„Die Frauen von Belarus“

Vom / LpB

Alice Bota liest am 24.2. aus ihrem Buch „Die Frauen von Belarus“. Foto: S. Bolesch

Das Frauenbildungsnetz MV und die Dokumentations- und Gedenkstätte in der ehemaligen Untersuchungshaft der Staatssicherheit in Rostock starten 2022 gemeinsam die Veranstaltungsreihe „Geschichte trifft Gegenwart“. In der Auftaktveranstaltung am 24. Februar liest die Publizistin Alice Bota ab 17 Uhr online aus ihrem Buch „Die Frauen von Belarus“. Wir haben mit der Autorin vorab gesprochen.

Alice Bota, 1979 in Polen geboren, lebt und arbeitet als Journalistin und Autorin in Berlin. Mit dem Buch „Wir neuen Deutschen“ stießen sie mit zwei Kolleginnen 2012 eine Debatte über Zugehörigkeiten und Identität an. Seit 2007 ist sie Redakteurin bei der „Zeit“, berichtet vor allem über den Osten Europas und leitete bis 2021 das Moskau-Büro der Wochenzeitung. Dieser Arbeitsschwerpunkt führte zu ihrem neuen Buch „Die Frauen von Belarus. Von Revolution, Mut und dem Drang nach Freiheit“, das 2021 veröffentlicht wurde.

„Die Frauen von Belarus.“ Wann ist das Buchprojekt entstanden?

Alice Bota: Im Spätsommer 2020. Ich hatte drei Wochen nach der gefälschten Wahl in Belarus und der atemberaubenden Staatsgewalt gegen friedliche Proteste einen Essay geschrieben über die belarussischen Frauen. Denn sie waren in einem kritischen Moment der Proteste mit weißen Kleidern und Blumen auf die Straße gegangen, haben gesungen, sogar Sondereinsatzkräfte umarmt. Sie haben damit die Sicherheitskräfte eines strengen Patriarchats irritiert. Die Sonderpolizisten wie OMON, bekannt für ihre Gewalt, wussten nicht, wie sie auf diese Frauen reagieren sollen. Öffentlich schlagen? Wegzerren? Wie würde das wirken? Sie nahmen die Frauen dann tatsächlich erstmal nicht fest. Diese weibliche Protestform hatte einige Wochen lang Erfolg. Dann wurden auch Frauen in furchtbarer Weise Opfer des Regimes. Sie wurden festgenommen, geschlagen, gefoltert, auch von Vergewaltigungen in den Gefängnissen wurde berichtet. Mich ließ das Thema nicht mehr los. Ich war beeindruckt von der Kreativität der Proteste, von der Solidarität zwischen Männern und Frauen, von dem Mut der Frauen und der Chuzpe, mit der sie das Patriarchat zumindest für eine kurze Zeit für sich zu nutzen wussten.

Mit drei Worten: Wie würden Sie die Frauen aus Belarus beschreiben?

Ich kann natürlich nur jene Frauen beschreiben, mit denen ich gesprochen habe. Ich habe sie als mutig, entschlossen und liebend erlebt. Es wurde sehr viel über Liebe und Fürsorge gesprochen, auch bei öffentlichen Auftritten.

Und jetzt die Langfassung: Was fasziniert Sie an den Frauen?

Es hat immer etwas Erhabenes, wenn sich ein Mensch gegen Unrecht und Gewalt erhebt. Wenn er sich auf einen friedlichen Kampf einlässt, obwohl es kaum Aussicht gibt, ihn zu gewinnen. Und dennoch geht er diesen Weg, denn einen anderen gibt es nicht. Das imponiert mir zutiefst. Und natürlich ist es unglaublich, wie Alexander Lukaschenko, seit 1994 an der Macht, die Frauen massiv unterschätzt und verhöhnt hat – und wie diese dann für seine Macht zur Gefahr geworden sind.

Drei Protagonistinnen stehen im Vordergrund: Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo. Was macht diese Frauen aus?

Sie sind sehr unterschiedlich! Und so facettenreich mit so ungewöhnlichen Lebensläufen, dass ich darüber ein Buch geschrieben habe. Da ist Veronika Zepkalo, eine IT-Managerin, die sich mit ihrem Mann gut im System eingerichtet hat und heute im Exil die staatliche Gewalt gegen belarussische Frauen dokumentiert. Da ist Maria Kolesnikowa, Musikerin, die zu elf Jahren Lagerhaft verurteilt worden ist und aus dem Gefängnis den Belarussen und Belarussinnen Mut macht. Selten habe ich in meinem Leben einen so starken, beeindruckenden Charakter kennenlernen dürfen. Und da ist Swetlana Tichanowskaja, Mutter zweier Kinder, deren Mann zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Sie hat sich stets als schwach wahrgenommen, als eine Hausfrau, die nichts von der Politik weiß und Frikadellen für die Kinder brät. Nun nimmt sie aus dem Exil eine Rolle wahr, die schwieriger kaum sein könnte: Sie gilt nun als Anführerin eines freien Belarus. Sie wollte diese Rolle nie, aber sie beweist sich tagtäglich darin. In Belarus gilt sie nun als Terroristin.

Wie sind Sie bei der Recherche fürs Buch vorgegangen?

Da das Regime mein Visum annulliert hat, konnte ich nicht vor Ort recherchieren. Ich war in Vilnius, habe Swetlana Tichanowskaja und ihren Stab getroffen und interviewt, habe in Deutschland mit Exil-Belarussen und Belarussinnen gesprochen, mit Angehörigen und Freunden von Inhaftierten. Ich habe bestimmt mehr als 100 Interviews geführt, die meisten online über Video.

