„Mitten ins Zentrum gerückt“

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Fotos: Vertretung des Landes MV bei der EU

Nach der Wiedervereinigung und mit der Osterweiterung der EU sei der Ostseeraum zu einer zentralen Region innerhalb der Europäischen Union geworden, sagt Dr. Lars Friedrichsen. Davon profitiere MV. Friedrichsen leitet die Vertretung des Landes Mecklenburg-Vorpommern bei der EU. Ein Interview über Aufgaben in Brüssel und Herausforderungen in der Pandemie.

Herr Friedrichsen, wie kommt Brüssel durch die Corona-Zeit?

Lars Friedrichsen: Brüssel ist schon seit Beginn der Pandemie sehr schwer betroffen. In der schlimmsten Phase der zweiten Welle im Herbst 2020 gab es je Woche bis zu 1.400 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Brüssel durchlebt, mit wenigen Ausnahmen im Sommer, im Wesentlichen einen seit März andauernden Lockdown. Erst gegen Ende des Jahres 2020 gibt es eine gewisse Stabilisierung bei den Neuinfektionen bei noch immer hohen Todeszahlen und einer Überlastung der Krankenhäuser.

Gründe dafür gibt es viele: Brüssel ist sehr international. Hier kommen Menschen aus 27 Mitgliedstaaten der EU zusammen. Die internationalen Schulen bringen bis zu 3.000 Kinder und Jugendliche pro Schule täglich zusammen. In einer solchen Lage ist es sehr schwer, das Infektionsgeschehen einzudämmen.

Wie wirkt sich die Pandemie auf Ihre Arbeit aus?

Die Arbeit der Landesvertretung hat sich durch die Pandemie in 2020 sehr verändert. Präsenzveranstaltungen konnten wir schon seit März nicht mehr durchführen. Regelmäßige Veranstaltungen, mit denen MV in Brüssel auf sich aufmerksam macht, wie unser Strandfest im Sommer oder klassische Konzerte, mussten abgesagt werden. Auch die sonst übliche auswärtige Sitzung des Landeskabinetts MV in Brüssel konnte unter diesen Voraussetzungen nicht stattfinden.

Wir haben stattdessen alle Möglichkeiten genutzt, die uns das Internet bietet: In Internetformaten haben wir unsere MV-Ministerinnen und -Minister mit Brüssel ins Gespräch gebracht, z.B. über die Zukunft der Regionalpolitik, wichtige EU-Förderschwerpunkte wie Offshore-Energiegewinnung u.v.m.

Den Innen- und Europaausschuss des Landtages habe ich durch Videovorträge über die aktuellsten Entwicklungen in Brüssel auf dem Laufenden gehalten. Daneben informieren wir natürlich vielfältig schriftlich über Entwicklungen in Brüssel und haben die Zeit genutzt, um unsere Informationsformate zu erneuern, optisch aufzufrischen und noch mit aktuellen zusätzlichen Formaten auszubauen.

Dr. Lars Friedrichsen

Im Überblick: Welche Aufgaben hat die Landesvertretung?

Die Aufgaben der Landesvertretung sind sehr vielfältig:

  • frühzeitige Information der Landesregierung und öffentlicher Stellen über Gesetzesvorhaben und Entwicklungen auf EU-Ebene
  • Wahrnehmung der Landesinteressen gegenüber EU-Organen, Sensibilisierung für die Anliegen des Landes, Vorbereitung von Besuchen und Betreuung von Mitgliedern der Landesregierung und des Landtags in Brüssel, Vermittlung von Kontakten zu EU-Stellen
  • Unterstützung und Beratung privater und öffentlicher Einrichtungen bei der Kontaktaufnahme mit EU-Stellen und der Akquisition von EU-Fördermitteln
  • Betreuung von Besuchern aus Mecklenburg-Vorpommern und Unterstützung bei der Organisation von Seminaren und Tagungen vor Ort
  • Repräsentation des Landes bei der EU
  • Werbung für Mecklenburg-Vorpommern in der „Hauptstadt Europas“ durch Informationen zu Wirtschaft, Forschung, Tourismus und die Darstellung der Kulturvielfalt des Landes
  • Zusammenarbeit mit den Vertretungen der Partnerregionen des Landes in Brüssel sowie den Repräsentanten anderer Regionen der EU, insbesondere aus Norddeutschland und dem Ostseeraum

Wie ist die Landesvertretung organisiert?

Die Landesvertretung ist ein Referat im Ministerium für Inneres und Europa. In Brüssel sind wir inklusive mir als Leitung acht Personen. Zwei Kolleginnen und Kollegen kümmern sich um Assistenz, Haushalt und allgemeine Verwaltungsfragen. Meine fünf Referentinnen und Referenten und ich, wir kümmern uns um die Fachfragen. Wir treffen uns regelmäßig (aktuell per Videokonferenz), um uns abzustimmen und gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Jeder und jede arbeitet dabei sehr eigenständig, baut ein eigenes Netzwerk an Kontakten in den Brüsseler Institutionen auf und trägt diese Informationen aktuell nach MV. Diese Art der Arbeit setzt ein sehr hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit und Eigeninitiative voraus. Die Arbeit im Büro ist von gegenseitigem Vertrauen, flachen Hierarchien, hoher Kollegialität bei gleichzeitig sehr enger Abstimmung mit der Hierarchie in Schwerin geprägt.

Wie läuft denn der Austausch mit der Landesregierung und mit öffentlichen Stellen in MV?

