern.

c) Mehr Motivation für die Wahl durch z.B.:

  • durch die Einführung eines „Superwahltages“, der Wahlen auf unterschiedlichen Ebenen miteinander kombiniert und einen höheren Anreiz zur Beteiligung schafft.
  • eine Ausweitung des Stimmzettels für eine mögliche Enthaltung („Ich wähle keine Partei“), um Unzufriedenheit und Nichtwahlabsicht in die Wahl zu integrieren und besser erkennbar zu machen.
  • die Ausweitung direktdemokratischer Verfahren innerhalb der Parteien wie die Direktwahl der Spitzenkandidierenden, was die Aufmerksamkeit im Wahljahr für die Aufstellung der Parteien erhöhen würde.

d) Mehr Information für die Wahl durch z.B.:

  • die Vereinfachung von Stimmzetteln und Wahlunterlagen, die in Optik und Sprache ein besseres Verständnis ermöglichen.
  • eine Ausweitung von Mitteln für öffentliche Kampagnen zur Wahl unabhängig von Parteipositionen, die auch in Schulen, großen Betrieben oder Restaurants und Diskotheken sichtbar werden.
  • zusätzliche mediale Formate, die die Aufmerksamkeit für die Wahl erhöhen und eine kontinuierliche Information der Wählerinnen und Wähler sicherstellen.

Abbildung 1: Mindmap im Seminar

Quelle: Foto MK

Fazit und Ausblick – Wahlbeteiligung am 4. September?
Die Seminarergebnisse zeigen, dass die Höhe der Wahlbeteiligung von unterschiedlichen Faktoren abhängt. Eine Prognose für die Wahl am 4. September gestaltet sich deshalb schwierig. Mögliche Mobilisierungseffekte wie bei den Wahlen im März 2016 in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg erscheinen möglich, müssen jedoch auch vor dem Hintergrund des „Sommerwahlkampfes“ zur Urlaubszeit mit dem Wahltermin am letzten Feriensonntag betrachtet werden. Die Bewertung der Wahlbeteiligung und die Interpretation unterschiedlicher Faktoren werden in die Analyse der Arbeitsgruppe Politik und Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern für die Landtagswahl 2016 einfließen. Hier wurden Grundlagen der Forschungstätigkeit mit Studierenden gemeinsam erarbeitet – diese Zusammenarbeit gehört zum Selbstverständnis der Arbeitsgruppe Politik und Wahlen in MV, in der Wissenschaftler und Studierende gemeinsam Analysen zur Landespolitik erarbeiten.

Der Autor: Martin Koschkar ist Mitglied der Arbeitsgruppe Politik und Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Mitarbeiter am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Rostock.

Die  Serie

Teil 1: Die Analyse der Wahl 2011

Teil 2: Die Strukturmuster des Wahlverhaltens

Teil 3: Wie kann man Frauen gezielt fördern?

Teil 4: Faktoren der Wahlentscheidung

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