Was hat Sie bei der Recherche überrascht?

Die Offenheit. So gut wie alle Gesprächspartner und -innen waren bereit, mit mir zu sprechen – auch jene, die damit wirklich viel riskieren. Und die Dankbarkeit bei fast allen Gesprächspartnerinnen hat mich überrascht und zugleich beschämt. Bei jedem Gespräch dankten mir die Frauen, dass sich eine ausländische Journalistin noch immer für sie und ihr Land interessiert. Da hat sich für mich offenbart, wie beschämend selten wir alle nach Belarus blicken und wie schnell wir wieder wegschauen.

Wie verliefen die Gespräche? Verlief Ihre Arbeit immer reibungsfrei?

Sie verlief tatsächlich überraschend gut, das ist vielleicht auch der Pandemie geschuldet. Als ich mit meiner Arbeit begann, waren wohl die meisten Menschen Gespräche im Online-Format gewöhnt. Die Proteste haben sich online organisiert, das kam mir sehr zugute.

Im Buch zeigt sich eindrücklich, dass die Frauenbewegung in Belarus vielfältig aufgestellt ist. Ist diese Vielfalt eher eine Stärke, eine Schwäche oder beides?

Ich sehe sie als eine Stärke! Es ist eben kein Aufstand von ein paar intellektuellen Frauen, die nur ihre Schicht erreichen. Es ist kein Eliteprojekt oder das einer Partei, sondern vielmehr eine Welle, die alle gesellschaftlichen Schichten erfasst hat.

Welche Parallelen und Unterschiede sehen Sie zwischen feministischen Aktivist/innen in Belarus und in anderen Staaten?

Die Antwort auf diese Frage würde eine ganze Doktorarbeit füllen! Der wichtigste Unterschied aus meiner Sicht liegt aber darin, dass es eben kein feministischer, sondern ein femininer Aufstand ist. Die Frauen haben keine explizit feministische Agenda. Sie kämpfen – im Übrigen gemeinsam mit den Männern – um Grundrechte. Wie sagte eine belarussische Feministin so treffend? „Die besten Freunde einer Frau sind die Grundrechte.“ Das macht den Kampf dann im Kern doch wieder feministisch.

Wie kommt Ihr Buch eigentlich in Deutschland an?

Überraschend gut! Einige Leserinnen schrieben mir, dass sie nichts von Belarus wussten, das Buch ihnen aber die Situation und das Land nahegebracht habe. Genau das war mein Ziel. Ich wollte kein Buch für Experten und Expertinnen schreiben, sondern eines, das jene erreicht, die noch nie etwas von Belarus gehört habe. Wenn man so will: Ich habe mich bemüht, eine Übersetzerin für die deutsche Gesellschaft zu sein.

Gibt es auch Reaktionen aus Belarus?

Nur von einzelnen Belarussinnen und Belarussen, die mittlerweile im Exil leben. Ehrlich gesagt hatte ich vor ihrem Urteil die größte Angst – es ist immer ein Akt der Anmaßung, über andere zu schreiben und ihr Land. Ich habe deshalb vor Abdruck des Buches das Manuskript deutschsprachigen Belarussinnen gegeben und um Rückmeldung gebeten. Trotzdem war ich froh und erleichtert, dass mir einige Belarussinnen gedankt haben für das Buch.

Wie schätzen Sie die momentane Situation in Belarus ein?

Schrecklich. Düster. Grausam und brutal. In kürzester Zeit hat Alexander Lukaschenko eine moderate Diktatur mit einer sehr lebendigen und offenen Zivilgesellschaft in eine blutige Diktatur verwandelt. Zigtausende haben das Land verlassen. Man kann für die falsche Sockenfarbe festgenommen und verurteilt werden. Wer über den Messengerdienst Telegram eine kritische Nachbarschaftsgruppe betreibt, dem drohen mehrere Jahre Gefängnis. Wenn wir jetzt gerade keine großen Proteste mehr sehen, dann nicht deshalb, weil sich die Menschen wieder mit Lukaschenko arrangiert haben, sondern wegen der staatlichen Grausamkeit. Es ist zum Heulen. Auch deshalb dürfen wir nicht wegschauen. Öffentlichkeit ist das einzige, was wir als Gesellschaft bieten können. Denn der Kampf gegen Lukaschenkos Diktatur ist nicht vorbei.

Eine Frage zum Abschluss: Was planen Sie als Nächstes?

Noch eine Weile Windeln wechseln und Brei kochen! Zwei Tage, bevor das Buch erschien, kam mein Baby zur Welt. Ich bin nun in Elternzeit nach ein paar ereignisreichen, wunderbaren, aber auch anstrengenden Jahren in Moskau. Das Baby hat schon einige wenige Lesungen mitgemacht und ich hoffe, dass wir bald, sobald die Pandemie es erlaubt, gemeinsam auf Lesereise gehen können. Und ab August geht es dann bei DIE ZEIT weiter!

Frau Bota, wir danken für das Gespräch!

Die Lesung

Sie wollen an der Online-Veranstaltung teilnehmen? Anmeldungen sind möglich bis zum 21. Februar unter anmeldung@frauenbildungsnetz.de. Die Zoom-Zugangsdaten erhalten Sie zusammen mit der Anmeldebestätigung.

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