Gedenken an Pogromnacht

Vom / Landeskunde, Zeitzeugen

Zerstörte Synagogen nach den Pogromen am 9. November 1938 – überall in Deutschland. Foto: Bundesarchiv

In vielen Orten in Mecklenburg-Vorpommern wird am 9. November an die Verfolgten des Nationalsozialismus gedacht und an die jüdischen Opfer der Reichspogromnacht vor 85 Jahren erinnert. Hier der Überblick.

  • In Schwerin setzt der Arbeitskreis „9. November 1938“ am Donnerstag mit Landesrabbiner Yuriy Kadnykov ein Zeichen der Solidarität mit allen jüdischen Mitmenschen. 18 Uhr auf dem Schlachtermarkt. Die Gedenkstunde wird umrahmt von Bildprojektionen digital rekonstruierter Synagogen, die während der Nacht vom 9. November zum 10. November 1938 zerstört wurden. Dabei wird auch eine Rekonstruktion der zerstörten Synagoge in Schwerin zu sehen sein.

  • Zum Gedenken laden die Stadt, der Arbeitskreis „Kirche und Judentum“ und die Evangelische Studierendengemeinde in Greifswald am 9. November zu zwei Veranstaltungen ein: um 13 Uhr zu einer ökumenischen Andacht an der Gedenktafel des früheren Betsaales der kleinen Greifswalder jüdischen Gemeinde in der Mühlenstraße 1, um 17 Uhr spricht Dr. Andreas Ruwe, Hebräisch-Lektor am Lehrstuhl für Altes Testament der Greifswalder Universität, im Bürgerschaftssaal des Rathauses zum Thema „Der jüdische Friedhof in Niederhof 1776 bis 1850 – Geschichte, Hintergründe, Personen“. Zudem laden die Greifswalder Kirchengemeinden St. Marien, Dom St. Nikolai, Johanneskirche, Wieck-Eldena und St. Jacobi um 18:30 Uhr in die Jacobikirche zu einer Mahnwache unter der Überschrift „Frieden für Israel“ ein.

  • In Neustrelitz wird am Donnerstag (17 Uhr) am Gedenkstein für die jüdische Synagoge in Altstrelitz erinnert. Die Kirchengemeinde Strelitzer Land und die Stadt laden gemeinsam ein. Schülerinnen und Schüler des Carolinums sowie die Musikerin Kim Seligsohn, Tochter einer Shoa-Überlebenden, werden das Programm mitgestalten.

  • In Wismar sollen am 9. November Stolpersteine gereinigt werden. Dabei sind Schülerinnen und Schüler des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums sowie Menschen, die Patenschaften für Stolpersteine übernommen haben.

  • In Güstrow ist eine Andacht geplant. Eine Gedenktafel soll eingeweiht werden. 16 Uhr, Krönchenhagen 13 vor der ehemaligen Synagoge

  • In Mirow werden im Rahmen einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Pogromnacht die Stolpersteine in der Mühlenstraße/Ecke Schlossstraße gereinigt.

  • Die Ev.-Luth. Kirchengemeinde Wanzka und die Gemeinde Feldberger Seenlandschaft laden zum Tag des Gedenkens an die Novemberpogrome am 9. November um 17:30 Uhr auf den jüdischen Friedhof in Feldberg ein.

  • In Ribnitz-Damgarten soll am 9. November ein Weg zu den Stolpersteinen der Stadt führen.

  • In Stralsund sind ebenfalls am 9.11. zwei Gedenkstunden geplant.

  • In Garz auf Rügen wird das jährliche Gedenken an den Stolpersteinen der jüdischen Kaufmannfamilie Cohn beginnen. Die Familie führte in Garz ein Textilgeschäft, bevor sie Opfer des Nationalsozialismus wurde.

  • Unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt“ wollen die Ueckermünder Kommunalpolitiker/innen und die Stadtverwaltung am Donnerstag um 17 Uhr an der Marienkirche an die Reichspogromnacht von 1938 erinnern.

  • In Rostock ist am Freitag (10. November) eine Andacht auf dem Jüdischen Friedhof am Lindenpark mit Gedenkveranstaltung geplant. Schülerinnen und Schüler werden dabei die Namen der Rostocker Opfer des Holocaust verlesen.

Landtag

Der Landtag will am 9. November ein deutliches Signal der Solidarität mit Israel und allen jüdischen Menschen setzen. Dazu liegt für die Sitzung am Donnerstag ein von SPD, Linke, CDU, FDP und Grünen/B90 eingebrachter Antrag vor. Darin würden nicht nur die seit dem 7. Oktober laufenden Gewaltakte und Terroranschläge der Hamas gegen den Staat Israel und seine Bevölkerung verurteilt. „Es geht um die Ächtung jeglicher Art von Angriffen auf jüdisches Leben“, so SPD-Fraktionschef Julian Barlen.

Extra

Festival Verfemte Musik. Am 9.11. um 19:30 Uhr im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin: das Orchesterkonzert mit der Mecklenburgischen Staatskapelle und Alexander Prill (Saxophon). Gespielt werden Werke von Franz Schreker, Frank Martin und Felix Mendelssohn Bartholdy. Weitere Infos – hier

Hintergrund

9.11.1938: Die Reichspogromnacht

Im Herbst 1938 verschärfte die NS-Regierung ihr Vorgehen gegen die noch in Deutschland lebenden Juden erheblich. An die Stelle von Boykott und Schikane trat nun brutaler staatlicher Zwang und nackte Gewalt.

