„Weltpolitik in Sassnitz“

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Der Fährhafen Sassnitz. Archiv: Wolfgang Klietz

Der Fährhafen Sassnitz war eines der größten strategischen Projekte der DDR. „Mukran – Honeckers Superhafen.“ So heißt ein Buch mit Zeitzeugen- und Experten-Interviews, das jetzt erschienen ist. Wir sprachen mit Autor Wolfgang Klietz über seine Recherchen, die Geschichte des Hafens – und die Rhetorik des Kalten Krieges.

Im Streit um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ist der Fährhafen wieder in die Schlagzeilen geraten. Haben Sie mit Leuten aus Sassnitz gesprochen?

Wolfgang Klietz: Die Reaktionen sind auch bei mir in Hamburg deutlich vernehmbar. Viele Menschen auf Rügen und darüber hinaus sind empört. Sie haben das Gefühl, dass sich manche US-amerikanischen Politiker wie Kolonialherren aufspielen, wenn sie die „ökonomische Vernichtung“ des Hafens Sassnitz-Mukran fordern und mit Sanktionen gegen das Führungspersonal drohen. Die Menschen fühlen sich an die Rhetorik des Kalten Krieges erinnert, als die USA offiziell als Feind galten.

Kritisch wird auch die Diskussion betrachtet, die Arbeiten an Nord Stream 2 wegen des Anschlags auf den Oppositionspolitiker Nawalny zu stoppen. „Damit schießen wir uns ins eigene Knie“, heißt es. Doch bei Nord Stream 2 ist auch eine andere Sicht festzustellen: Russland muss für den Einsatz von chemischen Kampfstoffen bestraft werden. Und wenn nicht der Kreml dahinter steckt, dann die Hintermänner. Aber was würde es über den Zustand Russlands aussagen, wenn Stellen außerhalb der Regierung Chemiewaffen einsetzen können? Die Weltpolitik ist in Sassnitz angekommen.

Der Fährhafen aus der Luft. Archiv: Wolfgang Klietz

Für Ihr Buch sind Sie tief eingetaucht in die Geschichte des Fährhafens. Was hat Sie an diesem Thema fasziniert?

Anfang der 90er-Jahre bin ich zum ersten Mal in Mukran gewesen. Wir fuhren auf schlechten Straßen die Nacht durch, um morgens mit einer Fähre Hilfsgüter nach Klaipeda zu bringen. Ich kannte mich als Hamburger mit Schiffen und Häfen aus. Auch Eisenbahnen waren mir als Kind eines Eisenbahners vertraut. Doch was ich dort gesehen habe, hat mich tief beeindruckt. Das war die Größe von Hafen und Güterbahnhof mit mehr als 200 Hektar, die gewaltigen Umladehallen, die Kräne, Wachtürme und vieles mehr. Das war gewaltig. Auch die 190 Meter langen Schiffe haben mich fasziniert. Auf zwei Decks hat die einstige sowjetische Armee Lastwagen auf Eisenbahnwaggons nach Klaipeda verschifft. Den Anblick der ausgemergelten Soldaten werde ich nicht vergessen. Kurzum: Ich war tief beeindruckt und berührt.

Wie hat Ihre Recherche begonnen?

Meine Neugier war geweckt und wurde immer größer, je öfter ich in Mukran war und mit den Fähren fuhr, um weitere Hilfsgüter nach Klaipeda zu bringen. Besonders interessant waren die Berichte über geheime Truppentransporträume unter Deck, die es tatsächlich gab. Ich habe dann das gemacht, was der Journalist gelernt hat: Er recherchiert. Zunächst einmal habe ich geschaut, ob es Literatur gibt. Das Ergebnis war ernüchternd. Außer ein bisschen Propagandamaterial aus alten Zeiten war kaum etwas zu finden. Dann habe ich Akten in den Archiven eingesehen und Zeitzeugen ausfindig gemacht. So ist über mehrere Jahre mein erstes Buch „Ostseefähren im Kalten Krieg“ entstanden.

Der Fährhafen Mukran war zu DDR-Zeiten ein Ort großer Geheimhaltung. Wie viele Stasi-Akten gibt es eigentlich?

