Aufarbeitung DDR- und SED-Unrecht

Vom / Landeskunde

In Mecklenburg-Vorpommern begann bereits im Herbst 1989 auf verschiedenen Ebenen eine Auseinandersetzung mit dem in der DDR politisch motivierten Unrecht. Bürgerinnen und Bürger besetzen in Rostock in der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember 1989 die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Auch in Greifswald, Neubrandenburg und vielen anderen Orten entstandenen Bürgerkomitees, die die Tätigkeit dieses wichtigsten Instrumentes politischer Unterdrückung des DDR-Regimes beendeten, die Stasi-Akten sicherten und damit begannen, die Arbeits- und Wirkungsmechanismen dieses Apparats aufzudecken. Bereits im Mai 1990 legte zum Beispiel der Rostocker „Unabhängige Untersuchungsausschuss“ seine „Arbeitsberichte zur Auflösung der Rostocker Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit“ vor.

Die verschiedenen Bereiche der Aufarbeitung waren damals bereits umrissen: Aufklärung über das Geschehene, indem alle relevanten Akten offengelegt werden, Wiedergutmachung für die Opfer, Klärung der Verantwortung und strafrechtliche Ahndung von Gesetzesverstößen und Menschenrechtsverletzungen.

Nutzung der Stasi-Akten

Zunächst setzte die frei gewählte Volkskammer, 1991 dann der Deutsche Bundestag mit dem Stasi-Unterlagengesetz, den rechtlichen Rahmen des Zugangs zu den Stasi-Akten und errichtete die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Ihr erster Leiter wurde der Rostocker Pastor Joachim Gauck. Die Behörde unterhält in Mecklenburg-Vorpommern Außenstellen in Rostock (Waldeck), Neubrandenburg und Schwerin (Görslow). Sie verwalten die regionalen Akten-Bestände und betreiben Öffentlichkeitsarbeit.Seit 1990 gingen gut drei Millionen Anträge auf Akteneinsicht beim Bundesbeauftragten ein. 2014 waren es in den Außenstellen in Mecklenburg-Vorpommern immer noch 8300 neue Anträge.

Da Politik und öffentliche Verwaltung möglichst ohne Mitarbeit jener aufgebaut werden sollten, die Vertrauen missbraucht und die Repression durch das MfS unterstützt hatten, ermöglichte es das Stasi-Unterlagengesetz, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, Abgeordnete, kirchliche Mitarbeiter und das Führungspersonal von Vereinen und Betrieben auf eine Stasi-Tätigkeit zu überprüfen. Ab 1993 fanden in der Landesverwaltung deshalb so genannte Einzelfallprüfungen statt. Dabei wurden für die Entscheidung des jeweiligen Arbeitgebers, ob die Beschäftigung im öffentlichen Dienst des Landes zumutbar sei, nicht allein die Stasi-Akten konsultiert, sondern auch der Betroffene gehört.

Im Bereich der Landesverwaltung von Mecklenburg-Vorpommern wurden bis 2003 rund 85.000 Anträge auf Überprüfung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gestellt. 5152 der überprüften Beschäftigten hatten mit der Stasi zusammengearbeitet. Für 2.247 von ihnen blieb dies ohne Konsequenzen für ihren Job. 1007 Beschäftigte waren in der Zwischenzeit ausgeschieden, mit 863 Beschäftigten wurden Auflösungsverträge geschlossen. 945 Beschäftigten wurde wegen der MfS-Tätigkeit gekündigt, oder aber, weil sie ihren Arbeitgeber darüber arglistig getäuscht hatten.

Bis Ende 1996 wurden unter anderem knapp 30.000 Lehrer überprüft. In 1.621 Fällen lag eine Belastung vor. Davon wurden 552 weiterbeschäftigt. Etwa 600 hatten bereits vor dem Ende der Überprüfung den Schuldienst verlassen. Bei der Überprüfung von rund 7700 Polizisten wurden 1727 als inoffizielle oder hauptamtliche Mitarbeiter des MfS identifiziert. 683 Kündigungen und 79 Auflösungsverträgen standen 873 Weiterbeschäftigungen gegenüber.

Aufgrund des Koalitionsvertrags zwischen SPD und PDS aus dem Jahre 1998 entschied sich die Landesregierung 1999, die Regelanfrage für alle Beschäftigten der Landesverwaltung bei der Bundesbeauftragen abzuschaffen.

Für Landtagsabgeordnete gilt ein eigenes Verfahren. Sie müssen einer Überprüfung durch eine dreiköpfige Kommission zustimmen. Sie bewertet die Mitteilungen des Bundesbeauftragten zu diesen Abgeordneten, hört die Betroffenen an und veröffentlicht die Ergebnisse. Sanktionen verhängen kann sie nicht. Konsequenzen aus einer festgestellten Stasi-Tätigkeit wurden aber seit 1998 weder von Abgeordneten noch von ihren Fraktionen gezogen.

Ebenfalls besonderen Regelungen unterlagen die Überprüfungen an den Universitäten des Landes direkt nach 1990. Hier bewerteten Ehrenkommissionen auch die „Systemnähe“ der Hochschulmitarbeiter und gaben Empfehlungen zur Weiterbeschäftigung ab.

