Frauen. Macht. Revolution.

Vom / Demokratie, Landeskunde, LpB, Zeitzeugen

Frauen in der DDR haben den politischen Umbruch 1989/90 wesentlich mitgestaltet. Was sie damals erreichen wollten, welche Ideen und Forderungen bis heute tragen (oder eben auch nicht): Darum soll es am 12. Mai in der Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock gehen – in der Veranstaltung „Frauen. Macht. Revolution.“ Wir sprachen vorab mit der Referentin Dr. Jessica Bock und mit Dr. Steffi Brüning, Leiterin der DuG Rostock.

Die Veranstaltung/die Ausstellung

Am 12. Mai findet in der Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock eine weitere Veranstaltung der Reihe „Geschichte trifft Gegenwart“ statt. Die DuG Rostock und das Frauenbildungsnetz MV blicken in dieser Reihe auf Frauenbewegungen in autoritären Staaten. Im Mai geht es um die Frauenbewegung in der späten DDR. Unter dem Titel „Frauen. Macht. Revolution. Die ostdeutsche Frauenbewegung ab 1989/90“ wird Dr. Jessica Bock, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Digitalen Frauenarchiv, zu Vortrag und Gespräch präsent sein. Danach blickt Dr. Steffi Brüning, Leiterin der DuG Rostock, auf einzelne Protagonistinnen der Rostocker Frauenbewegung am Beispiel des Unabhängigen Frauenverbandes Rostock. Diese werden in der Sonderausstellung „Wende weiblich. Engagierte Frauen im Herbst 1989“ thematisiert – die Ausstellung ist vom 12. Mai bis zum 31. Juli in der Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock zu sehen.

Anmeldungen zum kostenfreien Vortrag mit anschließender Gesprächsrunde und Ausstellungseröffnung: anmeldung@frauenbildungsnetz.de

Das Interview

„Geschichte trifft Gegenwart“ heißt unsere Reihe. Welche Forderung aus der Frauenbewegung in der DDR ist heute noch aktuell?

Jessica Bock: Die Lektüre der Programme und Forderungen der nichtstaatlichen Frauenbewegung in der DDR zeigt, dass sie an Aktualität nichts verloren haben. Allerdings müssen wir uns die Zeiträume, in denen die Forderungen formuliert wurden, genauer ansehen. In den 1980er Jahren ging es vielen informellen Frauen-/Lesbengruppen darum, die Themen wie Gleichberechtigung, Diskriminierung und die reale Situation der Frauen in der DDR wieder zu politisieren und ins Bewusstsein zu holen. Seit Beginn der 1970er Jahre galt in der DDR die Gleichberechtigung der Frauen als verwirklicht. Hatte die Frau dennoch Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, wurden die Ursachen individualisiert und nicht in den nach wie vor bestehenden patriarchalen Strukturen gesucht. Im Zusammenhang mit einer Repolitisierung der Frauenfrage ging es den informellen Frauen-/Lesbengruppen auch um die Schaffung eigener Räume und Medien, in denen sie sich untereinander und über ihre Themen verständigen konnten. Eine von staatlichen Strukturen unabhängige Organisierung war in der DDR nicht möglich. Das Heraustreten aus der Vereinzelung, das gemeinsame Sprechen über (erfahrene) Diskriminierungen und bestehende Ungleichheiten und das Schaffen eigener Räume waren in dem Sinne keine Forderungen, sondern die Frauen/Lesben haben es gemacht – und solche emanzipatorischen Prozesse sind heute nach wie vor politisch und notwendig.

Was wollte die ostdeutsche Frauenbewegung 1989/90 erreichen?

