Das lange Finale im Landtag

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Das letzte Foto aus diesem Landtag: Die Abgeordneten beschließen am Ende ihrer Sitzungswoche mit breiter Mehrheit noch ein Gesetz. Foto: Cornelius Kettler

Freitag. 16.15 Uhr. Der Landtag tagt immer noch. Es ist der dritte lange Tag in Folge. Das volle Programm hat vor allem einen Grund: Das hier ist die letzte reguläre Sitzungswoche vor der Landtagswahl. 

Die Abgeordneten sitzen bei Punkt 60. Einem Gesetzentwurf zur Einführung von Tourismusorten und Tourismusregionen. Die Klimaanlage hält die Sommerhitze aus dem Plenarsaal. Hitzig wird es im letzten Punkt der Tagesordnung auch verbal nicht: Reden sind nicht vorgesehen. Sie wurden schon vor zwei Tagen gehalten. Jetzt soll nur noch abgestimmt werden. Der Schlussakkord der Sitzung ist ein seltenes Beispiel dafür, dass ein Gesetzgebungsverfahren, wenn nötig, binnen einer Sitzungswoche durch die erste Lesung, die Ausschussberatung und die zweite Lesung gebracht werden kann. 

Was liegen bleibt, verfällt

60 Punkte. So umfangreich ist die Tagesordnung seit Beginn dieser Wahlperiode am 4. Oktober 2016 nur ein weiteres Mal gewesen: im Juni 2019. Im Schnitt debattieren die Abgeordneten pro Sitzungswoche 30 bis 40 Punkte. Dass es auf der Zielgeraden ihrer Amtszeit so viel mehr sind, liegt vor allem daran, dass alle Anträge und Gesetzentwürfe, die bis zum Ende der Wahlperiode nicht beschlossen sind, automatisch verfallen. Diskontinuität heißt dieser Grundsatz. Und so wird in diesen drei Tagen noch einmal beschlossen, beschlossen, beschlossen. Auch abgelehnt. Und insgesamt über 21 Gesetzentwürfe, 26 Anträge und 6 Unterrichtungen abgestimmt. 

Zählt man die Aktuelle Stunde, die Befragung der Landesregierung, die beiden Aussprachen und die Regierungserklärung der Ministerpräsidentin mit dazu, so zeigt sich in der letzten Sitzungswoche die Bandbreite der Möglichkeiten, Themen und Positionen in die Öffentlichkeit zu rücken, par excellence. 

Denkwürdige Momente

126 Landtagssitzungen, 765 Anträge, 209 Gesetzentwürfe – in der Statistik werden unterm Strich der 7. Legislaturperiode Zahlen wie diese stehen. Von den Anträgen und Gesetzentwürfen sind natürlich nicht alle beschlossen worden. Beraten aber schon. 

Im Rückblick betrachtet waren die vergangenen 14 Monate für die Abgeordneten wohl die denkwürdigste Zeit ihrer Legislaturperiode:

Nie zuvor in der Geschichte des Landtags war es bisweilen ausdrücklich erwünscht, dass nur wenige Abgeordnete zur Landtagssitzung kommen: Um Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten, schickten die Fraktionen beispielsweise im April 2020 weniger Abgeordnete in den Saal.

Nie zuvor musste der Landtag binnen sechs Monaten (April und Dezember 2020) über zwei Nachtragshaushalte entscheiden. Erste Lesung, Ausschussberatung, zweite Lesung – nie zuvor durchlief ein Milliarden schwerer Nachtragshaushalt binnen zwei Stunden das gesamte parlamentarische Gesetzgebungsverfahren (April 2020). 

Nie zuvor kommt ein Landtag innerhalb eines Jahres zu so vielen Dringlichkeitssitzungen, also außerplanmäßigen Tagungen, zusammen. Neun sind es von Juni 2020 bis Juni 2021. Die meisten drehen sich um die Corona-Verordnungen. 