Wir kommunizieren mit allen Verwaltungsebenen auf allen zur Verfügung stehenden Kanälen. In 2020 habe ich eine Vielzahl an Internetvorträgen aus Brüssel in Richtung Mecklenburg-Vorpommern gehalten (IHK, Europa-Union, Landtag MV…). E-Mails und Telefonate sind der Standard unserer alltäglichen Arbeit. In den ersten zwei Monaten des Jahres, als wir noch reisen konnten, bin ich fast jede zweite Woche nach Mecklenburg-Vorpommern gefahren, um für unsere Arbeit zu werben. Im Sommer (als das Reisen ausnahmsweise einmal möglich war) war ich eine Woche in Schwerin, um mit einer Vielzahl von Ministerinnen und Ministern ins Gespräch zu kommen. Unsere Online-Konferenzen aus Brüssel haben mittlerweile auch ein Publikum in Mecklenburg-Vorpommern. Schriftlich veröffentlichen wir regelmäßige und anlassbezogene Newsletter.

Wie oft bekommen Sie – normalerweise – Besuch aus Mecklenburg-Vorpommern?

Vor Corona gab es sehr viel Besuch: Die Ausschüsse des Landtages kommen regelmäßig zu Informations- und Arbeitsbesuchen, das Kabinett selber tagt – wie gesagt – regelmäßig in Brüssel. Physische Besuche waren in 2020 leider weitestgehend unmöglich. Wir setzen darauf und hoffen, dass dies spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2021 wieder möglich sein wird.

In Brüssel werben Sie auch für MV. Können Sie Beispiele geben?

Herr Minister Pegel hat z.B. im Oktober auf einer Veranstaltung, die mit der IHK Nord veranstaltet wurde, für Mecklenburg-Vorpommern als Standort für die Offshorewindenergie geworben. Auch MV-MdEP Niklas Nienaß hat an dieser Veranstaltung teilgenommen. Über 100 Expertinnen und Experten in Brüssel, aber auch weit darüber hinaus, sind dieser Veranstaltung im Internet gefolgt. Hier ist ganz zielgenau das Publikum angesprochen worden, das wir für eine erfolgreiche weitere Arbeit auf diesem Gebiet benötigen.

Mit einer weiteren Online-Veranstaltung in Kooperation mit der SVZ haben wir die Idee einer europaweiten „Route der Leuchttürme“ beworben, die auf sehr große Resonanz gestoßen ist: lighthouse-route.eu.

Auf www.europa-mv.de finden Sie regelmäßig Informationen über geplante oder bereits durchgeführte Veranstaltungen.

Was sagen Sie eigentlich Kritikern: Weshalb ist die EU wichtig für MV?

Es wird oft übersehen, aber die deutsche Wiedervereinigung 1990 war zugleich auch eine Osterweiterung der Europäischen Union. Mecklenburg-Vorpommern und die anderen ostdeutschen Bundesländer profitieren seitdem in sehr hohem Maße von europäischer Solidarität – siehe nachfolgende Zahlen.

Mecklenburg-Vorpommern ist durch die Wiedervereinigung und auch durch die Osterweiterung der EU im Mai 2004 vom Rand mitten ins Zentrum Europas gerückt. Unsere Ostsee ist eine zentrale Region innerhalb der EU geworden. Die EU-Ostseestrategie, an der wir intensiv mitgewirkt haben, hat diese Entwicklung bestärkt. Offene Grenzen, freier Zugang zum Europäischen Binnenmarkt, finanzielle Unterstützung: Mecklenburg-Vorpommern ist ein vielfältiger Gewinner all dieser Entwicklungen.

Ihre Argumentation in Zahlen. Wie profitiert MV von den EU-Strukturfonds?

Insgesamt hat Mecklenburg-Vorpommern seit 1991 über 10. Mrd. € Fördermittel aus europäischen Töpfen erhalten. Damit sind maßgeblich die Infrastruktur im Land ertüchtigt sowie private Unternehmen aus vielen verschiedenen Branchen gefördert worden. Auch die Forschungseinrichtungen im Land wurden mit europäischen Mitteln gefördert. Die Mittel des ESF dienen primär dazu, Qualifikations-, Fortbildungs- und Bildungsmaßnahmen zu finanzieren.

Und wie sieht die Förderung in den kommenden Jahren aus?

Mecklenburg-Vorpommern wird in der Förderperiode 2021 bis 2027 von der Europäischen Union weiterhin mit insgesamt 1,258 Milliarden Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF+) gefördert. In der nächsten Förderperiode wird das Land zudem mehr eigene Landesmittel bereitstellen, um das europäische Geld zu flankieren. Diese Mittel leisten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Mecklenburg-Vorpommerns.

Mecklenburg-Vorpommern wird dabei weiterhin Übergangsregion im europäischen Sinne sein (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung zwischen 75% und 100% des EU-Durchschnitts).

Kurz vor Jahresende: Wie blicken Sie auf 2020 zurück?

Persönlich ist mir am wichtigsten, dass alle meine Kolleginnen und Kollegen gesund durch dieses schwierige Jahr gekommen sind. Wir sind an der Herausforderung Corona-Pandemie gewachsen und haben uns alle im digitalen Arbeitsumfeld als Team sehr eng zusammen gefunden. Das sehr erfahrene Team der Vertretung hat durch intensive Arbeit auf Fachebene dazu beigetragen, die vielfältigen Vorteile der EU auch für die Zukunft zu sichern.

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