Jessica Bock: Die ostdeutsche Frauenbewegung war 1989/90, wie auch schon in den 1980er Jahren zuvor, gekennzeichnet durch eine Vielzahl an Akteurinnen und Gruppen, die sich aktiv in das Umbruchsgeschehen einmischten. Sie formulierten Reformideen und politische Programme, die folgende Gemeinsamkeiten aufwiesen: Der Bewegung ging es zunächst um eine Reform der DDR hin zu einer Demokratie. Für die Realisierung der Demokratie sahen die Umsetzung einer tatsächlichen Gleichberechtigung als zentral an. Konkret äußerte sich das in der Forderung nach einer paritätischen Frauenquote für alle Entscheidungs- und Machtebenen. Gruppen wie die Fraueninitiative Leipzig formulierten die sogenannte Frauenfrage als zentrale Machtfrage, die alle Bereiche der Gesellschaft betraf – auch die Männer. Einer wie auch immer gearteten Vereinigung mit der Bundesrepublik stand die ostdeutsche Frauenbewegung von Anfang an kritisch bis ablehnend gegenüber, denn sie lehnten nicht nur das kapitalistische Wirtschaftssystem ab, sondern auch die rückschrittliche Frauenpolitik und -gesetzgebung.

Ferner forderte die ostdeutsche Frauenbewegung die Etablierung einer feministischen Infrastruktur in Gestalt von Frauenkulturzentren, Frauenhäusern, Frauenbibliotheken, Gleichstellungsbeauftragten und Frauenöffentlichkeit.

Interessant ist, dass sich die Frauengruppen in ihren Programmen nicht „nur“ zu Frauen- und Gleichstellungsthemen äußerten, sondern auch zu Fragen wie Ökologie und Wirtschaft. Zum Beispiel forderten sie ein Wirtschaftssystem, dass nicht aus Ausbeutung, sondern auf Schonung der natürlichen Ressourcen basieren sollte.

Sie haben über die Geschichte der Frauenbewegung in Leipzig promoviert. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Jessica Bock: Im Zuge des 25-jährigen Jubiläums von „1989“ kam mir die Frage auf, wie in Leipzig und generell in Ostdeutschland die vielen Frauenprojekte entstanden sind und welche Vorgeschichte sie in der DDR haben. Ich habe mich bereits zuvor viel mit Frauenbewegungsgeschichte befasst. Erst zu diesem Zeitpunkt (2012/2013) fiel mir auf, wie westdeutsch die jüngste Frauenbewegungsgeschichte ist und dass über die Bewegungsgeschichte in der DDR und Ostdeutschland sehr wenig bekannt ist.

Und weshalb Leipzig?

Jessica Bock: Ich habe schon lange in Leipzig gewohnt. Während des Studiums engagierte ich mich selbst in feministischen Kontexten und kannte die Frauenvereinslandschaft. Das war hilfreich, um z.B. Zeitzeuginnen zu finden und in den Beständen zu recherchieren.

Die Erinnerung an die sogenannte „Friedliche Revolution“ spielt für die Stadt Leipzig eine zentrale Rolle. Es hat mich immer geärgert, dass in dem Gedenken und in den Feierlichkeiten Frauen kaum eine Rolle spielten. Feministische Gruppen wie die Fraueninitiative Leipzig tauchten gar nicht auf. Dieses erneute Herausschreiben und Vergessen von Frauen (-bewegung) wollte ich ändern.

Wie sah das Engagement konkret aus?

Jessica Bock: In den Monaten September/Oktober 1989 gründete sich im Neuen Forum die Fraueninitiative. Die Gründerinnen wie Petra Lux und Sophia Bickhardt waren bereits zuvor in den 1980er Jahren in der nichtstaatlichen Frauenbewegung aktiv. In der Bürgerbewegung sahen sie, wie sich patriarchale Strukturen und Verhaltensweisen erneut etablierten. Themen wie Frauen und Gleichberechtigung rangierten unter „Sonstiges“. Dem wollten sie sich entgegenstellen und aktiv für ihre Interessen einsetzen. Die Fraueninitiative nahm an der ersten genehmigten Kundgebung des Neuen Forums in Leipzig teil und erkämpfte sich einen Platz an dem Runden Tisch. So hatten sie Zugang zu wichtigen Ressourcen und konnten die Neuausrichtung der Kommunalpolitik in Leipzig mitbestimmen. Ferner beteiligte sich die Fraueninitiative mit Erfolg an den Wahlen. Im Leipziger Stadtparlament und im Sächsischen Landtag saß jeweils eine Angeordnete.

