Bildergalerie und Rede zum Denkzeichen

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Fotos: Wiebke Marcinkowski

Am Eingang zum Alten Garten, auf dem 1989 die erste Schweriner Montagsdemo stattfand, erinnert jetzt ein Denkzeichen an die Friedliche Revolution. Hier unsere Bildergalerie – und zum Nachlesen: die Rede von Bürgerrechtler Heiko Lietz.

Hintergrund

Am 23. Oktober 1989 hatten sich zehntausende Schwerinerinnen und Schweriner hier versammelt, um friedlich mit Kerzen in der Hand für Demokratie und Freiheit einzutreten. Deshalb das Denkzeichen. Als Standort wurde der Straßenbereich vor dem Alten Palais (Schlossstraße 1) gewählt. Dieser Standort, die Texte und historischen Abbildungen wurden durch das Kulturbüro der Landeshauptstadt gemeinsam mit Mitgliedern der Stadtvertretung, des Kulturausschusses sowie weiteren Akteuren ausgewählt.

Das Denkzeichen in Schwerin wurde auf Beschluss der Stadtvertretung aufgestellt und von der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern gefördert. Es ist am Samstag in Anwesenheit des Kulturdezernenten Silvio Horn, des stellvertretenden Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Burkhard Bley, und des Direktors der LpB MV, Jochen Schmidt, enthüllt worden. Dabei sprach u.a. Bürgerrechtler Heiko Lietz (s. Rede unten), der mit weiteren Gründungsmitgliedern des Neuen Forums gekommen war.

Das Denkzeichen ist das insgesamt 20. Erinnerungszeichen im Land, das auf der Basis des Landeskonzeptes aus einem Förderfonds unterstützt wurde.

Extra

Die Rede von Heiko Lietz am 26. November 2022

Liebe Schwerinnerinnen und Schweriner,

das ist heute ein guter Tag für Schwerin, wenn wir diese Tafel feierlich enthüllen. Denn damit erinnern wir uns des Tages, der auch in Schwerin einen tiefen historischen Einschnitt markierte. 40 Jahre SED-Herrschaft haben wir vor den Augen dieser Genossen endgültig zu Grabe getragen.

Es war der 23. Oktober 1989, ein Tag auch voller unvorhersehbarer Überraschungen. Schwerin erlebte eine der größten Demonstrationen seiner Geschichte. Vom NEUEN FORUM war eine Kundgebung auf dem Alten Garten und eine anschließende Demonstration bis zum Pfaffenteich angemeldet. Es schien nichts das Vorhaben zu stören. Doch dann überstürzten sich in diesen Tagen die politischen Ereignisse in Berlin. Erich Honecker wurde am 18. Oktober von seinen Genossen gestürzt und Egon Krenz wurde zu seinem Nachfolger gewählt. Die SED vollzog daraufhin eine politische Wende und wollte nach dem verlorenen Machtverlust vom 9. Oktober in Leipzig wieder das Heft des Handelns in die eigene Hand nehmen.

Die nächste Gelegenheit dazu bot Schwerin. So kam es hier an diesem Tag zu einer massiven Kollision gegenseitiger Interessen. Der 1. Vorsitzende der Bezirksleitung der SED, Heinz Ziegner, hatte nach der Anmeldung des NEUEN FORUMs für eine Kundgebung auf dem Alten Garten zur gleichen Zeit am gleichen Ort ganz kurzfristig eine Gegenkundgebung organisiert, in der er zu einem gesellschaftlichen Dialog der besonderen Art einladen wollte. Diese Ankündigung irritierte sowohl die Schweriner als auch die Öffentlichkeit erheblich. Zu dieser Kundgebung hatte Ziegner auch Genossen aus vielen Orten seines Bezirkes mit Bussen herangekarrt.

Als sich die vom NEUEN FORUM angeführten Demonstrierenden auf Grund der neuen Situation sofort auf den Weg machten, fühlte sich ein Teil der Herangekarrten auch eingeladen und sie zogen einfach mit und so leerte sich der Platz merklich vor Ziegners Augen.

Was nun passierte, war die nächste Überraschung. Statt wie angemeldet, die Demo am Pfaffenteich mit einem schönen Lichtermeer zu beenden, entschlossen wir uns kurzfristig, wieder auf den Alten Garten zurückzukehren, um diese Demo dann mit einer beeindruckenden Kundgebung zu beenden. Darauf war eigentlich keiner vorbereitet, am wenigsten die Staatsmacht, die den Platz schon längst wieder geräumt hatte. Die Kundgebung schwoll schließlich auf ca. 40.000 Menschen an.

In dieser Situation, auf die auch das NEUE FORUM eigentlich nicht vorbereitet war, sagte Martin Klähn ganz spontan zu mir, dass ich jetzt eine Rede halten müsse. Das kam auch für mich sehr überraschend, hatten wir doch nicht einmal ein richtiges Mikrophon, sondern nur eine sogenannte Flüstertüte. Aber dennoch kam ich seiner Bitte nach und lud in meiner Rede alle Menschen guten Willens zu einem wirklichen Dialog ein, der nach demokratischen Spielregeln durchgeführt werden sollte. Danach erklärte Martin Klähn die Veranstaltung für beendet.

Doch viele Menschen sahen das anders. Ca. 2000 Menschen versammelten sich vor dem Gebäude des Rates des Bezirkes und forderten lautstark: „Ziegner raus“ und Wir stürmen die Bude. Kerzen und Transparente wurden vor dem Eingang aufgestellt. Als ich von ferne sah, wie die Situation eskalierte, lief ich ganz schnell dorthin und stellte mich mit einigen anderen beherzten Menschen vor die Tür des Gebäudes und versuchte, die Leute zu beruhigen, obwohl ich ihren Zorn und ihre Aggressionen gut nachvollziehen konnte. Doch wenn es hier zu Gewaltausbrüchen gekommen wäre, dann hätten diese die friedliche Revolution ernsthaft gefährden können.

Nach etwa einer Stunde hatte ich es geschafft, die Leute davon zu überzeugen, und der Platz leerte sich zunehmend, bis schließlich keiner mehr da war. Selten habe ich so viele Energien bei einer Rede investiert. Ich war sehr froh, dass alles so friedlich zu Ende ging.

Oft, wenn ich an diesem Platz vorbeikomme und bedenke, was damals passiert war, bin ich beeindruckt von der damaligen Kraft und Energie der Schwerinerinnen und Schweriner. Ich hoffe sehr, dass sie diese nach dem Motto Demokratie – jetzt oder nie – auch heute und morgen immer wieder aufbringen werden.

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