Vier Türme und ein Halleluja

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Sitzungen im Bundestag dauern oft bis spät in die Nacht. Und könnten ohne Bögen, Kringel und weiße Handschuhe nicht stattfinden. Warum? 50 Tage vor der Bundestagswahl: Zehn Notizen über den Bundestag. 

Hereinspaziert!

Z. Zt. 709 Abgeordnete, die Bundeskanzlerin und ihre Minister/innen, Besucher: Im Plenarsaal, dem Sitzungssaal des Bundestags, ist Platz für mehr als 1.000 Leute. 

Foto: Deutscher Bundestag/Achim Melde

Der Zweiraum-Adler

Den großen Bundesadler im Plenarsaal hat sicher jeder schon einmal gesehen. Im Fernsehen. Auf Zeitungsbildern. Er hängt an einer Glasscheibe – und ist so groß wie eine Zweiraumwohnung: Mit seinen Maßen bringt es das Aluminium-Tier auf mehr als 55 Quadratmeter. 

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Stets zu Diensten 

Wenn Abgeordnete im Plenarsaal ans Rednerpult treten, bekommen sie ein Glas Wasser. Die Frauen und Männer, die es auf einem Silbertablett servieren, ziehen dabei viele Besucherblicke auf sich. Frack, Frackkostüm und weiße Handschuhe – so etwas fällt auf. Abgeordneten das Wasser zu reichen ist nur eine Aufgabe der Saaldiener. Sie lösen auch das Klingelzeichen aus, das die Abgeordneten in den Saal ruft. Sie messen die Redezeiten, kontrollieren, ob in den Schubladen der Abgeordnetentische das Grundgesetz und die Geschäftsordnung des Bundestags liegen, sortieren die Stimmkarten in die Abgeordnetenfächer. Sie legen wichtige Drucksachen aus, betreuen die Besucher auf den Tribünen. Wenn Abgeordnete Kopfschmerzen plagen, sind sie schnell mit einer Tablette zur Hand. Knopf abgerissen? Und das ausgerechnet vor einer Rede? Kein Problem. Die „Mitarbeiter des Plenarassistenzdienstes“ – so die offizielle Bezeichnung der Saaldiener – sind schnell mit Nadel und Faden zur Stelle. 

Ein Königreich für einen Turm

Das Reichstagsgebäude ist buchstäblich steinreich. Mehr als 32 Millionen Ziegelsteine wurden hier verbaut. Markant sind, neben Glaskuppel und Säulenportal, die vier Türme. Sie stehen für die vier Königreiche Preußen, Sachsen, Bayern und Württemberg, die den Zusammenschluss zum Deutschen Reich 1871 mittrugen. Von innen betrachtet befinden sie sich im vierten Stock, da, wo die Fraktionen ihre Räume haben. In den Türmen befinden sich ihre Beratungsräume. Auf jedem Turm stehen vier Sandsteinfiguren. Sie symbolisieren unter anderem den Handel, die Schifffahrt, den Ackerbau, Kunst und Literatur.

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Heiliger Bimbam

In den Sitzungswochen läuten donnerstags und freitags, 8.40 Uhr, im ersten Obergeschoss die Glocken des Kölner Doms. Hier, im südöstlichen Teil, zwischen Treppenhaus, Aufzügen und Toilette, befindet sich der Andachtsraum des Bundestags. In den 1960-Jahren kamen noch mehr als 120 Abgeordnete zur Andacht. Heute sind es laut Bundestag zehn bis fünfzehn. Gestaltet hat den Raum, der sich als überkonfessioneller Ort der Ruhe und Besinnung versteht, der Künstler Günther Uecker. Warum in Berlin die Glocken des Kölner Doms läuten? Das geht auf Konrad Adenauer zurück. Er entschied 1949, dass das vom Band gespielte Läuten die Abgeordneten zum gemeinsamen Gebet rufen soll. Diese Tradition wurde beim Umzug des Bundestags mit in die Hauptstadt genommen. 

Gesagt ist gesagt

Stellen Sie sich vor, Sie hören einen Vortrag und sollen mitschreiben. Wie viele Wörter würden Sie in einer Minute schaffen? Vierzig? Fünfzig? Sechzig? In Bundestagssitzungen würde man in diesem Tempo nicht weit kommen. Hier muss jedes gesprochene Wort, jedes Klatschen, jeder Zuruf, jedes Schimpfen handschriftlich festgehalten werden. Das ist eine hohe Kunst. Die nur wenige beherrschen: Parlamentsstenografen. An einem Sitzungstag sind 16 von ihnen im Einsatz. In Zweierteams. Jeweils fünf Minuten lang. Dann wird gewechselt. In Windeseile wandeln sie Wörter in lang gestreckte Bögen, kleine Kringel, krakelige Haken und Punkte um. Pro Minute schaffen sie bis zu 400 Silben. Zurückverwandelt in „normale Sprache“ entsteht Stück für Stück ein Wortprotokoll der gesamten Sitzung, das bereits am nächsten Morgen auf der Internetseite des Deutschen Bundestags abrufbar ist. Seit der letzten Bundestagswahl sind fast 31.000 Protokollseiten zusammengekommen. Aber auch in ganz alten Sitzungen lässt sich stöbern: Die Datenbank enthält alle Plenarprotokolle seit Beginn der 1. Wahlperiode im September 1949. 

Nächster Halt: Bundestag

Bis vor wenigen Monaten führte hier die kürzeste U-Bahn-Strecke Europas entlang. Der 1,8 Kilometer lange Abschnitt umfasste drei Stationen: Hauptbahnhof, Bundestag und Brandenburger Tor. Fahrzeit: Keine drei Minuten. Am 4. Dezember 2020 wurde der Abschnitt Teil der Linie U5. Einen filmreifen Auftritt hatte die U55 auch schon: in der fünften Staffel der US-Serie „Homeland“. 

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Unter 11011 geht die Post ab 

Der Deutsche Bundestag hat eine eigene Postleitzahl: die 11011. Um die Verteilung der Briefe, Pakete und Zeitschriften kümmert sich ein eigener Postdienst. 

Eine glasklare Sache 

Die Glaskuppel thront weithin sichtbar auf dem Reichstagsgebäude. Für den richtigen Durchblick rückt dreimal im Jahr eine Putzkolonne an: im März, Juli und Oktober. Acht Glasreiniger brauchen eine Woche, um die mehr als 400 Scheiben innen zu putzen. In dieser Zeit bleibt die Kuppel für Besucher gesperrt. Von außen machen sich zwei Fensterputzer ans Werk – und sind damit zwei Wochen lang beschäftigt. Die Reichstagskuppel ist nicht nur ein Besuchermagnet. Sie leitet auch Licht in den Plenarsaal und verbrachte Luft aus ihm heraus.

Foto: S. Kuska

Geschlafen wird später

“Bitte noch mal schön duschen und frisch um 9 Uhr hier sein!“ Mit diesen Worten schloss Vizepräsidentin Dagmar Ziegler 2.30 Uhr die 236. Sitzung des Bundestags. Nach 17,5 Stunden Debatte. Viel Zeit zum Schlafen blieb nicht mehr. Die Sitzung vom 24. Juni 2021 war aber nicht die längste: Den Rekord hält der 24. November 1949. Dieser Sitzungstag begann 10.20 Uhr und endete am darauffolgenden Morgen, um 6.23 Uhr. Grund für die nächtlichen Diskussionen: Der damalige SPD-Fraktionschef Kurt Schumacher hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer beleidigt.

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