Und wie sah es 1989 in Rostock aus?

Steffi Brüning: Im Herbst 1989 fanden sich auch in Rostock Frauen zusammen, die ganz explizit in Frauengruppen arbeiten wollten. Einige waren schon vorher oppositionell tätig, andere nicht. Sie trafen sich anfangs privat bei einer Frau, die über einfache Aushänge zu Treffen eingeladen hatte. Aus diesem privaten, nicht-öffentlichen Kreis wurde im Dezember 1989 der Unabhängige Frauenverband Rostock. Im Kreis des UFV ging es sehr schnell vorrangig um vier Themen: Arbeit, Gewalterfahrungen, Kultur und Wohnraum. Unter den Protagonistinnen waren zum Beispiel alleinerziehende Akademikerinnen, die unter miserablen Wohnbedingungen litten. Gleichzeitig öffneten sich Frauen hier, teilweise erstmals, und sprachen über Gewalterfahrungen. Aus diesen Diskussionen entstanden Arbeitsgruppen und Projekte, die Rostock bis heute prägen. Die Gruppe erkämpfte sich einen Platz am Runden Tisch, auch eine der ersten Frauenbeauftragten in der DDR wurde hier früh ernannt. Durch das Engagement der Frauen entstanden dann ganz konkrete Projekte, die bis heute existieren, wie zum Beispiel das Frauenhaus für Betroffene von sexualisierter Gewalt.

Waren die Frauenbewegungen in Ost und West eigentlich vergleichbar?

Jessica Bock: In ihrer Entstehungsgeschichte waren und sind beide Bewegungen verschieden. Die Bedingungen, in denen die ostdeutsche Frauenbewegung zu Beginn der 1980er Jahre entstand, waren völlige andere als in der Bundesrepublik. Wie bereits gesagt war eine autonome, sprich von staatlichen Strukturen unabhängige Bewegung in der DDR nicht möglich. Für Fraueninteressen und Gleichberechtigung gab es eine einzige offizielle Organisation und das war der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD). Zugleich lebten die Frauen in der DDR ein Stück weit gleichberechtigter: sie waren berufstätig, es gab ein dichtes Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen und seit 1972 war der Schwangerschaftsabbruch straffrei. Dennoch bestanden patriarchale Strukturen und Diskriminierungen von Frauen fort.

Ein weiterer zentraler Unterschied ist, dass die ostdeutsche Frauenbewegung die Umbrüche im Herbst 1989 mitanstieß und in Folge dessen selbst einen fundamentalen Wandel durchlief. Der 1990 einetzende Transformationsprozess wirkte auch auf die ostdeutsche Frauenbewegung sowohl was ihre Organisierung als auch ihre inhaltliche Ausrichtung betraf.

Jedoch gibt es interessante Ähnlichkeiten, wenn nicht gar Übereinstimmungen zwischen beiden Bewegungen. Frauen treten aus der Vereinzelung heraus und organisieren sich in Gruppen, die Literatur und das Lesen spielten in Ost und West eine wichtige Rolle oder beide gründeten eigene Öffentlichkeiten.

Welche Frau ist Ihnen bei Ihren Recherchen besonders in Erinnerung geblieben?

Jessica Bock: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Eigentlich haben mich alle Frauen beeindruckt. Besonders der Mut der Frauen, in der DDR für sich selbst zu sprechen, Räume zu etablieren und bis zu einem gewissen Grad nach außen in die Öffentlichkeit zu treten – wohlwissend, dass ihnen die Überwachung und Repression durch das Ministerium für Staatssicherheit drohte, also diesen Mut finde ich bis heute inspirierend. Aber auch die Frauen des Aufbruchs im Herbst 1989 waren und sind nach wie vor eindrucksvoll. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich zum ersten Mal die Rede von Petra Lux auf der ersten genehmigten Kundgebung am 18. November 1989 gehört habe. Ihre Stimme war voller Hoffnung, Energie und Tatendrang. Die Aufnahme hat mich sehr berührt. Ich hatte echt Tränen in den Augen.