Unmengen. Als ich zum ersten Mal die BStU-Außenstelle in Rostock besuchte, um Akten einzusehen, standen dort zwei überquellende Umzugskartons für mich bereit. Doch das war lange nicht alles. Ich bin sicher, dass ich bis heute nicht das komplette Material kenne. Auf Befehl von Stasi-Minister Erich Mielke wurde für Mukran mit dem Namen „Verflechtung“ ein eigenes Überwachungskonzept befohlen, das nicht nur Tausende Eisenbahner, Seeleute und Arbeiter im Umschlag mit einschloss. Hinzu kamen weitere Tausende Menschen, die an der Eisenbahnstrecke auf Rügen wohnten und beobachten konnten, was dort transportiert wurde. Insgesamt musste die Stasi unfassbar viele Menschen im Blick haben, um die Verkehrsverbindung zu „sichern“, wie es damals hieß, und um ihren eigenen Anspruch gerecht zu werden.

Das Logo

Was bedeutete Mukran für die DDR – gerade während des Kalten Krieges?

Die DDR hat Anfang der 80er-Jahre trotz großer ökonomischer Probleme 2,3 Milliarden Mark in das Projekt investiert. Die Eisenbahnfährverbindung diente zwei Zwecken: Sie sollte den Warenaustausch zwischen den Handelspartnern DDR und UdSSR verbessern. Bislang war man auf den Eisenbahntransit durch Polen angewiesen, doch die Strecken waren berüchtigt und Polen versuchte immer wieder, die Gebühren für den Transit anzuheben. Außerdem war Mukran als wichtiger Nachschubhafen für eine Krise oder einen Krieg mit der Nato vorgesehen. Fünf Fähren im 48-Stunden-Rhythmus mit je 103 sowjetischen Breitspurwaggons – damit konnte die Sowjetunion schnell große Mengen an Panzern und anderen Gütern transportieren. Dass Polen sich gegen die Arbeiterbewegung Solidarność nur mit der Verhängung des Kriegsrechts wehren konnte, gab endgültig den Ausschlag für die Entscheidung, die Fährverbindung als Bypass um Polen herum zu bauen. Polen hatte seinen Ruf als zuverlässiger Partner militärisch und politisch verloren.

Eisenbahn-Fährverkehr DDR-UdSSR. Hrsg.: Ministerium für Verkehrswesen der DDR

Welche Ergebnisse Ihrer Recherche waren überraschend?

Es war bemerkenswert festzustellen, wie uneins sich die DDR und die Sowjetunion waren. Besonders deutlich wurde das bei der Frage, ob die sowjetische Armee mit einer Umschlagbasis mit 180 Soldaten in Mukran präsent sein sollte. Honecker wollte die „Freunde“ am liebsten gar nicht dort sehen. Stoph schrieb in gereiztem Ton einen Brief an den „werten Genossen Oberkommandierenden“ im Hauptquartier in Wünsdorf. Das hat die Sowjets nicht beeindruckt. Ein Sturmtrupp besetzte kurzer Hand mit Soldaten ein Ferienheim am Hafen und quartierte sich dort ein. Das war das klare Signal, dass sich das sowjetische Militär nicht aussperren ließ. Die große Basis mit 180 Soldaten ist jedoch nicht entstanden. Sie fiel deutlich kleiner aus.

Wie waren die Reaktionen auf Ihr Buch?

Die Reaktionen auf das neue Buch „Mukran – Honeckers Superhafen“ und den gleichnamigen Film waren weitgehend positiv. Das Interesse an regionalen zeitgeschichtlichen Themen ist groß. Außerdem liegt das Thema Mukran wie viele andere in der einstigen DDR für viele Menschen im Dunkeln. Der Wissensdurst, insbesondere im historisch-maritimen Bereich, ist groß. Die meisten Bücher darüber stammen von alten Kadern. Es gibt noch viel zu tun.

Und wie sind heute Ihre Verbindungen nach Sassnitz?

Ich bin regelmäßig auf der schönen Insel Rügen zu Gast und pflege meine guten Kontakte, die bei den langen Recherchen entstanden sind. Ich mag das Flair, insbesondere in Sassnitz. Außerdem gibt es noch eine Menge zu erforschen. Demnächst besuche ich Rügen und werde mich mit dem Projekt Rügenhafen aus den Jahren 1952 und 1953 beschäftigen.

Das Buch

Wolfgang Klietz, Daniel Ast, Jürgen Ast (Hrsg.): Mukran. Honeckers Superhafen. Gespräche über einen Seeweg im Kalten Krieg. Elmenhorst/Vorpommern 2020 | Edition Pommern (Verwaltungspauschale)

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Der Autor

Wolfgang Klietz. Foto: privat

Wolfgang Klietz, geboren 1963 in Neumünster, studierte Politische Wissenschaften, Geschichte und Literaturwissenschaft in Kiel. Er arbeitete u.a. für den NDR als freier Journalist und schreibt als Redakteur für das Hamburger Abendblatt.

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