Die noch bestehenden jüdischen Geschäfte hatten sich als erstaunlich überlebensfähig erwiesen, so dass die Nationalsozialisten sich nun entschieden, mit größter Härte vorzugehen. Zum 30. September 1938 wurde auch den letzten sieben jüdischen Ärzten, die in Mecklenburg noch praktizieren durften, die Approbation entzogen. Am 28. Oktober schließlich deportierte die Polizei 37 Juden polnischer Staatsangehörigkeit aus Rostock nach Polen.

Als kurz darauf Herschel Grünspan, ein junger jüdischer Emigrant, in Paris ein Attentat auf den Legationssekretär Ernst von Rath verübte, ließ die regionale NS-Presse keinen Zweifel, was nun zu erwarten war. Am 8. November lauteten die Schlagzeilen auf der ersten Seite des »Niederdeutschen Beobachters«: »Das Maß nach dem Pariser Attentat voll – Langmut mit Juden zu Ende! […] Schärfste Maßnahmen gegen Juden im Reich notwendig«. Am folgenden Tag berichtete die Zeitung über »spontane Kundgebungen […] vor Synagogen und jüdischen Geschäften« in Kurhessen. Die Parteimitglieder wussten, wie sie solche Anregungen zu interpretieren hatten.

Am 9. November gegen 22:00 Uhr hielt Goebbels in München eine Rede, in der er die anwesenden Gauleiter und SA-Führer zur Zerstörung der Synagogen und jüdischen Geschäfte aufforderte. Dass daraufhin auch der mecklenburgische Gauleiter Friedrich Hildebrandt, der im Festsaal des alten Rathauses zusammen mit Reinhard Heydrich und anderen ranghohen NS-Führern saß, wie diese zum Telefonhörer griff und den Befehl an die zuständigen Gauamtsleiter in Schwerin weitergab, daran gibt es eigentlich keinen Zweifel. Trotzdem dauerte es in Mecklenburg länger als anderswo, bis die Partei aktiv wurde. Es war keineswegs so, dass die SA-Trupps schon überall in Bereitschaft lagen.

Während in Süd- und Westdeutschland schon kurz nach Mitternacht die Schläger ausrückten, um Feuer zu legen, zu plündern und zu zerstören, begann das Pogrom in Mecklenburg erst gegen 5 Uhr morgens. Zuerst – gegen 5:20 Uhr – brannte die Güstrower Synagoge. Zur gleichen Zeit gab die Staatspolizeistelle Schwerin Verhaltensmaßregeln an alle örtlichen Polizeidienststellen. Kurz nach 5:30 Uhr rief Kriminalassistent Dabbert von der Gestapo in Schwerin den Ludwigsluster Stadtrat Paul Hoffmann an und ordnete an, dass gegen Brände von Synagogen und Zerstörung von Wohnungen und Geschäften von Juden nicht einzuschreiten sei. Plünderungen und Misshandlungen sollten aber durch die Polizei verhindert werden. Wohlhabende Juden seien zu verhaften. Um 6 Uhr stand auch die Synagoge in Alt-Strelitz in Flammen. Zur gleichen Zeit drangen Männer in braunen Uniformen in die Synagoge in Teterow ein und verwandeln sie in einen »Trümmerhaufen«, in Neubrandenburg wurde das Konfektionsgeschäft Wolff verwüstet. Gegen 7 Uhr wurden in Waren die Geschäfte von Georg Baruch und Max Loewenberg demoliert. Auch in Schwerin fand die Zerstörung der Geschäfte und der Synagoge in den frühen Morgenstunden des 10. November statt. In den meisten mecklenburgischen Städten hatten die Vandalen ihr Werk bis Tagesanbruch vollendet.

Nur in Rostock, wo die Größe der jüdischen Gemeinde offenbar besondere Vorbereitung erfordert hatte, sah der Ablauf etwas anders aus. Die Zerstörungen begannen hier einige Stunden später. Gegen 8:30 Uhr stand die Synagoge in Flammen. Gegen 10 Uhr drangen etwa 50 »SS-Burschen« in das Haus des Rechtsanwalts Josephy ein, warfen die Möbel aus dem Fenster und zerschlugen die gesamte Inneneinrichtung. Während in den anderen Städten Mecklenburgs zumeist nur die Geschäfte verwüstet wurden, wurden in Rostock offenbar auch systematisch die Wohnungen heimgesucht. An mehr als 60 Orten in der Stadt wüteten die Schlägertrupps der SA hier bis in den Nachmittag des 10. November hinein. Weiter – hier

(aus: Bernd Kasten, Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945, Schwerin 2008)

Mehr Informationen

  • Saul Friedländer, Orna Kenan: Das Dritte Reich und die Juden. 1933-1945. München 2010 – hier
  • Bernd Kasten: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945. Schwerin 2008 hier
  • Dorothee Freudenberg: Geschichte der jüdischen Gemeinde Stavenhagen 1750-1942. Schwerin 2020 – hier
  • Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Juden in Mecklenburg 1845-1945. Schwerin 2019 – hier

Unsere Israel-Serie

Ein Angebot der LpB

Der Nahostkonflikt – kurz und knapp erklärt

Jüdisches Leben in Mecklenburg-Vorpommern

Für Ihren Hintergrund: Tipps aus dem LpB-Shop

Facebook