Steffi Brüning: Ich kann Jessica Bock nur zustimmen, alle Frauen waren und sind beeindruckend. Eine Frau fällt mir aber oft als erste ein: Gudrun Giebel. Sie war die erste und einzige UFV-Abgeordnete in der Rostocker Bürgerschaft von 1990 bis 1994. In der DDR arbeitete sie als Reinigungskraft, beschrieb sich vor 1989 als politisch überhaupt nicht aktiv. Sie begründete das damit, dass sie als mehrfache arbeitstätige Mutter, die verschiedene Gewalterfahrungen in Beziehungen erlebt hat, gar keinen Raum dafür hatte. Im Herbst 1989 verfolgte sie im Radio Proteste und wurde auf den UFV Rostock aufmerksam. Sie ging zu einem Treffen, wurde Mitglied der Gruppe, kandidierte bei den Kommunalwahlen und schaffte es ins städtische Parlament. Gudrun Giebel ist im vergangenen Jahr nach langer Krankheit verstorben. Ihren Nachlass konnten wir 2019 in das neu gegründete Frauenarchiv Mecklenburg-Vorpommern ins Landeshauptarchiv Schwerin bringen. Gerade sie hat mir im Verlauf der Zeit auch gezeigt, wie wichtig Archivierung bei Frauenbewegungen ist.

Wofür steht das Digitale Deutsche Frauenarchiv?

Jessica Bock: Das Digitale Deutsche Frauenarchiv ist das Fachportal zur deutsch-sprachigen Frauenbewegungsgeschichte vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Anhand von Textbeiträgen, Dossiers, Podcast und Digitalisaten können sich Interessierte über eine Vielzahl an Akteurinnen, Themen und Ereignisse informieren. Für eine vertiefende Auseinandersetzung bietet der META-Katalog eine Möglichkeit in den feministischen Archiv- und Bibliotheksbeständen zu recherchieren.
Geschichte der ostdeutschen Frauenbewegung bildet von Beginn an einen wichtigen inhaltlichen Schwerpunkt des Portals.

Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Frauenarchiv. Was genau ist Ihre Aufgabe?

Jessica Bock: Einer meiner wesentlichsten Aufgaben besteht darin, DDF-Projekte aus inhaltich-wissenschaftlicher Sicht zu begleiten und zu beraten. Ein weiterer Schwerpunkt besteht in der redaktionellen Bearbeitung von Texten, die online im DDF erscheinen. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin habe ich auch die Möglichkeit, das DDF mit eigenen Inhalten zu füllen. Beispiele sind die Dossiers zum 30-jährigen Jubiläum von „1989“ und 150 Jahre § 218.

Welche Projekte möchten Sie unbedingt noch anstoßen?

Jessica Bock: Eine Idee, die schon lang mit mir herumtrage, ist das Thema Politikerinnen in der DDR. Wir wissen einiges über die Frauenpolitik, aber über die Frauen, die in den Räten der Bezirke und in der Volkskammer saßen, wissen wir wenig bis gar nichts. Mich interessiert zum Beispiel deren Politikverständnis, wie sie ihre Arbeit als Abgeordnete gemacht haben und mit welchen Strategien sie ihre Interessen durchsetzten. Antworten auf diese Fragen sind aus meiner Sicht für die Geschichte der politischen Partizipation von Frauen im 20. Jahrhundert unerlässlich.

Sie möchten mehr erfahren? Dann melden Sie sich zur Veranstaltung am 12. Mai (18 Uhr in der DuG Rostock) an: anmeldung@frauenbildungsnetz.de

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