Behörde der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen

Seit 1994 arbeitet in Mecklenburg-Vorpommern die Behörde der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Zu ihren Aufgaben gehört es, vor, während und nach einer Einsichtnahme in die Stasi-Akten Betroffene psychosozial zu beraten und zu betreuen. Seit 1994 haben mehrere Zehntausend Bürger dieses Beratungsangebot wahrgenommen. Dabei geht es den Betroffenen einerseits darum zu erfahren, wer sie bespitzelte und warum sie verfolgt wurden. Andere benötigen Akteneinsicht, um ihre strafrechtliche, berufliche oder verwaltungsrechtliche Rehabilitierung beantragen zu können. Die Landesbeauftragte soll zudem öffentliche Stellen beraten sowie Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit zum Thema Staatssicherheit leisten. Inzwischen ist sie für Mecklenburg-Vorpommern auch für die Verwaltung des Fonds für die Opfer der DDR-Heimerziehung zuständig. Bis zum Meldeschluss des Fonds am 30. September 2014 hatten sich 3839 Betroffene gemeldet. Die Landesbeauftragte fördert zudem zahlreiche Forschungs- und die daraus resultierenden Buchprojekte zur regionalen Geschichte des MfS. Mit Ausstellungen und Tagungen versucht sie, eine möglichst große Öffentlichkeit mit ihren Themen zu erreichen. Viel Beachtung fand 2014 eine Ausstellung zu den sowjetischen Gulags, in denen auch viele Deutsche oft ohne Verurteilung inhaftiert waren und Zwangsarbeit leisten mussten.

Strafrechtliche Aufarbeitung

Schon Ende 1989 nahm auf massiven öffentlichen Druck hin die DDR-Justiz Ermittlungen gegen DDR-Funktionäre wegen Amtsmissbrauch, Korruption und Wahlfälschung auf. Von 1991 bis 1994 wurden in Berlin und den neuen Ländern Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Verfolgung des DDR-Unrechts eingerichtet. Die eingeleiteten Verfahren bezogen sich auf Gewalttaten an der Grenze, Rechtsbeugung, Freiheitsberaubung, Wirtschaftsdelikte, Entführung und Auftragstötung (MfS-Straftaten), Wahlfälschung und Doping.

In Mecklenburg-Vorpommern wurden bis 2003 sämtliche Strafverfahren zum DDR-Unrecht abgeschlossen. In den 4.775 Verfahren wurden 27 Beschuldigte rechtskräftig verurteilt. Das Rückwirkungsverbot von Gesetzen („nulla poene sine lege“) konnte nur in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen aufgehoben werden, sodass meist nur Taten, die schon in der DDR strafbar waren, verfolgt werden konnten. Der Einigungsvertrag legte außerdem fest, dass bei Straftatbeständen jeweils das „mildere“ Recht anzuwenden ist. Der Versuch, das in der DDR verübte Unrecht durch die rechtsstaatliche Justiz aufzuarbeiten, geriet in der öffentlichen Debatte von zwei Seiten in die Kritik. Ehemalige SED-Funktionäre sprachen von „Siegerjustiz“ und verwiesen einerseits auf die Souveränität der DDR, andererseits aber auf die Abhängigkeit von den Vorgaben der UdSSR beispielsweise beim Grenzregime der DDR. Für die Opfer der Diktatur waren die vielen Freisprüche und Einstellungen von Verfahren eine Enttäuschung. Festzuhalten bleibt dennoch, dass die öffentliche Berichterstattung über die Prozesse zur Aufklärung über das DDR-Regime in nicht unwesentlichem Maße beitrug.

Rehabilitierung und Entschädigung der politisch Verfolgten

Die Forderungen, die Opfer politischer Verfolgung in der DDR zu rehabilitieren und zu entschädigen, wurden seit 1990 von allen politischen Akteure unterstützt. Die letzte DDR-Volkskammer beschloss im September 1990 ein Rehabilitierungsgesetz. Der Deutsche Bundestag verabschiedete 1992 und 1994 zwei SED-Unrechtsbereinigungsgesetze zur strafrechtlichen, beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung. Die Aufhebung rechtsstaatswidriger Urteile durch die Gerichte bereitete die geringsten Schwierigkeiten. Umstritten hingegen war lange Zeit die Höhe der Haftentschädigung. Sie beträgt inzwischen 306 Euro pro erlittenem Haftmonat. Bedürftige Betroffene können zudem eine monatliche Rente von bis zu 250 Euro beziehen.

Problematisch ist es für die Betroffenen oft nachzuweisen, dass sie aus politischen Gründen im Betrieb degradiert oder nicht zum Abitur zugelassen wurden. In den Betriebs- oder Schul-Akten wurde dies meist verschleiert. Oft sind es die Stasi-Akten, die entscheidende Belege liefern und so helfen, Nachteile bei der Rentenberechnung auszugleichen.

Enquete-Kommission

Als einziges Parlament in den neuen Ländern machte der Landtag Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 1996 und 1997 den Versuch, durch die Enquete-Kommission „Leben in der DDR, Leben nach 1989 – Aufarbeitung und Versöhnung“ die verschiedenen Sichtweisen auf die DDR miteinander zu konfrontieren, um auf diesem Weg gemeinsame Grundlagen für die Erinnerungspolitik des Landes zu schaffen. Trotz einiger interessanter wissenschaftlicher Expertisen scheiterte die Kommission mit dem Anspruch der Versöhnung. Dieser Begriff, hinter dem die Vorstellung steckt, die Integration aller Bevölkerungsgruppen in die neue Demokratie könne nur gelingen, wenn Brücken zwischen Unterstützern und Opfern der Diktatur geschlagen werden, stieß vor allem bei ehemals politisch Verfolgten auf Widerspruch. Versöhnung, so ihr Argument, setze zuvor das Eingeständnis von Schuld von Seiten des Täters voraus. Letztlich wurde an der Arbeit dieser Kommission deutlich, dass Aufarbeitung mit dem Ziel, eine gültige Interpretation der Geschichte zu liefern, die für ganz unterschiedliche Gruppen konsensfähig ist, scheitern musste.

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