Und nie zuvor hat ein Regierungsoberhaupt in MV in einer Amtszeit so viele Regierungserklärungen gehalten, wie Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. In dieser Sitzungswoche steht sie bei Nummer 13. 

All das hatte natürlich mit der Corona-Pandemie zu tun. Bis zuletzt führt der Weg nur mit Maske ans Rednerpult. Trennt Plexiglas die Sitzplätze voneinander. Werden Pult und Mikrofon vor jedem Redner und jeder Rednerin frisch desinfiziert. 

Applaus und Standing Ovations

Der Sitzungskalender für 2021 endet mit Beginn der Sommerpause. Die weiteren Sitzungstermine ergeben sich nach der Landtagswahl. Bildquelle: landtag-mv.de

Die letzte Sitzung vor der Sommerpause bedeutet für viele Abgeordnete auch: Abschied nehmen. Mindestens 18 von 71 werden nicht mehr kandidieren. Viele Reden enden in diesen drei Sitzungstagen mit persönlichen Rückblicken. Bilanzen. Und einem Danke für die Zusammenarbeit. Manch einer erhält im Gegenzug besonders langen Applaus, bisweilen gepaart mit Standing Ovations über die eigene Fraktion hinaus. Nur für den Fall, dass bis zur Wahl am 26. September noch eine Sondersitzung nötig wird, kommt der Landtag noch einmal in seiner aktuellen Besetzung zusammen. 

Die Sitzungswoche ist inzwischen in Stunde 31 angekommen. Mehrere Debatten haben heute nicht so lange gedauert, wie geplant. Im Laufe des Tages wird der Zeitplan deshalb immer wieder nach vorn korrigiert. Am Ende werden es insgesamt drei Stunden weniger sein.

Zum Abschluss ein neues Gesetz

Die Uhr zeigt 16.17. Landtagspräsidentin Birgit Hesse leitet die letzte Abstimmung ein. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf von CDU und SPD anzunehmen. Präambel. Artikel eins bis drei, Überschrift. Schlussabstimmung. „Wer dem Gesetzentwurf im Ganzen, entsprechend der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses auf Drucksache 7/6241 zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. Gegenprobe. Stimmenthaltungen?“ Landtagspräsidentin Birgit Hesse blickt in die Runde. Was für Laien spröde und sperrig klingen mag, ist für die Sitzungsleiterin Routine: Abstimmungen im Landtag werden immer nach diesem Schema eingeleitet. In dieser Wahlperiode kommt es fast 1000 Mal zur Sprache. Ausnahmen gibt es nicht. Auch nicht zum Schluss.

Die beiden Koalitionsfraktionen sagen ja zu ihrem Gesetzentwurf. DIE LINKE stimmt auch zu. Die AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten heben ihre Hände dagegen. Damit ist entschieden, dass es künftig zusätzlich zu Kur- und Erholungsorten in MV noch die Bezeichnungen „Tourismusort“ und „Tourismusregion“ geben wird – und dort ebenfalls Kurabgaben erhoben werden dürfen. 

Freitag, kurz vor halb fünf: Nach mehr als 31 Stunden der Debatte schließt Landtagspräsidentin Birgit Hesse (Mitte) die letzte reguläre Sitzungswoche dieser Wahlperiode. Foto: Cornelius Kettler

„Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich bedanke mich bei Ihnen allen recht herzlich für die konstruktive und zügig abgehaltene Sitzung, wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende, gute Erholung und viel Kraft für die anstehenden Monate bezogen auf das Ereignis im September”, verabschiedet Birgit Hesse die Abgeordneten. Die Landtagspräsidentin hält das Sitzungsende kurz und knapp. Auf die Wahlperiode, ihre Herausforderungen, Überraschungen und traurigen Momente, hat sie bereits am Mittwoch zurückgeblickt; Abgeordnete, die nicht mehr kandidieren am Freitag, zu Sitzungsbeginn, verabschiedet. 

16.20 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen. Das Plenargeschehen des 7. Landtags von MV Geschichte. 

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