„Engagiert vor Ort – Aktiv für die Gesellschaft“, lautet eine Studie zur Gewinnung von Frauen für politische Mandate.¹ Über die Ergebnisse haben wir mit Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer und Christian Nestler vom Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaft sowie der Arbeitsgruppe Politik und Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern gesprochen.
Zwei Jahre wurde für die Studie geforscht. Wie sind Sie vorgegangen?
Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer: Zunächst haben wir den Ist-Stand des Engagements von Frauen in der Politik in MV seit 1990 erhoben. Dies war über die Datenhandbücher des Landtages, die Wahlergebnisse bei den entsprechenden Wahlen sowie die Arbeiten der Arbeitsgruppe Politik und Wahlen in MV gut abgedeckt. Aus diesem quantitativen Material konnten wir langfristige Entwicklungen und Trends ableiten und so unsere persönlichen Gespräche mit bereits aktiven Frauen vorbereiten.
Christian Nestler: Wir haben in den anschließenden Gesprächsrunden, die jeweils über die Gleichstellungsbeauftragten der Landkreise und kreisfreien Städte organisiert worden waren, sehr engagierte und kluge Landes- und Kommunalpolitikerinnen kennengelernt. Es war für uns erstaunlich, wie offen die Beteiligten über ihren Weg in die Politik berichteten. Interessant waren die Äußerungen über ihre Erfahrungen zum Umgang mit weiblichen Abgeordneten in der Landes- und Kommunalpolitik. Wir haben dabei viel gelernt und möchten auf diesem Wege noch einmal allen jenen danken, die uns bei der Erarbeitung der Studie unterstützt haben.
Hatte sich bislang niemand das Thema angeschaut?
Hübner-Oberndörfer: Natürlich gibt es sehr gute Vorarbeiten. Aber vor dem Hintergrund der gezielten Frauenförderung war MV bisher ein weißer Fleck der Forschung. Die meisten Untersuchungen beziehen sich auf die Situation in der gesamten Bundesrepublik oder speziell in den ostdeutschen Ländern. Bei allen Studien sind die Darstellungen zur Situation in MV wenig aussagekräftig, u.a. weil die Rücklaufquoten bei Befragungen sehr gering waren.
Wenn Sie auf die Ergebnisse schauen: Wie sieht denn der Ist-Stand aus?
Hübner-Oberndörfer: Hier sollte man drei Ebenen unterscheiden: Landesregierung, Landtag und kommunale Ebene. Denn wenn die Werte im Einzelnen genauso wie Kurvenverläufe über die Zeit ähnlich sind, so ist das Level der Partizipation relativ unterschiedlich. Allgemein lässt sich sagen, dass bis in die frühen 2000er ein Anstieg von rund 15 Prozent auf bis zu 40 Prozent zu beobachten war und danach bis zu den Wahlen 2011 und 2014 eine Stagnation, teilweise sogar ein rückläufiger Trend zu erkennen ist. Einfluss haben hier selbstverständlich die verschiedenen Parteien, welche intern unterschiedliche Gleichstellungspolicies verfolgen, beziehungsweise auf der Ebene der Regierung der Wille, frei werdende Ministerien und Staatssekretärsposten mit entsprechend qualifizierten Frauen zu besetzen.
Der Landtag von 1990 bis 2011. Quelle: Eigene Darstellung entsprechend der Studie, Seite 17
Was sind hemmende und fördernde Faktoren?
Hübner-Oberndörfer: Als hemmend werden z.B. innerparteiliche Strukturen, männliche Rituale und Intransparenz von Strukturen empfunden, aber auch kommunale Strukturen, die zu wenig Rücksicht auf den verfügbaren Zeitfonds der Politikerinnen nehmen, wirken demotivierend. Als fördernde Faktoren wurden u.a. eine funktionierende Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Ehrenamt und die Verbundenheit mit der Region genannt. Letztere sei besonders wichtig, weil Kommunalwahlen Personenwahlen sind und die persönliche Bekanntheit der Kandidatinnen zum Wahlerfolg beiträgt.
Wie kann man Frauen gezielt fördern?
Nestler: Hier muss zunächst klar sein, dass es nicht die eine Antwort auf diese Frage gibt. Es können lediglich Wege beschritten werden, die mittel- und langfristig Veränderungen bewirken.
Hübner-Oberndörfer: Es gibt natürlich die Möglichkeit, das Wahlrecht zu ändern bzw. die Sitzverteilung in paritätischer Form zu gestalten.
Was heißt das konkret?
Hübner-Oberndörfer: In den Gesprächen wurde immer wieder auf das in Frankreich geltende Parité-Gesetz verwiesen. Parteien sind dadurch gehalten, ihre Kandidierendenlisten paritätisch zu gestalten. Bei Nichterfüllung droht die Nichtzulassung der Liste zur Wahl. Eine zweite Forderung, die immer wieder diskutiert wurde, war die Umstellung auf eine reine Listenwahl. Dadurch könne gesichert werden, dass der Frauenanteil in den Kreistagen etc. ihrem Anteil auf den Listen entsprechen würde. Bei einer quotierten Listenaufstellung könnte so der Frauenanteil gezielt erhöht werden.
Das wäre sehr tiefgreifend.
Nestler: Das wäre die Variante: Gleichstellung sofort! Es gibt aber andere Wege …
Hübner-Oberndörfer: Ja, auf jeden Fall. Bei einer reinen Listenwahl besteht zudem die Gefahr, dass die unmittelbaren Kontakte zu Wählerinnen und Wählern verloren gehen, weil es nicht mehr notwendig ist, als Direktkandidatin von Ort, im eigenen Wahlkreis, um Stimmen für die eigene Kandidatur zu werben.
Nestler: Dabei sind die spezifischen Bedingungen unseres Bundeslandes zu beachten.
Welche wären das?
Nestler: Im Besonderen beziehen wir uns hier auf die agrarische-ländliche Prägung des Bundeslandes. Die daraus resultierende Distanz zwischen Wählerinnen und Wählern sowie den Abgeordneten würde ohne die Notwendigkeit, vor Ort im eigenen Wahlkreis aktiv zu sein, noch wachsen. Darüber hinaus erschwert die sozioökonomische Situation in MV ein breites Engagement in Zivilgesellschaft und Politik, weil: Zeit für das Ehrenamt muss man sich leisten können.
Was wäre aus wissenschaftlicher Sicht ein sinnvoller nächster Schritt in der Forschung?
Hübner-Oberndörfer: Eine wichtige Zielstellung unseres Projektes war die Entwicklung von Handlungsempfehlungen, wie mehr Frauen in MV für politische Mandate gewonnen werden können. Diese Erkenntnisse müssen jetzt mit den betreffenden Akteurinnen und Akteuren diskutiert werden. Es geht letztlich darum, gemeinsame Strategien zu entwickeln. Der größte Erfolg wäre für uns, wenn bei den nächsten Kommunalwahlen einige Anregungen aus unserer Studie bereits realisiert werden und der Anteil von Frauen in den Kreistagen oder Bürgerschaften nicht mehr stagniert oder sinkt, sondern wieder zunimmt.
Nestler: Für die weitere Forschung wäre eine Analyse der Chancen von Frauen als Kandidatinnen bei Kommunalwahlen spannend. Im Detail der Einfluss des Kumulierens und Panaschierens auf die Erlangung von Mandaten.
¹ Die Studie wurde 2014 vom Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales in Auftrag gegeben. Das Frauenbildungsnetz Mecklenburg-Vorpommern e.V. hat sie herausgegeben. Die Ergebnisse wurden im Frühjahr 2016 vorgestellt.
Die ganze Studie zum kostenlosen Download: hier klicken
Die Serie
Teil 1: Die Analyse der Wahl 2011